Von einem Elektro-Rookie, der auszog, sein E-Auto zu überführen
Nach dem Kauf eines neuen E-Autos steht die Überführung an. In diesem Fall werden 462 Kilometer zur Zwölf-Stunden-Odyssee – mit Happy End.
Der Stromer ist ein Seat Mii Plus electric. Fährt gut, lenkt gut, federt gut, sieht gut ... okay, darüber kann man streiten. Der kleine Spanier hat jedenfalls keine Schuld, dass 462 Kilometer zum 12-Stunden-Trip werden. Schuld hat das Ladesäulen-Tohuwabohu.
Abfahrt in Frankfurt. Ziel ist das nur 162 Kilometer entfernte Waldbröl bei Köln. Eine Gewöhnungsetappe für mich als Elektro-Rookie. Der Akku ist randvoll, die Reichweitenanzeige verspricht 242 Kilometer. Da kann ja nichts schiefgehen.
Tut es auch nicht. Am Ziel ist der Akku noch zu etwa 30 Prozent voll. Weiter geht’s am nächsten Morgen um 10 Uhr. Wieder mit vollgeladenem Akku aus der Haushalts-Steckdose. Reichweite: 245 km. Mmmhhh, das könnte sich mit einem einzigen Ladestopp bis Hamburg ausgehen, denke ich und reihe mich in die Lkw-Kolonne ein. Tacho 92 km/h – Brummi-Tempo. Fühle ich mich jetzt noch wie eine Wanderdüne, denke ich elf Stunden später mit Sehnsucht an dieses rasante Tempo. Aber davon ist noch nichst zu ahnen.
Beim ersten Ladestopp lade ich die benötigte App runter, warte aber vergebens auf die Bestätigungsmail. Über die Homepage klappt es dann doch noch. Aber nicht mit 50-kW-Power. Nach zweieinhalb Stunden ist der Akku nicht einmal zu 70 Prozent voll. Trotzdem verspricht die Reichweite 270 km Reichweite. Das reicht bis nach Hause.
83 PS leistet der Elektromotor im Seat Mii electric. Damit ist er der stärkste bislang angebotene Mii.
Innogy spendiert Gratis-Strom
Theoretisch. Praktisch aber nicht. 110 km vor Hamburg fehlen mir schon 20 km bis in die Garage und das Minus wächst. Also wieder raus zum Laden. Und wieder wartet eine Innogy-Säule auf mich. Hier streikt sogar das Internet. Ich brauche Saft, kann aber ohne Internet nicht bezahlen. Also wieder die Hotline anrufen. Die schenkt mir 30 Minuten. „Nothilfe“. Danke, Innogy, sehr nett. Nützt aber nichts, die Reichweite bleibt unter der Reststrecke. Wieder Anruf bei der Hotline und weitere 15 Gratisminuten erbettelt.
Jetzt könnte es reichen. Tempo 60, rechte Spur, Warnblinkanlage. Die Lkw sausen nur so an mir vorbei. Bei 50 Kilometern Reichweite fordert der Mii blinkend und alarmierend sofortiges Laden. Tja, geht aber nicht. 10 Kilometer später teilt das Display mit, dass die Komfortfunktionen blockiert sind. Wenig später die nächste Alarmmeldung: Reduzierte Leistung! Ich erwarte, dass als nächstes das Dach abgesprengt wird, um Gewicht zu sparen. Passiert aber zum Glück nicht.
Aber es reicht immer noch nicht. Noch 18 km zu fahren bei 16 km Reichweite. Und wer weiß, wie exakt die Angabe ist. Also ran an die letzte Raststätte vor den Toren Hamburgs. Und das, obwohl das Schild gar keine E-Ladesäule zeigt. Der Tankwart ist sich auch nicht sicher: „Ich glaube, da hinten bei den Lkw-Parkplätzen steht so ein Lade-Ding.“ Inzwischen ist es 21:30 Uhr und längst stockfinster. Tatsächlich, da steht der rettende Stromkasten versteckt hinter vielen parkenden Lkw. Einsam und unbeleuchtet. Und diese Säule begnügt sich mit meiner Kreditkarte. Ich buche die volle Dröhnung mit 50 kW, gönne Mii(r) zusätzliche 30 Kilometer Reichweite. Das Zittern hat ein Ende. Ich atme auf, aber die Kreditkarte stöhnt: 11,65 Euro für 30 Kilometer. Aber was gibt man nicht alles für eine Heimkehr nach 12-stündiger Reise.
Verbraucherzentrale beklagt fehlende Transparenz
Offenbar bin ich nicht der Einzige, dem dieses teure Missgeschick passiert ist. Auf Nachfrage von mobile.de fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mehr Preis-Transparenz an den Ladesäulen. „Die Zukunft der Elektromobilität hängt nicht nur vom Ausbau der Ladestationen, sondern auch von fairen und transparenten Tarifen ab“, sagt Kerstin Hoppe, Rechtsreferentin beim vzbv. „Davon kann derzeit oft noch keine Rede sein. Statt verbrauchsabhängig nach der gelieferten Energiemenge, wird teilweise nach Ladezeit berechnet. Immer wieder müssen Kunden zudem aufgrund ihres Ladeverhaltens hohe Preise zahlen – ohne dass erkennbar ist, warum.“
Drei Anbieter wurden unlängst wegen Verstößen gegen die Preisangabenverordnung abgemahnt. Die Verbraucherschützer fordern zumindest für das AC-Normalladen "zwingend” eine Abrechnung nach Kilowattstunden. Begründung: "Zeitbasierte Tarife oder Session Fees lassen keinen Preisvergleich und keine Abschätzung der zu erwartenden Kosten zu. Das Laden eines E-Autos muss so einfach und komfortabel wie möglich sein, um Verbrauchern den Umstieg auf Elektromobilität zu erleichtern.”
Nach 12 Stunden ist der Mii noch nicht wieder vollgeladen
Treiben die Anbieter die Ladepreise in allzu große (oder wie in diesem Fall: unerhörte) Höhen, droht die Elektromobilität ihren Betriebskostenvorteil gegenüber Verbrennern zu verlieren – zumal in einer Phase, in der Benzin und Diesel ohnehin vergleichsweise günstig sind (Stand: Oktober 2020).
Übrigens: Am nächsten Tag reichen nicht einmal 12 Stunden Ladezeit, um den Akku von fünf wieder auf 100 Prozent aufzuladen.
Auf Basis des Golf 7 gebaut, erkennt man den e-Golf an den C-förmigen Tagfahrleuchten.
Ratgeber: So lässt sich die E-Auto-Odyssee vermeiden
Keine Frage: Reisen mit dem Elektroauto erfordern eine gewisse Planung. Einfach loszufahren und zu tanken, wenn der Saft zur Neige geht, funktioniert nicht. Weil es manchmal keinen „Sprit“ gibt. Und weil Strom langsamer fließt. Damit aus einer 4,5-Stunden-Strecke keine 12-Stunden-Odyssee wird, sollte man einige Dinge beachten. Hier unsere Checkliste:
- Einen ersten Überblick verschaffen: Informiere Dich vor der Abfahrt über die Ladesäulendichte und -anbieter auf der geplanten Strecke. So kannst Du checken, ob es auf der geplanten Strecke überhaupt genügend Ladestationen mit der nötigen Ladeleistung gibt. Als erster Anlaufpunkt eignen sich Seiten wie
- de.chargemap.com/map
- goingelectric.de/stromtankstellen
- lade.info/map
- oder e-stations.de/ladestationen.
- Die Bundesnetzagentur bietet ebenfalls einen Überblick aller gemeldeten Ladesäulen. Auf den meisten Seiten lassen sich die Stationen nach Ladeleistung filtern.
- Ladestromanbieter wählen: Als Nächstes solltest Du Dir einen geeigneten Ladestromanbieter suchen. Das muss kein Ladesäulenbetreiber sein. Zahlreiche Energieversorger, Autohersteller oder Roaming-Dienste bieten Ladestromtarife fürs Elektroauto an. Sie kooperieren in aller Regel mit mehreren Ladenetzen. Je nach Anbieter stehen so meist deutlich mehr als 100.000 Ladepunkte in Europa zur Verfügung. Die Preise können jedoch stark variieren. (Einen umfangreichen Wegweiser durch das Ladetarif-Labyrinth findest Du hier.)
- Lade-App fürs Smartphone und Ladekarte besorgen: Um unterwegs laden zu können, brauchst Du entweder die App eines Ladestromanbieters oder eine Ladekarte. Nicht alle Säulen kommunizieren per App, weshalb Du unbedingt eine Ladekarte oder einen Ladechip haben solltest. Am besten mehrere von verschiedenen Anbietern. Clever ausgewählt, solltest Du mit maximal zwei bis drei Anbietern auskommen. Bestelle Ladekarte oder Ladechip möglichst lange vor der geplanten Fahrt, damit sie rechtzeitig per Post eintreffen. Manche Anbieter verlangen Geld dafür, einige Anbieter verschicken sie kostenlos.
- Route im Auto planen: Bei der konkreten Routenplanung hilft in den meisten Fällen das Navi im Elektroauto. Im Idealfall sind hier alle nutzbaren Ladesäulen mit Ladeleistung verzeichnet. Auch, ob sie frei oder belegt sind, sollte angezeigt werden. Fortgeschrittene Systeme berücksichtigen automatisch den Ladestand, die Reichweite sowie die geschätzte Ladezeit und schlagen die besten Ladestopps vor, um die Reisezeit zu minimieren. Verfügt Dein Elektroauto über solch ein System, erübrigen sich zumindest die ersten beiden Punkte. Manche E-Autos identifizieren sich auch selbst an der Ladestation und wickeln im Hintergrund den Bezahlvorgang ab. Dann erübrigt sich auch der dritte Punkt.
- Gerade Klein- oder Kleinstwagen können das jedoch oft nicht. Hier hilft eine externe App. Beim Seat Mii electric oder bei den baugleichen Kollegen Skoda Citigo e iV und VW e-Up etwa funktioniert die Routenplanung über die Hersteller-App auf dem Smartphone. Das Handy dient hier zugleich als Infotainment-System. Bezahlen musst Du über den gewählten Anbieter.
- Kartendienst des Ladestromanbieters nutzen: Als Backup sollte(n) stets die App(s) Deine(s/-r) bevorzugten Anbieter(s) zur Hand sein. In deren Karten-Anwendung sind alle nutzbaren Ladesäulen verzeichnet und oft auch die anderer Ladeverbünde. Eine Routenplanung bieten leider die wenigsten an. Dafür lassen sich jedoch in der App direkt die Preise ablesen, die an der jeweiligen Säule fällig werden. So weißt Du relativ genau, wie viel das Laden kostet.
- Route händisch planen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wenn Du Dein Schicksal ungern einer App oder dem Navi im Auto anvertraust, solltest Du die Route vorher selbst grob durchplanen. Dazu musst Du wissen, wie weit Dein Elektroauto unter den gegebenen Bedingungen fährt. Kalkuliere jedoch nicht mit der maximalen Reichweite, sondern setze als Entfernung zwischen zwei Ladestopps die Reichweite an, die Dein Auto mit 60 bis 70 Prozent der Akkukapazität schafft. Plane Ladestopps außerdem so ein, dass Du den Akku nie unter 15 oder maximal 10 Prozent leerst und nie weiter als über 80 Prozent laden musst. Das hat zwei Vorteile: Erstens fährst Du so in dem guten Gefühl, immer noch einige Kilometer Puffer zu haben, falls ein Ladestopp nicht funktioniert wie geplant. Zweitens laden Elektroautos fast immer am schnellsten, bis sie zu maximal 80 Prozent gefüllt sind. Danach fließt der Strom nur noch zäh, um die Akkuzellen nicht zu strapazieren. Das heißt: Auf diese Weise wirst Du vermutlich mehr Ladestopps benötigen, doch Du minimierst die Zeit, die Du für einen Ladestopp benötigst. Letztlich kommst Du so wahrscheinlich schneller ans Ziel.
Alle Informationen zur Ladedauer von Elektroautos findest Du hier