Stand der Technik: Rückkehr der Trommelbremse
Mit der E-Mobilität feiert die Trommelbremse ihr Comeback: Viele Elektroautos tragen sie an der Hinterachse. Jetzt lesen.
- Die Trommelbremse ist älter als das Auto
- Kaum anfällig für Rost und eine gute Feinstaubkapselung
- Rekuperation, was ist das eigentlich?
- Trommelbremsen eignen sich für die Vorderachse
- Elektrische Motoren ersetzen bei der trockenen Bremse die Hydraulik
- Wartungsfreie Bremsen sind das Ziel
- Leichtbau als Entwicklungsziel
Vier hydraulisch betätigte Scheibenbremsen sind der gesetzte Standard in unseren Autos, abgesehen von ein paar Kleinwagen, die an der Hinterhand auf die altertümlich wirkenden Trommelbremsen setzen. Mit dem Schwenk zur Elektromobilität ändert sich nun alles: Die Trommelbremse erlebt eine Renaissance, und eine hydraulische Betätigung ist nicht mehr zwingend vorgesehen. Denn beim E-Auto gelten neue Gesetzmäßigkeiten, auch weil beim Verzögern durch die Rekuperation Energie zurückgewonnen werden kann, während beim Verbrenner diese ungenutzt als Wärme verpufft. Aber der Reihe nach.
Die Trommelbremse ist älter als das Auto
Seit 1881 gibt es Trommelbremsen und damit schon vier Jahre länger als das Auto, denn der Daimler-Patentwagen rumpelte ja erst ab 1885 durch Süddeutschland. Erfunden wurde die Trommelbremse tatsächlich für das Fahrrad. Ans Auto fand sie erst im Jahr 1900, weil Wilhelm Maybach, damals der Chefkonstrukteur bei Daimler, sie in den Mercedes 35 PS einbauen ließ – natürlich an der Hinterachse. Denn Maybach und Kollegen gingen vor gut 120 Jahren davon aus, dass sich ein Auto überschlagen würde, wenn auch die Vorderräder stark abgebremst werden könnten. Diese Meinung wurde erst in den 1920er-Jahren zu Grabe getragen.
Bremstrommeln, auch an der Vorderachse, blieben bis weit in die 1960er-Jahre die Wahl der Hersteller bei den Verzögerungssystemen. Die Scheibenbremse fand Mitte der 1950er-Jahre über den Rennsport ins Auto und wurde schnell zum dominierenden Geschwindigkeitsvernichter für sportlichere und teurere Fahrzeuge.
Trommelbremsen gibt es seit 1881 und damit vier Jahre länger als das Auto
Zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als wäre die Trommelbremse vom Aussterben bedroht. Schließlich tut sie sich schwer damit, die beim Bremsen entstehende Wärme loszuwerden. Vor allem bei leistungsstarken Fahrzeugen ist das aber dringend nötig, sonst kann Bremsfading auftreten. Dann überhitzt die Bremse und der Bremsweg wird länger und länger – ein enormes Sicherheitsrisiko. Das lässt sich mit der Scheibenbremse mit wenig Aufwand auf null reduzieren. Schließlich liegen bei ihr die hitzigen Reibpartner, also Scheibe und Beläge, schön im Fahrtwind – damit allerdings auch voll im Spritzwasser. Das kann im Winter ein Problem sein. Dann trägt das Wasser nämlich jede Menge Salzlake mit auf die Bremse. Rost und Gammel sind die Folge, wenn die Bremse nicht ab und zu richtig auf Temperatur kommt. Bei Kleinwagen, wie einem Opel Corsa, Smart Fortwo oder VW Up, die hauptsächlich in der Stadt bewegt werden, geschieht dies fast nie. Sie sind mit einer Trommelbremse an der Hinterachse daher sehr richtig ausgerüstet, denn die umschließende Trommel schützt die beweglichen Teile der Bremse wirkungsvoll vor der Salzlakedusche.
Kaum anfällig für Rost und eine gute Feinstaubkapselung
Die gekapselte Bauform, bei der sich alle beweglichen Teile geschützt im Inneren der Trommel befinden, bringt gleich zwei Vorteile – vor allem beim E-Auto, bei dem der Korrosionsschutz eine wichtige Rolle spielt. Ein VW-Sprecher dazu: „Die Bremse an der Hinterachse wird selten genutzt, was Korrosion zur Folge haben kann. Bei einem Elektroauto verstärkt sich der Effekt, erst recht, wenn der Motor an der Hinterachse sitzt. Er treibt diese nämlich nicht nur an, sondern verzögert sie auch, sobald er durch Rekuperation als Generator fungiert und Bremsenergie zurück in die Antriebsbatterie speist. Deshalb kommen im Alltag die hinteren Bremsen nur bei vergleichsweise starken Bremsmanövern zum Einsatz.“ Der VW-Konzern setzt darum bei vielen E-Modellen (beispielsweise Cupra Born, Skoda Enyaq iV, VW ID.3 und VW ID.4) auf Trommelbremsen an der Hinterachse. Diese bieten noch einen weiteren Vorteil: Sie halten den Abrieb im Inneren zurück. Das ist wichtig angesichts strenger werdender Feinstaub-Emissionsvorschriften, die im Entwurf der Euro-7-Norm enthalten sind. Denn künftig soll die EU-Richtlinie auch den Abrieb der Reifen oder der Bremsen regulieren. Ab wann genau diese Regulierung greift, ist aber derzeit noch offen.
Wie effektiv die Trommel den Abrieb kapselt, ist offensichtlich. Hinterräder mit Scheibenbremse sind nach kurzer Zeit von schwarzem Staub bedeckt, ein Pendant mit Trommel zeigt dagegen kaum Verschmutzungen.
Rekuperation, was ist das eigentlich?
Rekuperation leitet sich vom lateinischen „recuperare“ ab und bedeutet ursprünglich „wiedergewinnen“. Energie, die beim Bremsen eines Autos einfach verloren gehen würde, lässt sich dank Rekuperation noch einmal nutzen. Beim normalen Verzögern greift nicht die Bremse (bei einer Vollbremsung natürlich schon), sondern der oder die Elektromotoren eines E-Autos wirken wie der vom Fahrrad bekannte Dynamo. Durch den entstehenden Widerstand wird das Auto einerseits langsamer, andererseits wird Strom zurück in den Akku gespeist. Damit verlängert die Rekuperation die Reichweite. Wird die Rückspeisung voll ausgeschöpft, beispielsweise bei einer Passabfahrt, lässt sich etwa 20 bis 25 Prozent der vorher beim Hochfahren auf den Pass aufgewendeten Energie zurückgewinnen.
Kleiner Tipp für alle, die mit einem E-Auto aus dem Gebirge eine Reise antreten: Vor dem Losfahren nicht den Akku vollladen, sonst kann das Auto bei der Talfahrt nicht rekuperieren.
Trommelbremsen eignen sich für die Vorderachse
Bremsenspezialist Continental liefert für viele E-Autos die Bremsanlagen – bisher nur für die Hinterachse (für bis zu drei Tonnen schwere Fahrzeuge). Aber sind Trommeln nicht auch an der Vorderachse denkbar? Das sind sie durchaus, wie ein Sprecher von Continental betont: „Trommelbremsen kommen aufgrund ihrer Eigenschaften aktuell in immer mehr Elektroautos zum Einsatz. Neben der VW-ID-Familie, die wir an der Hinterachse mit Trommelbremsen ausstatten, haben wir von einer Reihe weiterer namhafter Hersteller Aufträge gewonnen.
In Anbetracht der Mischung von Systemeigenschaften ist die Trommelbremse nicht nur für die Hinterachse von Elektrofahrzeugen, sondern je nach Fahrzeugsegment und Anforderungen auch für die Vorderachse von Fahrzeugen eine attraktive Option. Durch die Möglichkeit der Verwendung des Duo-Servo-Prinzips wird ein hohes Bremsmoment bei niedrigen Betätigungskräften erreicht; der Selbstverstärkungseffekt dieses Funktionsprinzips kann positiv ausgenutzt werden. Dadurch ist die Trommelbremse an der Vorderachse ein idealer Baustein für die nächste Generation trocken betätigter Radbremsen. Medien und Kunden haben wir bei Continental bereits mit einem Testfahrzeug gezeigt, dass sich Trommelbremsen auch für die Vorderachse eignen und wir bereit für eine zeitnahe Serienanwendung sind.”
Trocken, also mit elektrischen Servomotoren betätigt, das klingt neu und ist dennoch bereits vertraut, denn wir kennen die elektrische Parkbremse bereits seit 20 Jahren. Sie verzichtet auf Seilzüge zur Hinterachse, die bei langer Nichtbetätigung festrosten können. Elektrische Motoren pressen auf Knopfdruck die Beläge an die Scheiben oder Trommeln und das Auto kann nicht wegrollen. Die elektromechanische Betätigung der Betriebsbremse, der Fachausdruck ist Brake-by-Wire, setzt Conti-Kunde Alfa Romeo bereits in der Giulia ein –allerdings ein System mit hydraulischer Rückfallebene.
Elektrische Motoren ersetzen bei der trockenen Bremse die Hydraulik
Solche hybridisch aufgebauten Systeme bieten bei der Einführung neuer Technik den unschätzbaren Vorteil, dass den Kunden die Bedenken gegenüber der jungen Technologie genommen werden. Bei der Bremse eines Autos will schließlich niemand das Versuchskaninchen der Entwickler spielen. Darum werden bewährte hydraulisch wirkende Elemente als Rückfallebene in der Übergangszeit weiterhin eingebaut. Dennoch ist das Ziel der Entwickler, vollständig auf die hydraulischen Bremskomponenten zu verzichten. Der Grund: Bremsen, die ohne Hauptbremszylinder an der Spritzwand, Hydraulikleitungen, Bremszangen und Radbremszylinder auskommen, bieten den Entwicklern neue Möglichkeiten, wie sie die Chassis der kommenden Autogenerationen gestalten und abstimmen können. Elektrisch betätigte Bremsen und die Rekuperation beim Verzögern lassen sich hervorragend aufeinander abstimmen. Prototypen vom Zulieferer Brembo – 2025 ist der Serienstart geplant – oder von Hitachi Astemo zeigen, dass die feine Koordination der Systeme sogar zu ein paar Kilometern mehr Reichweite führen wird.
Auch die Sicherheit verbessert sich mit elektronisch gesteuerten und elektrisch betätigten Bremsen. Fahrwerksspezialist ZF gibt an, dass der Bremsdruck bei diesen Systemen um den Faktor drei schneller aufgebaut wird, was den Bremsweg verkürzt. Laut ZF steht ein aus 100 km/h abgebremstes Auto mit diesem System um bis zu neun Meter früher als eines mit klassischer Hydraulikbremse – ein Unterschied von zwei Fahrzeuglängen.
Trockene Bremsen bieten außerdem in der Produktion große Vorteile, weil die Bremshydraulik nicht eingebaut und befüllt werden muss. Und der Kunde muss die Bremsflüssigkeit nicht mehr regelmäßig austauschen lassen, was sich als großer Schritt in Richtung wartungsfreies Auto erweisen wird. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist der Verzicht auf die Bremsflüssigkeit selbstverständlich ebenfalls ein Plus.
Wartungsfreie Bremsen sind das Ziel
Bleiben noch die Bremsbeläge und Scheiben. Schließlich sind auch sie Verschleißteile und müssen regelmäßig gewechselt werden. Diese Wechsel dürften ebenfalls bald Geschichte sein, wenn man den Aussagen der Bremsenentwickler glauben darf. Trommelbremsen, die aktuell bei E-Autos zum Einsatz kommen, sind bereits wartungsfrei. Die Entwickler geben an, dass ein Tausch der Bremsbacken über die gesamte Lebensdauer des Autos nicht vorgesehen ist, vorausgesetzt, das Auto wird nicht extrem bewegt (Stichwort Rennstrecke). Üblicherweise kalkulieren die Hersteller, laut Aussage eines ADAC-Experten, mit einer Lebensdauer von 250.000 Kilometern. Bei Premiumherstellern liegt sie teilweise erheblich darüber. Noch gilt die lebenslange Wartungsfreiheit nur für die Hinterachse, aber die Entwicklung für Trommeln vorn läuft wie geschrieben.
Eigentlich seltsam, dass die Scheibenbremse sich so massiv durchsetzen konnte, obwohl sie gegenüber der Trommelbremse doch eine Menge Nachteile zu haben scheint, abgesehen von der Wärmeableitung. Beim Gewicht punkten die Scheibenbremsen allerdings ebenfalls.
Gusseiserne Trommeln, dimensioniert für Fahrzeuge der Mittelklasse und darüber, sind dagegen schwer. Weil sie zu den ungefederten Massen zählen, ist das gleich in zweierlei Hinsicht ein Malus. E-Autos sind bereits durch ihre Akkus Schwergewichte. Darum versuchen ihre Konstrukteure möglichst leichte Komponenten zu verbauen, denn viel Masse reduziert die Reichweite, selbst wenn beim Rollen Energie durch das Rekuperieren zurückgewonnen werden kann.
Leichtbau als Entwicklungsziel
Große ungefederte Massen machen es außerdem komplex, dem Auto einen guten Federungskomfort mit auf den Weg zu geben. Lange bevor es Scheibenbremsen gab, versuchten sich die Konstrukteure deshalb bereits daran, das Gewichtsmanko der Trommeln durch eine kluge Materialkomposition zu egalisieren. Sie fügten Aluminium und Stahl oder Gusseisen zusammen, und das ist auch heute wieder der Weg, um das hohe Gewicht der Trommeln zu reduzieren. Continental verschraubt einen Gussring, in dem die Reibbeläge beim Bremsen anliegen, mit einer Aluminiumplatte, an der das Rad festgeschraubt wird, zur Leichtbautrommel.
Selbst wenn diese Idee nicht ganz neu ist, beflügelt die E-Mobilität die Bremsenentwicklung kräftig. Deshalb taugt die bereits mehr als 140 Jahre alte Trommelbremse offensichtlich immer noch für Breaking News.