Das bedeutet ein 130-km/h-Tempolimit
Die Tempolimit-Diskussion startet (mal wieder) neu: Der Verkehrssicherheitsrat empfiehlt Tempo 130 auf deutschen Autobahnen. Wird das den Fahrzeugmarkt verändern?
- Tempolimit: Keine akute Beeinflussung des Autohandels absehbar
- Tempolimit: Auswirkungen auf Elektroautos und Assistenzsysteme
- Warum soll ein Tempolimit kommen?
- Zahlen: Verkehrstote nach Verkehrswegen in Deutschland
- DVR-Beschluss: Mögliche Ausnahmen des Tempolimits
- Zahlen: Verkehrstote auf europäischen Autobahnen
Das Tempolimit: eine ewige Grundsatzdiskussion. Wer darüber spricht, führt schnell schwerwiegende Argumente an. Auf der einen Seite: Umwelt, Sicherheit, Menschenleben. Auf der anderen: die positive Unfallstatistik auf freigegebenen Autobahnen, Entwicklungsvorsprung, Verkaufsargument im Export, Freiheit. Bisher bleibt alles beim Alten. Zuletzt am 14. Februar 2020 stimmte der Bundesrat gegen ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
Jetzt lebt die Diskussion dennoch wieder auf. Innerhalb kurzer Zeit ist es der dritte Versuch, das Tempo auf der Autobahn einzufangen. Weitere werden folgen: Die allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung hat einflussreiche Unterstützer. Die Autoclubs ADAC und ACE sind inzwischen dafür. Nun stimmt der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) ebenfalls zu: Am 11. Mai beschloss er, sich für Tempo 130 einzusetzen.
Der DVR hat Einfluss. Der Verein bündelt die Verkehrskompetenz von mehr als 200 Organisationen. Darunter sind die Verkehrsministerien in Bund und Ländern, die Deutsche Verkehrswacht, Verkehrsclubs, Autohersteller ebenso wie Versicherer, Kirchen oder Verkehrsunternehmen.
Wird es nun eng für freie Fahrt auf der Autobahn? Eine Entscheidung gibt es zwar nicht. Aber gäbe es ein generelles Tempolimit, wie würde das Deutschland verändern? Bedeuten 130 km/h Höchstgeschwindigkeit einen Wandel für den Automarkt? Werden Elektroautos interessanter? Werden Sportwagen weniger gekauft? Was bedeutet das für autonome Fahrzeuge?
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Tempolimit: Keine akute Beeinflussung des Autohandels absehbar
Zunächst: Die öffentliche Debatte über ein Tempolimit beeindruckt den Markt nicht. Auf mobile.de war im Januar und Februar 2020 während der Diskussion zum Thema keine Veränderung in der Standzeit bestimmter Autotypen festzustellen. Kleinwagen und Minis sind nicht beliebter, weil die Politik den Tempo-Deckel verhandelt. Große Autos mit starken Motoren stehen nicht länger beim Händler. Die Statistik zeigt nur saisonale Schwankungen, ungefähr auf dem Niveau des Vorjahres.
Christoph Stürmer, Analyst beim Unternehmen PwC, denkt, dass ein Tempolimit gar keine Relevanz für den Fahrzeugabsatz hätte. „Fast alle Autos können heute ohnehin deutlich schneller als Tempo 130 fahren“, sagt er im Gespräch mit mobile.de. „Statistisch gesehen überschreiten nur die wenigsten Autofahrer tatsächlich die Richtgeschwindigkeit deutlich.“ Dass es weiterhin Bedarf an starken, schnellen Fahrzeugen geben wird, würden die Märkte USA und China beweisen.
Ein Blick auf die Nachbarländer bestätigt, dass die Motorleistung nicht unbedingt etwas mit dem Tempolimit auf Autobahnen zu tun hat. Während in Deutschland (ohne Tempolimit) der durchschnittliche Neuwagen rund 153 PS stark ist, kaufen die Schweizer (mit Tempolimit) im Schnitt Autos mit 179 PS. Liechtensteiner leisten sich sogar 215 PS. Tendenz: jeweils steigend.
Tempolimit: Auswirkungen auf Elektroautos und Assistenzsysteme
Autoexperte Stefan Bratzel, Leiter des Instituts Center of Automotive Management, offenbart einen neuen Blickwinkel. Er sagt, dass sich mit dem Durchsetzen der Elektromobilität das Thema Tempolimit von allein relativieren wird. Hohe Geschwindigkeiten seien mit Elektroautos kontraproduktiv, weil sich dadurch die Reichweite drastisch verkürzt. „Es wird sich eine Abkühlung der Diskussion ergeben“, sagt er mobile.de.
Experte Stürmer betrachtet die Themen Elektromobilität und Tempolimit zunächst separat: Langfristig fahre ein Großteil der Elektroautos vor allem im urbanen Raum, nicht auf freigegebenen Autobahnen. Nur im Top-Segment können Elektroautos im Falle eines generellen Tempolimits attraktiver werden, schätzt Stürmer. Der Nachteil geringer Effizienz bei hohen Geschwindigkeiten wäre relativiert, wenn die Obergrenze bei 130 km/h liege. Luxuriöse Stromer mit riesigen Akkus und hoher Reichweite könnten also profitieren.
Vor allem hätte ein generelles Tempolimit Auswirkungen auf die Entwicklung und Verbreitung von Assistenzsystemen. Stürmer sagt: Wenn die Option des schnellen Fahrens wegfällt, wird bequemes und automatisiertes Gleiten interessanter. „Auf die Dauer der Fahrt habe ich dann keinen Einfluss mehr, also mache ich es mir bequem.“ Derzeit sind vollautonome Autos in Europa noch nicht zulässig, unterstützende Assistenz gibt es bereits.
Vorführwagen werden von Händlern meist zur Ausstellung oder für Probefahrten genutzt.
Warum soll ein Tempolimit kommen?
Der DVR führt für das Tempolimit eine Reihe von Gründen an. Deutschland ist das einzige Land der EU, das auf Autobahnen generell keine Höchstgeschwindigkeit vorschreibt. Das führt zu großen Differenzen in der gefahrenen Geschwindigkeit, vor allem in Bezug auf Busse und Lkw. Deutschland erreicht in der Unfallstatistik europaweit nur das Mittelfeld. Unfälle mit hohem Tempo hätten häufig einen tragischen Ausgang.
Das Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 sieht vor, die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent zu senken. Dieses Ziel habe die Regierung verfehlt. Nach Angaben von Statista ist die Zahl von 4.009 (2011) bisher auf 3.059 (2019) gesunken. In den ersten zwei Monaten 2020 sind nach Daten des Statistischen Bundesamts 412 Menschen im Straßenverkehr gestorben.
EU-weit soll die Zahl der Verkehrstoten innerhalb der kommenden zehn Jahre um weitere 50 Prozent kleiner werden. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, die meisten Unfälle mit Personenschaden ereignen sich innerhalb geschlossener Ortschaften. Die meisten Verkehrstoten gibt es auf Landstraßen. Der DVR sieht das Tempolimit dennoch als günstige und schnelle Lösung, um im Straßenverkehr Leben zu retten. Ziel sei die „Vision Zero“, die Vision von null Verkehrstoten.
Zahlen: Verkehrstote nach Verkehrswegen in Deutschland
Jahr | Verkehrstote innerorts | Verkehrstote außerorts (ohne Autobahnen) | Verkehrstote auf Autobahnen |
---|---|---|---|
2018 | 984 | 1.867 | 424 |
2017 | 976 | 1.795 | 409 |
2016 | 960 | 1.853 | 393 |
2015 | 1.048 | 1.997 | 414 |
2014 | 983 | 2.019 | 375 |
2013 | 977 | 1.934 | 428 |
2012 | 1.062 | 2.151 | 387 |
2011 | 1.115 | 2.441 | 453 |
2010 | 1.011 | 2.207 | 430 |
2009 | 1.225 | 2.452 | 475 |
(Quelle: DVR)
DVR-Beschluss: Mögliche Ausnahmen des Tempolimits
Ob die Veröffentlichung des DVR-Beschlusses künftig das Fahren auf der Autobahn beeinflusst, muss sich noch zeigen. Die SPD befürwortet diesen Schritt. Das Thema dürfte bald wieder zur Abstimmung stehen, schätzt Bratzel. Wie diese ausgeht, ist ungewiss. Ein kleiner Trost für Besitzer schneller Autos: Der DVR schlägt keine generelle Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit vor. Allgemein gilt Tempo 130. Dennoch soll es möglich sein, das Höchsttempo „in Ausnahmefällen mit besonderer Begründung anheben“ zu können.
Auf die Beliebtheit verschiedener Fahrzeugklassen dürfte dieser Schritt wenig Auswirkungen haben. Das letzte Wort ist ohnehin noch nicht gesprochen. Stürmer schlägt statt eines generellen Tempolimits vor, mithilfe flexibler Tempovorgaben den Verkehrsfluss zu verbessern. Das funktioniere zum Beispiel mit dynamischen Geschwindigkeitsbegrenzungen in Kombination mit einer Anzeige der Verkehrsdichte. Von mehr Gleichmäßigkeit des Verkehrs auf den Autobahnen könnten Sicherheit und Umwelt profitieren – ganz ohne generelle Verbote.
Familienautos sollten viel Platz bieten und Sicherheit für alle Insassen.
Zahlen: Verkehrstote auf europäischen Autobahnen
Land | Tempolimit auf Autobahnen | Unfalltote auf Autobahnen pro 1 Mrd. Fahrzeugkilometer in 2011-2013 |
---|---|---|
Litauen | 130 | 5,3 |
Polen | 140 | 4,8 |
Ungarn | 130 | 4,4 |
Portugal | 120 | 3,8 |
Italien | 130 | 3,1 |
Tschechien | 130 | 3,0 |
Belgien | 120 | 2,9 |
Slowenien | 130 | 2,9 |
Spanien | 120 | 2,6 |
Norwegen | 90 | 1,9 |
Deutschland | - | 1,9 |
Frankreich | 130 | 1,7 |
Finnland | 120 | 1,6 |
Schweiz | 120 | 1,6 |
Schweden | 120 | 1,2 |
Niederlande | 130 | 1,2 |
Vereinigtes Königreich | 113 | 1,0 |
Dänemark | 130 | 0,8 |
(Quelle: Statista, European Transport Safety Council. Die Fahrzeugkilometer werden unterschiedlich erhoben.)