VW Golf 5 (2003): Rückblick, Historie
Der VW Golf startet in seine achte Generation. Zu diesem Anlass erinnert sich unser Autor Peter Maahn an seine Vorgänger. Teil 5: Der Golf 5 von 2003.
Es ist ein Jahr vieler Abschiede. 2003 fliegt das Überschallflugzeug Concorde zum letzten Mal von New York nach Paris. Die Band Modern Talking löst sich auf, ebenso die gecastete Girlgroup No Angels. Auch VW arbeitet auf ein wichtiges Ende hin, bringt aber einen neuen Anfang mit. Die fünfte Generation des VW Golf steht bereit. Der erste Golf des neuen Jahrtausends.
Nummer 5 trägt ein schweres Erbe. Er muss die Reifenspuren des Golf 4 ausfüllen. Der tritt als König der Zulassungsstatistik ab. Sein Erfolg trägt dazu bei, dass der Wolfsburger Kompakte mit mehr als 21 Millionen Exemplaren das erfolgreichste deutsche Auto wird. Er übertrifft sogar den 2003 endgültig eingestellten Original-Käfer. Noch so ein Abschied.
200 PS leistet der Vierzylinder-Turbomotor im VW Golf 5 GTI.
Erste Fahrt im Golf 5: Von Golfsburg nach Goslar
Drei Mal hatte VW zur ersten Fahrt mit einem neuen Golf nach München eingeladen, ein Mal nach Bonn. Für den Golf 5 lädt der Hersteller ins vergleichsweise abgelegene Goslar. Das Kaiserpfalz-Areal am Fuße des Rammelsbergs ist UNESCO-Welterbe. Und verkehrsgünstig gelegen, denn die erste Fahrt mit dem neuen Golf startet im nahegelegenen Wolfsburg. Genauer gesagt: in Golfsburg.
Zwischen dem 25. August und dem 10. Oktober 2003 bekundet die Stadt Sympathie mit dem Kompakten und benennt sich um. Ein PR-Gag, der auf der ganzen Welt zündet. Zehn Fernsehteams dokumentieren den Moment, als Oberbürgermeister Rolf Schnellecke das „W“ auf dem Ortsschild an der B 188 mit einem „G“ überklebt. Ein Team kommt aus Österreich, eines aus Japan.
Am Bahnhof verkauft die Stadt Golfsburg-Merchandise, die Post bekommt einen Sonderstempel, vor dem Südkopf-Center steigt ein großes Golfsburg-Fest. Gut für die Stadt, denn sie ist mit minimalem finanziellem Einsatz in den Medien präsent. Noch besser für VW, denn der neue Golf steht im Zentrum der Berichterstattung. Logisch, dass die Testfahrer im Golf 5 am Ortsschild vorbeibrausen.
Mehr Platz und ein freundliches Gesicht
Das neue Auto punktet mit seiner Größe. Fünf Zentimeter länger als der erfolgreiche Vorgänger, einen glatten halben Meter länger als der Ur-Golf von 1974. Natürlich bleiben die Merkmale eines Golf unangetastet, zum Beispiel die breite C-Säule. Aber die Motorhaube ist flacher, die Lampen kommen in neuem Design. Witzig: Im Modelljahr 2005 ergänzt VW ein Markenzeichen im Halogen-Scheinwerfer. Wenn der Golf 5 dicht genug an einer Wand steht, projiziert er das Symbol darauf.
Das Heck des neuen Golf wird zum Statement. Zum ersten Mal fehlen in den Rückleuchten die Ecken und Kanten. VW drückt die Rundungen der neuen Lampen weit in die Heckklappe hinein. Vorbild ist die Oberklasse: Der Golf spickt bei den VW-Spitzenmodellen Phaeton und Touareg, mit denen VW-Chef Piëch die Oberklasse erobern will. Heute wissen wir, dass das nur mit dem dicken SUV geklappt hat. Die Limousine läuft nach einer Generation aus.
Obwohl grundsätzlich nur wenig verändert, sorgt der Innenraum für Gesprächsstoff. Vom neuen Raumgefühl ist die Rede. Die Knie selbst stattlicher Hinterbänkler schrammen nicht mehr am Stoff der Vordersitze, das Haupthaar nicht mehr am Dachhimmel. Mittelklasse-Luftigkeit in der Golf-Klasse auch vorne, wo noch alle Knöpfe an ihren gewohnten Plätzen sitzen. Die Qualität ist unverändert auf höherem Niveau als bei den meisten Rivalen auf dem Golf-Platz. Das darf man bei den erneut gestiegenen Preisen (ab 15.220 Euro für das 1,4-Liter-Einstiegsmodell) auch erwarten.
Eine tolle Karosserie, aber lahme Benziner
Unzählige VW-Spezialisten erklären die inneren Werte des VW Golf 5. Aufwendige Feinarbeit an der Vorderachse, eine schon aus dem Ford Focus bekannte Vierlenker-Hinterachse und eine elektromechanische Servolenkung verbessern das Fahrverhalten. Moderne Laser-Schweißroboter sorgen für eine bis dahin nicht gekannte Steifigkeit der Karosserie.
Die ist auf der ersten Fahrt deutlich zu spüren. Auf der A 7 und den kurvigen Harz-Straßen fühlt sich der Golf 5 stets sicher und stabil an. Querfugen bleiben den Insassen verborgen, minimalistische Bewegungen der Karosserie sorgen für den nötigen Komfort. Die neue Lenkung ist schnell gelernt und belohnt mit überzeugendem Handling je nach Mut und Fähigkeit hinterm Steuer. Dank der Elektronik verzeiht der Neue menschliche Fehler bei zu schwerem Gasfuß.
Die Journalisten sind vom Auto begeistert. Der Überschwang beim Tischgespräch gilt aber nicht für alle Vierzylinder-Motoren, die zum Marktstart verfügbar sind. Drei Benziner mit 75 PS oder 90 PS (1,4 Liter) oder 116 PS (1,6 Liter Direkteinspritzer) sowie zwei Diesel mit 105 PS (1,9 l) oder 140 PS (2,0 l) lassen sich sofort konfigurieren. Vor allem der stärkere Benziner sorgt nicht gerade für Euphorie.
Die Nadel des Drehzahlmessers muss fast die Zahl 4.000 erreichen, bis der FSI seine maximale Durchzugskraft von 148 Newtonmetern freigibt. Vor allem die flotten Tester warten damals schon auf den Zweiliter-Benziner, der in Goslar zwar bereits ausprobiert werden kann, aber erst einige Monate später im Schaufenster stehen wird. 150 PS bringt er an die Vorderräder.
Als Kombi-Modell bietet der VW Golf Variant viel Stauraum.
Die Tester lieben die Diesel-Motoren im Golf 5
Einigkeit herrscht bei der Vorhersage, welches Modell des 5ers bei den Kunden das Rennen machen wird. Natürlich der TDI, egal ob mit 105 oder mit 140 PS. Er schafft die neue Euro-4-Norm, braucht kaum mehr als sechs Liter und überrascht auch ohne ausgeprägte Lebendigkeit mit einer Spitze von 190 km/h bzw. 205 km/h. Als 2008 Umweltzonen in deutschen Städten eingeführt werden, darf der Golf 5 problemlos hineinfahren.
Für den Golf-Interessenten wird die Bestellung zu einer Wissenschaft. Während der Lebensdauer des Golf 5 stehen 21 unterschiedliche Motorisierungen zur Wahl. Und dann die dicke Preisliste. Elektrische Fensterheber, Zentralverriegelung mit Fernbedienung, ESP, ABS oder sechs Airbags sind stets serienmäßig dabei. Doch Extras wecken Begehrlichkeiten. Zum Beispiel nach der Klimaanlage (1.225 Euro), dem Multifunktionslenkrad (545 Euro) oder dem Navigationssystem inklusive CD-Radio (2.340 Euro). Bei den meisten Versionen kostet auch das automatische Doppelkupplungsgetriebe einen Aufpreis.
Schon in Goslar ist vom kommenden GTI mit 200-PS-Turbomotor die Rede (2005). Bereits im Jahr darauf soll der Allrader 4motion zu haben sein. Der Kombi Variant und das Stufenheck-Brüderchen Bora werden zunächst auf Golf-4-Basis weitergebaut. Ein neuer Variant startet erst 2007.
Interessant und technisch raffiniert: der VW Golf GT mit doppelter Aufladung per Turbo plus Kompressor. Dieser 22.700 Euro teure 1,4-Liter-Benziner kommt 2006, bietet dank seiner beiden Kraftquellen 170 PS und rennt 220 km/h. Sein Verbrauch laut Norm: nur 7,3 Liter. Leider fehlt ihm die Haltbarkeit. Ganz oben im Portfolio bleibt VW klassisch. Der 2005 erscheinende R 32 mit Allradantrieb hat einen 3,2-Liter-Sechszylinder mit 250 PS und kostet 32.200 Euro.
Trotz dieses Überangebots an Triebwerken, Extras und serienmäßigen Innovationen geht der Golf 5 als Schlusslicht in die bisherige Hitparade der Baureihe ein. In den fünf Jahren bis zur Premiere des Golf 6 werden nur etwas mehr als 2,5 Millionen Stück verkauft. Fast zwei Millionen weniger als vom Vorgänger, der allerdings ein Jahr länger im Handel ist. Die späteren Verkäufer eines Golf 5 kümmern solche Statistiken kaum. Die Baureihe ist dank ihrer Langlebigkeit begehrt. Da rechnet sich der einst höhere Preis vielleicht doch noch.