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Zu sehen ist der Golf IV
Quelle: VW
Unter der Motorhaube des Golf-4-Basismodells arbeitet ein 1,4-Liter-Ottomotor mit 75 PS

Jahrzehntelang ist Bonn der Nabel der westdeutschen Welt. Aber 1997 wissen die knapp 140.000 Einwohner schon, dass die inzwischen gesamtdeutsche Regierung bald nach Berlin umsiedeln wird. Viele grollen, andere freuen sich auf die wiedergewonnene Beschaulichkeit ohne Dauerstau bei Staatsbesuchen. Vielleicht wollen die PR-Manager in Wolfsburg der Noch-Hauptstadt eine letzte Referenz erweisen, als sie zum ersten Test des Golf 4 nach Bonn einladen. Erstmals also wird ein Golf außerhalb Münchens präsentiert. 

Der schreibende Tross reist per Auto oder über den zwischen Köln und Bonn gelegenen Flughafen an. Er hat nicht nur den Golf 4 im Kopf, sondern auch zwei Männer. Einem von ihnen werden sie begegnen: VW-Patriarch Ferdinand Piëch hat eine Qualitätsoffensive ausgerufen, die in der Golf-Klasse neue Maßstäbe setzen wird. Der andere heißt José Ignacio López de Arriortúa. Er muss ein Jahr vorher seinen Firmenausweis abgeben und darf deshalb natürlich nicht an der großen Bonner Golf-Fete teilnehmen. Er gilt in Wolfsburg inzwischen als ungeliebte Person. Über Piëch und Lopez muss aber gesprochen werden, um den Golf 4 zu verstehen. 

Fritz Schnieder GmbH & Co. KG
Fritz Schnieder GmbH & Co. KG
Der VW Golf für die Familie

Als Kombi-Modell bietet der VW Golf Variant viel Stauraum.

Ein Auto-Krimi über Betriebsgeheimnisse und Sparmaßnahmen 

Porsche-Enkel Ferdinand Piëch erklimmt 1993 den Chefsessel bei VW und findet einen kränkelnden Riesen vor. Die stärker werdenden Japaner bauen bessere Qualität erheblich billiger. Piëchs Motto „Kosten runter, Qualität rauf“ gilt schon für den damals zwei Jahre alten Golf 3, dessen Produktion zu teuer ist. Dennoch sorgt er für Negativ-Schlagzeilen: Rost macht ihm zu schaffen. Deshalb wirbt der VW-Chef den gefürchteten spanischen Sanierer von General Motors (GM) ab.  

Zu sehen ist die Front des Golf IV
Quelle: VW
Die Scheinwerfer des Golf 4 behalten ihre Grundform. Sie werden lediglich nach außen abgerundet und enthüllen, dank Klarglas-Optik, das Innenleben der Beleuchtung

Lopez kommt mit einer siebenköpfigen Spezialisten-Truppe und hat 20 Kartons mit geheimen GM-Unterlagen im Gepäck – vor allem über die damals billigere Opel-Produktion. Lopez und seine Getreuen packen schnell zu. Sie drücken die Preise der Zulieferer, vereinfachen Abläufe. Zusammen mit VW-Personalvorstand Peter Hartz, der später unter Kanzler Gerhard Schröder für sein „Hartz IV“-Programm berühmt wurde, überzeugt Lopez die Belegschaft von einer 28-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich.  

Alles zusammen verbilligt die Produktion erheblich. Der „Würger von Wolfsburg“, wie Lopez schnell genannt wird, hat Erfolg. Aber auch Ärger mit den Behörden: Sein Datenklau beschäftigt die Gerichte, es kommt zum Krieg zwischen VW und General Motors. US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Helmut Kohl schalten sich ein und zwingen die beiden Unternehmen zu einem Vergleich. VW zahlt 100 Millionen Dollar Schadensersatz an GM und kauft für eine Milliarde Dollar Bauteile vom US-Konkurrenten. Lopez aber muss 1996 gehen. Für eine Strafzahlung von 400.000 Mark entgeht er einem Prozess. 

Der Golf wird in Generation IV wertiger 

Ein Krimi vor der Premiere überschattet also die Bonner Testtage, macht sie aber auch zu etwas Besonderem. Denn Ferdinand Piëch persönlich hat den Golf 4 zur Chefsache erklärt. Da geht es vor allem um die Maße. Mit rund 4,15 Metern Länge überragt der Vierer seinen Vorgänger gleich um 13 Zentimeter. Die Breite nimmt um vier Zentimeter zu, der Radstand dagegen um eher überschaubare 3,5 Zentimeter.  

Beim ersten Rundgang fallen die größeren Räder auf, die die Radhäuser schöner füllen als beim Vorgänger. Die breitere Spur sorgt für einen ungewohnt selbstbewussten Stand. Die Grundform der Lampen bleibt erhalten, wird aber außen abgerundet und enthüllt dank Klarglasoptik das Innenleben der Beleuchtung, Blinker und Nebelleuchte inklusive. 

Zu sehen ist der Golf IV in blauer Lackierung, stehend
Quelle: VW
Das Basismodell des Golf 4 sprintet in 11 Sekunden auf Tempo 100

Bei der Sitzprobe im Fond gefällt auf Anhieb das Plus an Platz. Hinterbänkler genießen mehr Komfort als im Vorgänger. Hinzu kommt der Eindruck von Hochwertigkeit, auf die Besitzer eines Kompaktautos bisher verzichten mussten. Aufgeschäumter Kunststoff an vielen Stellen, ein dickeres Lenkrad, Instrumente und Schalter auf hohem Qualitätsniveau. Serienmäßig gibt es unter anderem ABS und Airbag, zwei Jahre später nach dem A-Klasse-Debakel von Mercedes auch ESP. 

Und dann spürt man den Ursprung für Piëchs Spitznamen „Fugen-Ferdi“. Der Chef achtet nämlich penibel auf die Räume zwischen Türen, Motorhaube oder Heckklappe und der Karosse. Sie sind von nun an präzise minimiert. Seither stehen sie bei VW für Qualität. Unsichtbar dagegen, dass die Karosserie dank Vollverzinkung nunmehr dem Rost trotzen kann – weitestgehend, wie die Erfahrung mittlerweile zeigt. VW spendiert 12 Jahre Garantie auf das Blech.

VW fühlt sich von Japan bedroht 

Ein weiteres Golf-Detail erläutert Ferdinand Piëch abends beim Dinner dem Dutzend an auserwählten Tischgästen: Die Instrumente sind fortan blau beleuchtet. Mit seiner bekannt leisen Stimme und dem stets rätselhaften feinsinnigen Lächeln wagt er einen Ausflug in die Luftfahrt und den Kampf zwischen deutschen und britischen Jagdfliegern. Die deutsche Messerschmitt hätte eine weiße Instrumentenbeleuchtung gehabt, die englische „Spitfire“ eine blaue. „Und wer hat den Krieg gewonnen?“ Damit ist nach Piëchs Meinung alles erklärt. 

Von „Krieg“ spricht Piëch gerne, wenn er laut über die Konkurrenz nachdenkt. Vor allem die Stärke der Japaner macht ihm Sorge. „Das sind alles andere als Reisschüsseln“, sagt er bei diesem Bonner Tischgespräch und betont noch einmal: „Die Schlacht wird wesentlich bei den Kosten und der Qualität geschlagen. Aber auch auf der Straße.“ Damit nimmt er vorweg, was die Testfahrer am nächsten Morgen erwartet. Ein Rundkurs entlang des Rheins, über die bergigen Eifelstraßen und natürlich auf der deutschen Autobahn. 

Zu sehen sind drei Modelle des Golf IV
Quelle: Picture Alliance
Der Golf 4 meistert lang gezogene Biegungen, enge Kehren oder Kuppen auf gutem Mittelklasse-Niveau

Zur ersten Testfahrt fährt VW das große Besteck auf. Fünf Benziner stehen bereit: Die Basis mit 1,4 Litern Hubraum und 75 PS, das Volumenmodell mit 101 PS aus 1,6 Litern und zwei 1,8er mit 125 bzw. 150 PS – Letzterer mit Turbolader („1.8T“). Sogar der 2,3-Liter-VR5 spielt seinen besonderen Sound vor. Ebenso dabei: drei Diesel mit 86, 90 und 110 PS. Wir starten im wichtigen Benziner, die Leistungsklasse um 100 PS ist zu dieser Zeit besonders populär.  

Ein Alltagsauto mit Feiertagsambiente. Das Lenkrad lässt sich endlich in der Tiefe verstellen, Instrumente inklusive Bordcomputer („Mäusekino“) sind wie gehabt übersichtlich sortiert. Ein Navi ist noch nicht an Bord, kommt aber später in der gleichen Baureihe. Es hat sich viel getan seit dem Golf 3, das spürt man deutlich.

VW Golf 3 VR6
VW Golf 3 VR6
Ein Golf 3 mit sechs Zylindern

174 PS leistet der 2,8-Liter-Sechszylinder im Golf III VR6. Auf mobile.de ist der schnelle Kompakte noch zu haben.

Mit dem Modellwechsel des VW Golf steigt der Preis 

Wer genau hinhört, bemerkt im Stand das leise Rasseln des Achtventilers. Beim Fahren verschwindet es. Unser Vierer hat laut Datenblatt 145 Newtonmeter Drehmoment, was sich in der Praxis bestätigt. Häufig greifen wir zum Schalthebel. Der Motor will bei Laune und unter Druck gehalten werden, um in etwas mehr als zehn Sekunden auf Tempo 100 zu kommen. Auf der Autobahn 61 Richtung Koblenz schafft er laut Tacho zwar die angegebene Spitze von 190 km/h, gestoppt bleibt er aber drunter (182 km/h). 

Später auf der Bundesstraße 267 entlang der Ahr spielt das Fahrwerk seine Trümpfe aus. Auch dank der breiteren Spur fährt der kompakte Wolfsburger auf Mittelklasse-Niveau in lang gezogenen Biegungen, engen Kehren oder über Kuppen und Wellen. Fahrwerk und Federung sind zwar straffer als bei den Zeitgenossen wie dem Peugeot 306, bieten dennoch angemessenen Komfort. Bei Lenkpräzision und Bremsen orientiert sich der Golf ebenfalls an der sicheren Seite des Kundengeschmacks. 

Zu sehen sind zwei Golf IV Fahrzeuge. Einer von hinten und einer von vorn
Quelle: Picture Alliance
Die Radhäuser des Golf 4 werden dank der neuen, größeren Räder besser ausgefüllt. Der Radstand nimmt um 3,5 Zentimeter zu

VW gibt den Verbrauch des Antriebs mit 7,6 Litern Super auf 100 Kilometer an. Die Messung nach dem Tankstopp zeigt 10,7 Liter. Damals üblich, zumal die genormte Messmethode extrem untauglich für das richtige Leben draußen auf der Straße ist. Alle Autos dieser Epoche liegen deutlich über den versprochenen Werten. Heute wäre ein solcher Verbrauch für einen kleinen Benziner schockierend. 1997 hingegen schockte Golf-Fans nur der Preis, den VW für den Golf 4 verlangt. Umgerechnet 14.390 Euro kostet das Basismodell. Unser Testwagen kratzt sogar an der 20.000-Euro-Marke. 

GTI, Kombi, Cabrio, Sechszylinder: Der Golf bleibt vielfältig 

Beim Mittagsstopp blicken VW-Verantwortliche insgeheim in die Zeit nach 1997. Bald würde man bei Dieseln das Pumpe-Düse-Prinzip einführen, deuten sie an. 1999 startet der 1,9 TDI (mit rotem D und I am Heck) mit 285 Newtonmetern bei nur 5,1 Litern Verbrauch. 1998 kommt das Cabrio, allerdings als Mogelpackung, denn unterm Blech in Golf-4-Optik versteckt sich der Golf 3. Auf der Hochhausbaustelle des Bahn-Towers am Berliner Potsdamer Platz feiert VW 1999 die Premiere des Golf Variant. Das Erstaunliche: Er ist fast baugleich mit der Kombiversion des Bora. 

Das Kürzel GTI des Golf 4 wird auf eine Ausstattungsvariante für viele Motorvarianten reduziert. Die Fans sind enttäuscht, sie wünschen sich die Eigenständigkeit wieder zurück. VW hat derweil andere Pläne: Sportliche Spitze sollen die Sechszylinder sein. Sie starten mit 204 PS oder als R32 mit 241 PS. Beide Antriebe basieren auf dem VR6-Motor des Golf 3. 

VW bleibt mit dem Golf 4 beim Sechsjahres-Zyklus. 2003 wird er nach 4,3 Millionen verkauften Autos in Rente geschickt. Für viele gilt er heute als der beste Golf von allen. Das wird wohl kaum an seinen schlanken Fugen liegen. Wohl aber an seiner Qualität. 

Der VW Golf 4 in Bildern

Zu sehen ist der Golf IV
Zu sehen ist der Golf IV in seitlicher Position
Zu sehen sind zwei Golf IV Fahrzeuge. Einer von hinten und einer von vorn
Zu sehen sind drei Modelle des Golf IV
Zu sehen ist der Golf IV
Zu sehen ist der Golf IV in blauer Lackierung, stehend
Zu sehen ist das VW Golf Cabrio von 1998
Zu sehen ist die Front des Golf IV
Quelle: VW
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Unter der Motorhaube des Golf-4-Basismodells arbeitet ein 1,4-Liter-Ottomotor mit 75 PS
Quelle: Picture Alliance
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Der Golf 4 misst 4,15 Meter und ist somit 13 Zentimeter länger als sein Vorgänger
Quelle: Picture Alliance
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Die Radhäuser des Golf 4 werden dank der neuen, größeren Räder besser ausgefüllt. Der Radstand nimmt um 3,5 Zentimeter zu
Quelle: Picture Alliance
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Der Golf 4 meistert lang gezogene Biegungen, enge Kehren oder Kuppen auf gutem Mittelklasse-Niveau
Quelle: Picture Alliance
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Wer rastet, der rostet: Dank der Vollverzinkung des Golf 4 bleibt Rostbildung weitgehend aus. Volkswagen gibt 12 Jahre Garantie auf den Blechkörper
Quelle: VW
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Das Basismodell des Golf 4 sprintet in 11 Sekunden auf Tempo 100
Quelle: VW
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Das Golf 4 Cabrio feiert 1998 Premiere. Unter dem Blech in "Golf-4-Optik" verbirgt sich der Golf 3
Quelle: VW
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Die Scheinwerfer des Golf 4 behalten ihre Grundform. Sie werden lediglich nach außen abgerundet und enthüllen, dank Klarglas-Optik, das Innenleben der Beleuchtung
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