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E-Auto beim Laden
Quelle: Michelin
Reifen für E-Autos sind auf dem Markt eine noch junge Spezies. BEV-Reifen sind an die speziellen Anforderungen der Stromer angepasst.

Reifen sind die Teile unserer Autos, bei denen die Beachtung, die wir ihnen schenken – nahezu null –, im krassen Gegensatz zu ihrer großen Bedeutung steht. Beschleunigen, bremsen, lenken – sämtliche Kräfte, die dabei auftreten, müssen über vier nur etwa postkartengroße Gummiflächen auf die Straße übertragen werden. Reifen sind damit eine extrem sicherheitsrelevante Komponente unserer Autos und ihre Hersteller entwickeln sie permanent weiter, damit die Pneus mit den rasanten Fortschritten unserer Autos mithalten können. Der Rollwiderstand, der Komfort und im zunehmenden Maß die Umweltverträglichkeit sind die Stellschrauben, an denen die Ingenieure der Reifenfabriken permanent drehen.

Im Überblick: Die Reifentrends für morgen

  • Reifen werden effizienter und sorgen damit für mehr Reichweite 
  • Weniger Feinstaub dank geringerem Reifenabrieb
  • Reifen werden leiser 
  • Pneus aus nachhaltige Rohstoffe statt Erdöl entstehen
  • Hersteller arbeiten an luftlosen Reifen
  • Winterreifen mit ausfahrbaren Spikes oder Schneeketten möglich 

Neue Entwicklungen dank E-Autos

Einer der Treiber für diesen Fortschritt ist die Elektromobilität, denn natürlich unterscheiden sich E-Autos gleich in mehreren Punkten von ihren Verbrenner-Pendants. Schauen wir uns das Gewicht an. Ein Mini Cooper SE wiegt etwa 200 Kilogramm mehr als sein Benziner-Bruder. Vier Zentner, die die Reifen zusätzlich belasten, bei jedem Anfahrvorgang, bei jeder Kurvenfahrt und natürlich beim Bremsen.

E-Auto beim Laden mit Michelin Reifen
Quelle: Michelin
E-Autos sind schwer, sie benötigen Reifen mit hoher Traglast und gleichzeitig niedrigem Rollwiderstand, damit die Reichweite nicht leidet.

Die Reifenentwickler müssen hier die Quadratur des schwarzen Kreises schaffen, denn der Reifen soll viel Grip bieten, einen stabilen inneren Aufbau (die Karkasse) haben, um das Mehrgewicht zu verkraften, und zusätzlich möglichst wenig Rollwiderstand besitzen, damit die Reichweite des E-Autos nicht schrumpft. Der Abrieb darf auch nicht zu groß ausfallen. Groß ist er nämlich ohnehin schon. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik fallen pro Jahr in Deutschland zwischen 60.000 und 100.000 Tonnen der feinen Gummipartikel an und stellen damit eine erhebliche Belastung der Umwelt dar. Der ADAC beziffert die Menge für ein einzelnes Auto mit rund 120 Gramm pro gefahrene 1.000 Kilometer.

Rennauto auf Rennstrecke
Quelle: DLR
Brems- und Reifenabrieb belasten die Umwelt, dürfen das mit der neuen Euro-7-Richtlinie aber künftig kaum noch. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat einen Prototypen entwickelt, der praktisch keinen Reifenfeinstaub in die Umwelt entlässt.

Neue Euro-7-Grenzwerte für Feinstaubemissionen sollen dieses Problem begrenzen. Weniger Abrieb heißt auch mehr Laufleistung für die Reifen. Goodyear möchte dieses Ziel mit der „Mileage Plus Technology“ erreichen. Sie garantiert eine hohe Elastizität der Lauffläche und ermöglicht es, dass sich das Profil bei rauen Straßenverhältnissen weniger abnutzt, ohne Verringerung der Leistung auf nasser und trockener Fahrbahn. Diese Technologie bietet Fahrern laut Goodyear außerdem die Möglichkeit, die Lebensdauer ihrer Reifen zu maximieren und mit jedem Satz eine längere Strecke zurückzulegen. 

Anforderungen an die Reifen sind widersprüchlich

Die Vielzahl der an den modernen Reifen gestellten Anforderungen widerspricht sich eigentlich. Die Hersteller arbeiten dennoch mit speziellen Gummimischungen und Unterbauten beständig daran, dass sich alle Eigenschaften verbessern. So entstehen beispielsweise Leichtlaufreifen, die nach Aussage von Burkhard Wies, dem Entwicklungschef bei Continental, sogar einen Reichweitengewinn von drei bis vier Prozent mit sich bringen. Das klingt erst mal nach nicht viel, bedeutet aber bei einem batterieelektrischen Auto (BEV) mit 300 Kilometern Reichweite immerhin gute 10 Kilometer zusätzlichen Aktionsradius, das läppert sich. 

Continental reifen und Display auf Messetstand
Quelle: Continental
Spezielle Materialien in der Lauffläche und ein widerstandsarmes Profil sollen die Effizienz der Reifen verbessern.

E-Autos sind aber nicht nur schwer, sie sind auch leise. Hier kommen die Abrollgeräusche ins Spiel. Ein brummiger Vierzylinder überdeckt mit seinen Lebensgeräuschen viele Töne, die von Fahrwerk und Reifen erzeugt werden. Surrt ein E-Motor kaum hörbar vor sich hin, tritt das Reifenrauschen und -wummern plötzlich unangenehm in den Vordergrund und nervt auf langen Strecken.

Leisere Reifen, mehr Komfort

Angeschnittener Michelin Reifen
Quelle: Michelin
Eine Schaumlage im Reifen reduziert die Geräuschentwicklung erheblich, bei leisen E-Autos ein großer Vorteil.

Auch dagegen haben sich die Hersteller etwas einfallen lassen. Spezielle Profile, bei denen die Blöcke nicht symmetrisch über die Oberfläche verteilt sind, minimieren einen Teil der Geräusche. Eine weitere Ursache für die Geräuschentwicklung sind jedoch Schwingungen im Inneren des Reifens. Auch diese werden über die Fahrwerksteile in den Fahrzeuginnenraum übertragen. Darum setzen verschiedene Hersteller auf Polyurethanschaumlagen, die auf der Innenseite der Laufflächen aufgetragen werden, um die Schwingungen zu eliminieren. Continental nennt Reifen mit dieser Technologie „ContiSilent“, Pirelli bezeichnet die Schaumlage als „Noise Cancelling System“, bei Hankook ist sie als „Sound Absorber“-Technologie im Angebot. Weniger Geräusche sind ein zusätzliches Plus für die Umwelt.

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Michelin-Deutschland-Chef Markus Bast
Quelle: Michelin
Michelin-Deutschland-Chef Markus Bast setzt auf nachwachsende Rohstoffe in der Reifenproduktion.

Mehr Nachhaltigkeit dank nachwachsender Rohstoffe 

Mit Blick auf die Nachhaltigkeit gehen die Hersteller auch die Zusammensetzung ihrer Produkte an. Das Material, aus dem das Gummi der Reifen besteht, basiert seit Jahrzehnten auf Erdöl. Davon wollen die Hersteller weg. Die Natur liefert die Alternativen – beispielsweise bei Michelin. „Bereits heute werden Sonnenblumenöl und Orangenschalen als Ersatz für fossile Öle und Harze in unseren Reifen verwendet“, erläutert Markus Bast, Managing Director bei Michelin Deutschland. „Allgemein treiben wir die Verwendung von biobasierten und nachhaltigen Materialien mit Hochdruck voran: Bis 2030 wollen wir einen Anteil von 40 Prozent nachhaltigen Materialien in unseren Produkten erreichen, bis 2050 sogar 100 Prozent. In Le Mans haben wir in diesem Jahr bereits einen Rennreifen präsentiert, der zu 63 Prozent aus biobasierten und recycelbaren Materialien besteht.“

Bis 2030 wollen wir einen Anteil von 40 Prozent nachhaltigen Materialien in unseren Produkten erreichen, bis 2050 sogar 100 Prozent.
Markus Bast, Managing Director Michelin Deutschland
Der Ökoreifen von Michelin beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans
Quelle: Michelin
Der Ökoreifen aus biobasierten und recycelten Materialien hat beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans schon gezeigt, was er kann.

Auch Upcycling ist ein Thema in der Reifenindustrie, beispielsweise bei Conti. „Wir waren die Ersten, die zukunftsweisende Technologien wie recyceltes PET in Serienreifen integriert haben. Und wir waren auch der erste Reifenhersteller, der ein Modell mit einem besonders hohen Anteil an nachwachsenden und wiederverwerteten Materialien auf den Markt gebracht hat“, sagt Jorge Almeida, Leiter Nachhaltigkeit des Reifenbereichs bei Continental.

Kunststoffflaschen und EcoContact 6 Reifen
Quelle: Continental
Recycelter Kunststoff wird bereits im großen Stil in der Reifenproduktion eingesetzt.

Besserer Pannenschutz durch luftlose Reifen

So weit, so normal. Es scheint so, als bliebe uns der Reifen in seiner bekannten Form erhalten. Wenn es nach Goodyear und Michelin geht, steht aber tatsächlich eine Revolution bevor. Die Hersteller arbeiten an einem Reifen, der ohne Luft auskommt. Dass Goodyear an diesem Technologiesprung arbeitet, verwundert nicht, denn tatsächlich hat der innovative Amerikaner Charles Goodyear, Gründervater des Reifenkonzerns, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Vulkanisation erfunden. Sie macht aus Kautschuk, Schwefel und Hitze stabiles Gummi und bildet damit die Grundlage für alle modernen Reifen. Jetzt forscht das Unternehmen am sogenannten NPT-Reifen (Non Pneumatic Tyre). 

Eeifen von Goodyear auf Präsentationssäule
Quelle: Goodyear
Der Reifen mit der offenen Flanke – nie mehr Luftdruck kontrollieren und ein Plattfuß ist trotzdem ausgeschlossen.

Vereinfacht ausgedrückt ist ein nicht-pneumatischer Reifen jeder Reifen, der nicht mit Luft gefüllt ist, weshalb er oft auch als luftloser Reifen bezeichnet wird. Ein konkretes Datum für die Markteinführung nennt Goodyear zwar nicht, die Vorteile des NPT sind aber schon klar. Es muss kein Reifendruck überprüft werden (wartungsfreie Reifen sind daher besonders für Robotaxen eine spannende technische Lösung, weil hier der Fahrer für den kleinen Reifenservice zwischendurch fehlt), der Komfort soll außerordentlich gut sein und natürlich verbessert sich die Zuverlässigkeit. Einen Plattfuß, weil man über einen Nagel gefahren ist, kennt der NPT schließlich nicht. Michelin entwickelt ein ganz ähnliches System, nennt es Uptis und sieht einen Serieneinsatz nach dem Jahr 2030.

Spielerei oder Nutzen? Ausfahrbare Schneeketten

Und wenn es in ein paar Monaten wieder Richtung Wintersaison geht, denken viele von uns daran, die Schneeketten wieder in den Kofferraum zu legen. Denn selbst beste Winterreifen gelangen bei heftigen Witterungsbedingungen an ihre Grenzen. Wer aber schon einmal eine Kette angelegt hat und in einem voller Schneematsch hängenden Radhaus herumfuhrwerken musste, um die Kette über das Rad zu zwängen, denkt sich sicher, warum es für diese Fälle noch keine elegantere Lösung gibt. Tatsächlich gibt es sie: Der koreanische Autoriese Hyundai hat einen Reifen mit ausfahrbaren Schneeketten erdacht – vorerst als Konzept, noch nicht als Serienmodell. 

Reifenstudie von Hyundai
Quelle: Hyundai
Auf Knopfdruck fährt der hier rosa eingefärbte Metallbügel aus der Oberfläche und macht die Schneekette als Anfahrhilfe arbeitslos. Wann wir das System kaufen können, lässt sich heute noch nicht sagen.

Das klingt nach einer Erfindung, die Q üblicherweise für James Bond anbietet? Dann hast Du noch nichts von den Nokian Winterreifen gehört, bei denen der Fahrer auf Knopfdruck Spikes aus der Lauffläche herausfahren kann. Bond konnte das bereits in „Stirb an einem anderen Tag“ im Jahr 2002. Im Jahr 2014 hat dann Nokian, der finnische Winterreifenspezialist, diese Technologie als Studie vorgestellt. Matti Mori, Technical Customer Service Manager bei Nokian Tyres, sagte bei der Präsentation des Nicht-Spike-Winterreifens mit Spikes: „Dieser neue Konzept-Reifen ist eine überraschende technologische Meisterleistung. Sein einzigartiges Spike-Konzept kann tatsächlich eines Tages Realität werden.“ Zehn Jahre später warten wir allerdings immer noch. Es sieht so aus, als kämen wir noch einige Winter nicht um die alte Kette herum.

Das bedeuten die Abkürzungen auf dem Reifen
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