Steht das Verbrennerverbot vor dem Aus?
Ist eine neue EU-Initiative zur CO2-Bilanz der Hebel, um das für 2035 angekündigte Zulassungsverbot für Benzin- und Dieselmotoren zurückzudrehen? Hier sind die Fakten.
- EU-Dossier sorgt für Diskussionen zum Verbrenner-Aus
- Tatsächlich ist das Zulassungsverbot für neue Benziner und Diesel ab 2035 ohnehin nicht in Stein gemeißelt.
- Zugelassene Benziner und Diesel dürfen weiter fahren
- Milliardeninvestitionen: Autohersteller bleiben bei E-Mobilität
- Verbrenner finanzieren Umstieg auf E-Mobilität
- Neue Verbrenner-Generation in Entwicklung
- Synthetische Kraftstoffe kommen
Kommt die Rolle rückwärts? Kippt die EU das Zulassungsverbot für Benzin- und Dieselmotoren ab 2035, so wie es aktuell in verschiedenen Medien spekuliert wird? Nicht wenige Fans der klassischen Verbrennungsmotoren reiben sich schon freudig die Hände – neue Benziner mit V8 auch nach 2035 und Diesel-Drehmomentmonster als Neuware bis in alle Ewigkeit, die Petrolheads wittern goldene Zeiten.
Wie realistisch sind diese Wunschträume der Verbrennerfans? Was macht die Politik und, ganz wichtig, was hat die Autoindustrie in der Pipeline?
Alle Infos im Überblick:
- Ein EU-Dossier sorgt für Diskussionen zum Verbrenner-Aus, weil Technologieoffenheit gefordert wird.
- In Stein gemeißelt ist das Zulassungsverbot für Diesel und Benziner bislang nicht, 2026 wird es überprüft.
- Bereits zugelassene Verbrenner dürfen weiter fahren, auch nach 2035.
- Autohersteller haben bereits Hunderte Milliarden in die E-Mobilität investiert, sie werden sie nicht zu den Akten legen, fahren ihr Engagement aber aktuell zurück.
- Mit Verbrennern verdient die Industrie das Geld für den Umstieg auf die E-Mobilität.
- Eine neue Verbrenner-Generation ist in der Entwicklung, die Autos sind auch für europäische Kunden gedacht.
- Synthetische Kraftstoffe kommen. Ab April ist nachhaltiger Diesel in Deutschland an der Tankstelle zu haben. Mit ihm wird der Diesel beinahe CO2-neutral.
EU-Dossier sorgt für Diskussionen zum Verbrenner-Aus
Woher kommen die Vermutungen, dass die europäische Politik ihre Pläne zum Verbrenner-Aus über den Haufen werfen will? Sie gehen auf Aussagen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zurück. Als erstes Medium bezog sich die österreichische Kronen Zeitung auf ein EU-Dossier, in dem die Technologieoffenheit ein Thema ist, und zitiert Frau von der Leyen wie folgt: „So soll sichergestellt werden, dass es Offenheit für Technologien und Wahlmöglichkeiten gibt.“ Das Dossier fordert mutmaßlich, die Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen, die beim Erzeugen des Fahrstroms von E-Autos entstehen. Das geschieht bislang nicht, darum gelten batterieelektrische Autos automatisch als Nullemissionsfahrzeuge, selbst wenn ihr Strom aus einem Kohlekraftwerk stammt. Die Kronen Zeitung und weitere Medien folgern aus dieser Aussage, dass das Verbrenner-Aus in seiner bisherigen Form gekippt werden könnte, weil E-Autos nach der neuen Lesart verhältnismäßig schlecht beim Klimaschutz dastehen.
mobile.de hat im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) nachgefragt. Ein Sprecher bringt Klarheit in die Diskussion und sagt: „Fahrzeuge mit Elektroantrieb werden weiterhin mit Nullemissionen angerechnet. Die Anrechnung der bei der Stromerzeugung entstehenden CO2-Emissionen erfolgt im Energiesektor. Dem BMDV sind hier keine Änderungspläne bekannt. Medienberichte, die Gegenteiliges nahelegen, beziehen sich auf das EU-Dossier ‚Count Emissions EU‘. Hierbei besteht kein Zusammenhang zu den CO2-Flottenzielwerten.“ Die Diskussion rund um das Verbrenner-Aus basiert also auf einem Missverständnis. E-Autos werden künftig nicht schlechter eingestuft, wie von verschiedenen Medien angenommen, eben weil sie lokal keine Schadstoffe emittieren. Was bei der Stromerzeugung geschieht, ist bei ihrer Bewertung nicht von Bedeutung. Die EU-Kommission sieht sie weiterhin als die saubere Alternative zum Verbrennungsmotor. Und das ist folgerichtig, weil die Emissionen, die bei der Produktion von Diesel oder Benzin entstehen, ebenfalls nicht den Autos angekreidet werden, sondern der produzierenden Industrie.
Tatsächlich ist das Zulassungsverbot für neue Benziner und Diesel ab 2035 ohnehin nicht in Stein gemeißelt.
Dazu noch einmal der Sprecher des BMDV: „Die EU-Verordnung zur Festlegung der CO2-Flottenzielwerte sieht vor, dass die Herstellerflotten neu zugelassener Pkw und leichter Nutzfahrzeuge ab 2035 grundsätzlich eine CO2-Reduktion von 100 Prozent nachweisen müssen. Bundesminister Dr. Volker Wissing hat sich im Rahmen der Verhandlungen zu den CO2-Flottenzielwerten erfolgreich dafür eingesetzt, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die ausschließlich mit erneuerbaren E-Fuels betrieben werden, auch über 2035 hinaus neu zugelassen werden können. Die Europäische Kommission hat zugesagt, Genehmigungsvorschriften für E-Fuels-only-Fahrzeuge zu schaffen. Dies ist im Rahmen der Regulierung von ‚Euro 7‘ geplant.“ Neben Deutschland hat auch Italien dafür gekämpft, eine CO2-Freiheit des Verkehrs nicht ausschließlich mit E-Autos anzustreben und technologieoffen vorzugehen. Auch Autos, die mit Benzin- oder Dieselkraftstoffen aus nachhaltiger Produktion und ohne fossile Grundstoffe angetrieben werden, sollen deshalb über das Jahr 2035 hinaus weiterhin gebaut und zugelassen werden dürfen.
Ein Sprecher der EU-Kommission aus dem Büro von Frau von der Leyen ergänzt dazu: „Die vereinbarten Rechtsvorschriften über CO2-Normen für Autos sehen vor, dass alle in Europa verkauften Neuwagen ab 2035 auspuffseitig emissionsfrei sein müssen. Diese Gesetzgebung ist technologieneutral. Auf unserem Weg in das Jahr 2035, in dem nur noch emissionsfreie Fahrzeuge in Europa verkauft werden dürfen, wird die Kommission die Fortschritte kontinuierlich überprüfen und die Industrie und die Gesellschaft bei der Umstellung unterstützen. Es gibt eine Überprüfungsklausel in den Rechtsvorschriften, die besagt, dass die Kommission im Jahr 2026 die Fortschritte bei der Erreichung der Ziele unter Berücksichtigung der technologischen Entwicklungen und der Bedeutung eines wirtschaftlich tragfähigen und sozial gerechten Übergangs zur Emissionsfreiheit bewerten wird. Wir wollen jetzt nicht vorwegnehmen, was uns diese Überprüfung zeigen wird.“ Das letzte Wort zum endgültigen Verbrenner-Aus wird also frühestens 2026 gesprochen.
Zugelassene Benziner und Diesel dürfen weiter fahren
Räumen wir mit einem Mythos auf. Verbrennerverbot ab 2035 heißt nicht und hieß auch nie, dass im Jahr 2035 alle Autos mit Benzin- oder Dieselmotor in der EU von den Straßen verschwinden müssen. Wer heute so ein Auto besitzt, der darf es auch in Zukunft fahren, auch nach 2035. Ob sich lokale politische Rahmenbedingungen ändern, ob Metropolen Fahrverbotszonen für Autos mit fossil befeuerten Motoren einrichten werden, bleibt allerdings abzuwarten. Ein generelles Fahrverbot sieht die EU jedenfalls nicht vor.
Milliardeninvestitionen: Autohersteller bleiben bei E-Mobilität
Die Autobauer haben sich auf die Vorgaben und die damit verbundenen Flottenziele eingestellt und längst klargemacht, dass sie den Eintritt in die Elektromobilität anstreben. Auch weil EU-weit gültige Flottengrenzwerte für den CO2-Ausstoß der Modellpaletten einen schrittweisen Umstieg auf Elektroautos erfordern. Die Hersteller haben deshalb Hunderte Milliarden Euro in die Entwicklung elektrischer Antriebe und die damit verbundenen Änderungen in ihren Unternehmen investiert. Keiner von ihnen will bis 2035 damit warten, sein Angebot umzustellen, viele haben schmissige Slogans entwickelt, unter denen die Programme zur Transformation laufen. Bei Mercedes heißt es beispielsweise Electric first. Es hieß aber auch schon Electric only. Durch die Absatzflaute bei E-Autos sortieren sich viele Hersteller momentan jedoch neu. Sie planen, ihre konventionell angetriebenen Autos weiterzuentwickeln und teilweise länger im Programm zu halten, was auch in Europa viele Kunden freuen wird, deren Bedürfnisse noch nicht völlig von der E-Mobilität abgedeckt werden.
Verbrenner finanzieren Umstieg auf E-Mobilität
Noch ist es ohnehin so, dass die Gewinne der Hersteller am Verbrenner hängen. Die Umsätze, die mit Benzin- und Dieselmodellen verdient werden, müssen den Umstieg auf den neuen Antrieb finanzieren. Logisch, dass mehr Umsatz durch mehr Verkäufe konventionell angetriebener Autos diese Finanzierung erleichtert. Ist den Herstellern also auch an einem Verbrenner-Aus gelegen? Zumal klar ist, dass sie noch für Jahrzehnte ein paralleles Angebot bieten müssen. Denn längst nicht alle Weltregionen sind reif für die E-Mobilität. Der afrikanische Kontinent tut sich schwer, Indien ebenso, aber auch Latein- und Südamerika. Und die USA benötigen für den Schwenk zum Stromer ebenfalls länger. Bislang hat er vor allem in den Bundesstaaten der West- und Ostküste Fuß gefasst. Die große Mitte der USA – Pick-up-Country – fremdelt mit dem E-Motor als Ersatz für den V8. Elektrisch angetriebene Ford F-150 stehen sich beim Handel die Reifen eckig, während die konventionellen Geschwister verkauft werden wie frische Donuts. Für all die E-Auto-Nachzügler-Weltregionen werden die Autobauer also weiterhin Modelle mit Verbrennungsmotoren im Programm behalten. Welche das sein werden, ist ein gut gehütetes Geheimnis der Branche.
Internationale Initiativen zu Verbrennerverboten
Würden bereits heute die weltweit angekündigten Verkaufs- oder Zulassungsverbote für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor gelten, wären 36,6 Millionen Einheiten oder 45,6 Prozent vom aktuellen globalen Absatzvolumen betroffen. Wobei China in diese Gleichung mit allein 18,5 Millionen Stück eingeht (basierend auf 2021er-Zulassungszahlen).
Am Ende sind die Fahrverbote vieler kleiner Staaten, zu denen auch Deutschland zählt, zwar positiv, für die globale Entwicklung aber nicht entscheidend. Auch wenn immer mehr Nationen über solche Zulassungsverbote nachdenken, entscheidet sich in China, wie der Antriebsstrang der Zukunft aussehen wird. China will sich allerdings mit einem endgültigen Zulassungsverbot für konventionelle Autos Zeit lassen. Das Riesenreich bleibt bei der Transformation des Verkehrssektors dennoch nicht untätig. China hat ein sogenanntes „CO2-Twin-Ziel“, nämlich den CO2-Maximalausstoß im Jahr 2030 und die CO2-Neutralität ab 2060. Im Zuge dessen dürfte es auch zu Einschränkungen bei Fahrzeugen kommen. Dem Twin-Ziel folgend, müssen bis 2035 alle in China verkauften Neufahrzeuge mit „neuen Energien“ betrieben werden. Die Hälfte davon müssen Elektro-, Brennstoffzellen- oder Plug-in-Hybridfahrzeuge sein – die restlichen 50 Prozent sind Hybridfahrzeuge. China fasst all diese Fahrzeuge unter dem Kürzel NEV (New Electric Vehicles) zusammen. Der Umstieg auf rein elektrische Mobilität ist jedoch erst für 2060 geplant. Auf Provinz- und Stadtebene gibt es bereits geplante Einschränkungen für Verbrenner, die früher greifen.
Deutschland, Frankreich, die Benelux-Länder, Skandinavien und Großbritannien sind hier längst weiter. Zwar sanken die Neuzulassungen von E-Autos in den vergangenen Monaten, Experten sehen dies allerdings lediglich als vorübergehenden Effekt. Auch weil die Automobilindustrie endlich bezahlbare BEV angekündigt hat. Sie werden der Elektromobilität neuen Schwung geben, weil sie das Fahrzeugangebot für die breite Masse viel attraktiver machen werden. Und dann ist da natürlich noch China, mit rund 20 Millionen neu zugelassener Pkw im vergangenen Jahr mittlerweile mit Abstand der wichtigste Automarkt weltweit – und mit großen Schritten Richtung Elektrifizierung der Flotte unterwegs. Der VW-Konzern verkauft etwa 30 Prozent seiner Autos in dem Riesenreich, das elektrisch fahren will und muss, die Partei gibt es so vor. VW hat also definitiv kein Interesse daran, die Elektromobilität wieder verkümmern zu lassen. Dasselbe gilt für alle anderen international aktiven Hersteller.
Neue Verbrenner-Generation in Entwicklung
Bis zum Herbst 2024 soll festgelegt werden, wie genau die Ausnahmen für die E-Fuels geregelt werden, und zwei Jahre später wird die EU-Kommission diese Regelungen, wie oben angekündigt, noch einmal auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Dazu passt eine Aussage von Audi-Chef Gernot Döllner, die er in einem Automobilwoche-Interview gemacht hat: „Bis 2026 planen wir, noch mal eine neue Generation an Verbrennermodellen vorzustellen. In Europa und Nordamerika lassen wir diese voraussichtlich im Jahr 2033 auslaufen. Bis dahin werden wir neben vielen neuen E-Modellen auch unsere Verbrenner sowie Plug-in-Hybride attraktiv halten.“ Ähnliche Aussagen sind von BMW, Mercedes-Benz und anderen Herstellern zu hören.
Synthetische Kraftstoffe kommen
Es sieht also ganz so aus, als würden uns interessante Benzin- und Dieselmotoren noch eine ganze Weile begleiten. Wer sie ohne klimaschädliche Emissionen fahren möchte, bekommt schon bald die Chance dazu. Denn ab Frühjahr 2024 soll endlich auch in Deutschland der Verkauf von synthetischem Diesel, der nicht aus Rohöl hergestellt wird, erlaubt sein. In vielen anderen europäischen Staaten ist das längst der Fall. Schon Mitte April könnte es losgehen mit dem Verkauf von Klimadiesel 90, verkündet der Bundesverband freier Tankstellen. Denn der Umwelt ist es einerlei, welcher Motor für Vortrieb sorgt, solange der Kraftstoff oder seine Energie nachhaltig erzeugt werden. Ökodiesel ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Er hat das Potenzial, das Verbrenner-Aus über das Jahr 2035 hinauszuschieben.
Grundsätzlich ist das Verbrennerverbot ein Baustein der europäischen „Fit for 55“-Strategie. Die Mitgliedstaaten haben sich auf eine kollektive Verpflichtung geeinigt, den CO2-Ausstoß schrittweise in allen Bereichen zu verringern. Energiesektor, Industrie, Landwirtschaft, Heizungen und natürlich der Transport- und Verkehrssektor müssen zu diesem Ziel beitragen. Bis 2025 sollen die Emissionen um 15 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 gesenkt werden, 2030 werden die namensgebenden 55 Prozent angestrebt. In den folgenden fünf Jahren haben die Autohersteller noch Zeit, ihre Modelle komplett auf emissionsfreie Antriebe umzustellen. Ausgenommen sind Hersteller, die weniger als 10.000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren, wie beispielsweise Ferrari.
Weil der Energiesektor seinen Teil zur „Fit for 55“-Strategie beitragen muss und Strom so immer nachhaltiger wird, wird auch das E-Auto immer umweltfreundlicher. Eigenheimbesitzer, denen das zu langsam geht, haben die Chance, ihre persönliche Mobilitätswende durch die Installation von Solarzellen kräftig zu beschleunigen.