So funktioniert der Notbremsassistent
Der Notbremsassistent ist ein wichtiges Sicherheitssystem, um Unfälle zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Während entsprechende Systeme in Lkw seit einigen Jahren zu den gesetzlichen Vorgaben gehören, rüsten die Pkw-Hersteller mittlerweile viele ihrer Modelle freiwillig damit aus. Es gibt allerdings technische Unterschiede – und damit auch beim Leistungsumfang.
- Die Systeme lassen sich nicht ablenken
- Gefahrensituationen vermeiden
- Die Verantwortung bleibt beim Fahrer
- Zunächst eine Warnung
- Die technische Funktionsweise
- Automatische Notbremsung
- Weitere Schutzmaßnahmen
- ADAC sieht Entwicklungspotenzial
- Notbremsassistenten bei Lkw – längst Pflicht, aber eingeschränkte Funktion
- Notbremsassistent: Das Wichtigste in Kürze
Der Mensch ist fehlbar und vor allem im Straßenverkehr kann das dramatische Folgen haben. Lassen sich Auto- oder Lkw-Fahrer von einer Nachricht ablenken, die auf dem Infotainment-Display aufpoppt, oder nehmen ihr Handy aus der Konsole, dauert das vielleicht eine Sekunde. Doch in dieser Sekunde wenden sie ihre Aufmerksamkeit von der Straße ab. Bei Tempo 50 sind das 15 Meter im Blindflug, bei 80 Kilometern in der Stunde schon 22 Meter. Auf dieser Strecke kann viel passieren, zum Beispiel ein Unfall.
Die Systeme lassen sich nicht ablenken
Die Autoindustrie setzt seit über zehn Jahren auf Notbremsassistenten. Mit den automatisch arbeitenden Systemen will sie vor allem die Zahl der Auffahrunfälle senken. Der Vorteil der Systeme: Sie lassen sich nicht ablenken, kennen keine Müdigkeit und kein Zögern.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen am Steuer selbst in kritischen Situationen wie Unfällen nicht stark genug aufs Bremspedal treten und damit nicht das ganze Potenzial der Bremsen ausnutzen. Auch das können die Assistenten besser.
Gefahrensituationen vermeiden
Welches Potenzial in ihnen steckt, zeigt folgende Zahl: Rund 90 Prozent aller Verkehrsunfälle passieren aufgrund von Fehlern beim Fahren. Nach Expertenmeinung ließe sich die Zahl der Unfallverletzungen im Straßenverkehr mit dem flächendeckenden Einsatz von Notbremsassistenten um rund 33 Prozent senken.
Allerdings sind nicht alle Notbremsassistenten gleich. Systeme für die Stadt funktionieren oft nur in einem Geschwindigkeitsspektrum von bis zu 50 oder 60 Stundenkilometern. Außerdem benötigen sie nur eine einfache Kamera und Umfeldsensoren, zum Beispiel sogenannte Short- Range-Lidar-Sensoren, die kostengünstig in Kleinwagen eingesetzt werden.
Moderne und teurere Lösungen erkennen mittlerweile nicht nur große Hindernisse wie Fahrzeuge, sondern auch Fahrradfahrer und Fußgänger. Für höhere Geschwindigkeiten müssen Notbremsassistenten auf Daten aus einer Stereokamera und einem leistungsfähigen Radarsystem zurückgreifen, das zum Beispiel vorausfahrende Fahrzeuge in einer Entfernung von bis zu 250 Metern erkennt.
Die Verantwortung bleibt beim Fahrer
Ein Notbremsassistent erkennt Gefahren und ist damit ein vorausschauendes Assistenzsystem. Er unterstützt eine Notbremsung vorbeugend oder leitet sie automatisch ein, wenn der Fahrer nicht reagiert. Grundsätzlich soll es das eigenständige Bremsen des Fahrers nicht ersetzen, sondern wurde – wie der Name schon sagt – für den Notfall entwickelt. Die Verantwortung liegt weiterhin beim Fahrer.
Zunächst eine Warnung
Allerdings hilft das System dem Fahrer, besser zu reagieren – mittels Auffahrwarnung. Erkennt der Notbremsassistent eine Gefahrensituation, die ein Bremsmanöver erfordert, warnt es zunächst akustisch oder optisch. Oft sind Warngeräusche und rot blinkende Symbole in der Cockpitanzeige oder dem Head-up-Display aneinandergekoppelt, um den Fahrer zum schnellen Bremsen zu bewegen.
Die technische Funktionsweise
Damit ein Notbremsassistent präzise funktioniert, fließen im Bordcomputer eine Menge Daten zusammen, die dieser auswertet und interpretiert. Vernetzte Sensoren oder Kameras melden beispielsweise, wenn sich der Abstand zu einem stehenden oder bewegten Hindernis verringert. Auch Geschwindigkeit, Beschleunigung, Pedalstellungen und Lenkwinkel fließen in die Bewertung der Verkehrssituation mit ein.
Der Bordcomputer registriert anhand dieser Informationen, wann der Fahrer sein Fahrverhalten ändern müsste, um einen Aufprall zu verhindern. Nimmt der Mensch Gas weg oder bremst eigenständig, kann das dem System je nach Situation Entwarnung geben. Reagiert der Fahrer aber zu zaghaft, bremst das System selbstständig mit dem erforderlichen Bremsdruck und kappt die Kraftstoffzufuhr.
Automatische Notbremsung
Eine autonome Vollbremsung, die ohne Zutun des Fahrers als letzte Maßnahme eingeleitet werden kann, setzt allerdings weitere hochpräzise Technik voraus. Die Sensoren müssen genau arbeiten und die Videotechnik über einen hohen Kontrastumfang verfügen. So kann sichergestellt werden, dass Gegenstände wie Fahrzeuge oder Verkehrsschilder, aber auch Fußgänger oder Fahrradfahrer exakt in ihrer Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit erkannt und unterschieden werden.
Wird die Verkehrssituation zu kritisch, leitet das System zunächst eine Teilbremsung ein. Reagiert der Fahrer dann immer noch nicht und der Aufprall droht, macht das autonome Notbremssystem eine Vollbremsung.
Weitere Schutzmaßnahmen
Im Idealfall lässt sich der Unfall mithilfe sogenannter Regelalgorithmen verhindern. Wird der Aufprall auf ein Hindernis jedoch unvermeidbar, leiten vor allem Systeme in Ober- und Mittelklasseautos weitere Schutzmaßnahmen ein, um das Verletzungsrisiko der Insassen zu senken: In Sekundenbruchteilen werden die Sicherheitsgurte vorgespannt, Rückenlehnen aufgerichtet und umgeklappte Kopfstützen aufgestellt. Manche Systeme schließen auch die Fenster und das Schiebedach.
Oder sie verfügen über eine Multikollisionsbremse. Wenn bei einem solchen System die Airbags ausgelöst werden, dann wertet der Computer die Daten des Airbagsteuergeräts aus, parallel versucht er weiter das Fahrzeug abzubremsen und über den Schleuderschutz ESP zu stabilisieren, um Folgekollisionen zu vermeiden.
Zur Verhinderung von Zusammenstößen im Stadtverkehr kommen andere Algorithmen zum Zuge. Während auf der Landstraße oder Autobahn vor allem höhere Geschwindigkeiten und größere Sicherheitsabstände maßgeblich sind, müssen sie in der Stadt in erster Linie auf Kolonnenfahrten, häufiges Abbremsen und Anfahren programmiert sein.
ADAC sieht Entwicklungspotenzial
Der ADAC hat Funktionstests der Crashtest-Organisation Euro NCAP von 2018 ausgewertet. Demnach erfüllen rund zwei Drittel der getesteten Modelle vom Kleinwagen bis zum SUV die Anforderungen an den City-Notbremsassistenten mit voller Punktzahl.
Zum Beispiel konnte der Audi A6 bis zu einer maximalen Testgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde einen Aufprall komplett vermeiden. Auch BMW X5 und Mercedes A-Klasse lieferten beste Ergebnisse. Allerdings gibt es Probleme bei Glätte.
Der ADAC wiederholte den Test mit einem Audi A6 bei einer Außentemperatur von minus zehn Grad Celsius auf rutschiger Fahrbahn. Der Audi bremste zwar, doch krachte er mit abgemilderter Geschwindigkeit in ein stehendes Hindernis.
Der Club folgert daraus, dass Parameter wie Außentemperatur, Nässe oder Eisglätte beim automatischen Notbremsassistenten nicht in die Berechnung des Bremswegs einfließen – was eine früher eingeleitete Vollbremsung ermöglichen könnte. Weil die Anpassung des Bremszeitpunkts technisch möglich sei, sieht der ADAC noch Entwicklungspotenzial.
Notbremsassistenten bei Lkw – längst Pflicht, aber eingeschränkte Funktion
Seit 2015 müssen neue Lkw ab acht Tonnen Leergewicht in Europa mit einem Notbremsassistenten ausgerüstet sein. Allerdings schreibt die entsprechende EU-Verordnung lediglich eine Verringerung der Geschwindigkeit vor. Für Neufahrzeuge betrug diese bis November 2018 zehn Stundenkilometer, seitdem sind 20 Stundenkilometer vorgeschrieben, und die Vorschrift gilt für alle neuen Lkw ab 3,5 Tonnen.
Das bedeutet: Im Notfall muss der Lkw per Notbremsassistent gar nicht zum Stehen gebracht werden können, sondern fährt beispielsweise mit Tempo 60 statt mit 80 auf ein Stauende, wenn der Lkw-Fahrer nicht selbst vorausschauend agiert. Unfallexperten kritisieren diese gesetzliche Regelung als zu lasch und fordern eine deutliche Verschärfung.
Vorreiter bei Lkw-Notbremsassistenten ist Mercedes. Das Unternehmen führte sein Active Brake Assist bereits 2006 ein. In der EU sollen Notbremsassistenten für die Stadt bei Pkw bis 3,5 Tonnen ab 2022 Pflicht werden, weitere Länder werden voraussichtlich folgen.
Notbremsassistent: Das Wichtigste in Kürze
- Notbremssysteme in Lkw seit einigen Jahren Pflicht; Vorreiter bei Lkw-Notbremsassistenten ist Mercedes, das seinen Active Brake Assist schon 2006 einführte.
- Immer mehr Hersteller rüsten auch Pkw mit Notbremsassistenten aus.
- In der EU sollen City-Notbremssysteme für Autos bis 3,5 Tonnen ab 2022 verpflichtend sein.
- Experten zufolge würde sich die Zahl der Unfallverletzungen mit dem Einsatz der Assistenten um ein Drittel reduzieren.
- Einfache Systeme funktionieren meist nur bei Geschwindigkeiten bis 60 km/h; für höhere Geschwindigkeiten müssen die Assistenten auf Daten aus einer Stereokamera und einem leistungsfähigen Radarsystem zugreifen.
- Moderne Systeme erkennen inzwischen auch Hindernisse wie Fußgänger.
- ADAC-Test: Zwei Drittel der getesteten Modelle (Kleinwagen bis SUV) erfüllen die Voraussetzungen an einen City-Notbremsassistenten mit Höchstpunktzahl.