Porsche 959 (1987): High-Tech-Sammlerstück mit 450 PS
Der Porsche 959 wird in den Achtzigern für die Rallye-WM entwickelt. Er kommt zu spät, ist aber seiner Zeit voraus. Rückblick auf eine Autobahnlegende.
Eigentlich war alles anders geplant. Der Porsche 959 sollte ein großer Rallyesportler werden, ein Auto, das die Faszination der Menschen für halsbrecherische Manöver erfüllt. Und nicht bloß ein Technikwunder, das schon in dem Moment der Fertigstellung den Status einer Legende hat. 2,85 Liter Hubraum, 450 PS und 500 Newtonmeter Drehmoment, 317 km/h Spitzengeschwindigkeit, 420.000 Mark Anschaffungspreis – bei der Vorstellung des 959 im Jahr 1987 sind das Werte, die jede Vorstellungskraft übertreffen. Aber wie gesagt: Es sollte eigentlich ganz anders kommen.
Das Ziel des 959 lautet: Gruppe B. Diese einmalige, wahnwitzige und manchmal leider auch selbstmörderische Rennserie der Rallye-Weltmeisterschaft, bei der die Zuschauer auf der Strecke stehen und erst in allerletzter Sekunde zur Seite springen. In der Unfälle an der Tagesordnung sind.
Ein teures Spielzeug: Der seltene Sportwagen kommt 1987 auf den Markt und gilt als Technikwunder seiner Zeit.
1986 tötet der Rennwagen von Lokalmatador Joaquim Santos in Portugal drei Zuschauer, 31 werden verletzt. Ein paar Wochen später verliert der Italiener Attilo Bettega sein Leben auf der Strecke der Rallye Korsika. Er war brutal gegen einen Baum geprallt. Wer hier teilnimmt, muss niemandem mehr etwas beweisen. Männer wie Stig Blomquist, Ari Vatanen und vor allem Walter Röhrl werden zu Legenden. Die deutschen Motorsportfans sind fasziniert von den Wagemutigen, die die PS-Monster beherrschen und haarscharf an Felsbrocken vorbeiprügeln. Audi und Opel fahren schon mit – und Porsche will um jeden Preis Teil der Show werden.
Also hört Porsche-Chef Peter Werner Schutz aufmerksam zu, als ihm sein Chefingenieur Helmuth Bott seine Ideen zum 911 vorträgt: Aus dem Sportwagen mit Heckmotor könnte ein Gruppe-B-Renner werden. Einer mit Allradantrieb und mehr Kraft als alle anderen Porsche. Doch aus den Rallye-Plänen wird nichts. Der 959 kommt zwar, aber erst 1987. Da ist die legendäre Gruppe B seit einem Jahr aufgelöst – wegen zu vieler Todesfälle an den Rennwochenenden.
Der Porsche 959 beweist sich im Motorsport
Das Projekt 959 aber lebt weiter. 1982 starten die Entwicklungen, 1983 zeigt Porsche ein Konzept, das bereits konkret die Technik andeutet. Auf der IAA in Frankfurt am Main parkt die Studie „Gruppe B“. Das Reglement der Rennserie verlangt den Bau von 200 Serienfahrzeugen, um mitfahren zu dürfen. Die werden bereits auf der Messe bestellt.
Schon vor dem Serienstart sammelt das Auto im Motorsport Erfolge, allerdings in anderen Disziplinen: Ein Prototyp, damals noch mit dem Namen Porsche 911 4x4, gewinnt 1984 die Wettfahrt Paris-Dakar. Ein zum Rundstreckenrenner umgebauter 959 (Bezeichnung: „961“) wird 1986 in Le Mans Siebter in der Gesamtwertung. Botts Konzept beweist, dass es funktioniert. Nur eben nicht dort, wo es soll.
Es dauert einige Jahre, bis aus dem IAA-Schaustück ein Serienauto wächst. Die Technik macht Probleme: Im Realbetrieb reißen Steuerketten des Sechszylinder-Boxers, weil sie die Kraft des Motors nicht aushalten. Registeraufladung, adaptive Stoßdämpfer, Niveauregulierung und ein automatischer Allradantrieb sind Mitte der 1980er noch technische Neuheiten, die viel Entwicklungsarbeit fordern. Es gibt zunächst keine geeigneten Reifen mit Straßenzulassung, die das Tempo des 959 verkraften. Und dann ist da noch die komplizierte Homologation.
Der 959 schafft die Prüfung zum Serienauto nicht einfach so. Eigentlich ist er zu laut für den Straßenverkehr. Porsche löst das Problem mit einem Trick: Aus dem ersten Gang wird auf dem Papier ein Geländegang. Die Geräuschmessung startet deshalb im zweiten Gang, das Auto hält die Vorschriften ein. Das ist eine für einen Sportwagen weit hergeholte Ausrede. Aber es geht ja um ein Rallyefahrzeug.
Der japanische Sportwagen gelangt bereits in 8,6 Sekunden auf Tempo 100.
Porsche 959: Technisches Highlight mit Allradantrieb
Als der 959 endlich startet, verblüfft er trotz Verspätung mit seiner Technik. Sein Boxermotor mit 2,85 Litern Hubraum liefert mehr Leistung als alle seine Vorgänger: Porsche schreibt 450 PS und 500 Newtonmeter Drehmoment ins Datenblatt. Er ist der erste Serienmotor mit Registeraufladung. Bei diesem Prinzip setzt ein Turbolader bei niedrigen Drehzahlen ein. Ab 3.000 Touren nimmt ein zweiter Turbo die Arbeit auf, bei ungefähr 5.000 Umdrehungen folgt sein Leistungsschub. So verhindert Porsche ein allzu großes Turboloch. Das ist bis dato üblich.
Natriumgefüllte Auslassventile leiten die Abgaswärme ab. 18 Liter Öl schmieren den Motor, ein Trockensumpf sichert eine gute Ölversorgung bei hohen Kurvengeschwindigkeiten. Eigentlich kühlt Porsche die Boxermotoren der 1980er-Jahre nur mit dem Fahrtwind. Im 959 kommt erstmals eine Wasserkühlung für die Zylinderköpfe zum Einsatz. Wie beim 911 hängen Motor und Getriebe im Heck des Autos.
Mit steigendem Tempo senkt sich die Karosserie des 959 automatisch ab. Die Bilstein-Stoßdämpfer sind verstellbar. Heute gehört ein adaptives Fahrwerk sogar in Kompaktwagen zum guten Ton. 1987 ist es eine Sensation in Porsches erstem Supersportler. Gleiches gilt für den Allradantrieb: Er koppelt die Vorderachse automatisch an, wenn die Hinterräder schlupfen. Der 959 überwacht ständig die Drehzahlen aller vier Räder und entscheidet anhand der Daten, wann sich der Vierradantrieb lohnt. Bei Lamborghini ist eine ähnliche Technik heute noch üblich.
Die Karosserie des 959 basiert auf der des 911. Das sieht man ihm an: Seine Silhouette ähnelt der des Kernmodells deutlich. Der Innenraum mit seinen fünf Uhren und den schlanken Sitzen verändert sich kaum. Porsche verbreitert und verlängert den Körper mit leichtem Kevlar und Polyurethan. Türen und Fronthaube bestehen aus Aluminium, insgesamt wiegt der 959 laut Datenblatt nur 1.450 Kilogramm. Die „Auto, Motor und Sport“ (AMS) stellt allerdings im Jahr 1987 ein Gewicht von 1.566 Kilogramm fest.
Im Porsche 911 (991) sitzt der Motor noch dort, wo er hingehört. Im Heck.
Der 959 ist zu stark für seine Antriebswellen
Damals zählen vor allem die Autoquartett-Daten. Besonders wichtig ist Porsche die Beschleunigung: Weniger als vier Sekunden auf Tempo 100 soll er schaffen, der stets handgerissene 959. „AMS” bestätigt: 3,9 Sekunden. Damit das klappt, legt Porsche sogar eine Anleitung bei: Drehzahl auf 5.000 Umdrehungen, Kupplung schnalzen lassen, Geländegang ausdrehen, schnell in den ersten. Der Sprint klappt, fordert aber Tribut.
Das „Radical Mag“ erzählt die Geschichte von Max Nötzli, damals Chefredakteur der Schweizer „Automobil Revue“. Der misst im ersten Sprintversuch 4,2 Sekunden. Im zweiten hört er einen Knall und spürt dann keinen Vortrieb. Die Kraft des Turboboxers reißt eine der vier Antriebswellen entzwei. Peinlich berührt meldet er den Schaden in Stuttgart. Dort akzeptiert man die Info entspannt. Der Grund, den Nötzli erst viel später erfährt: „AMS” zerstört bei ihrem Test insgesamt drei Antriebswellen.
Den anderen Teil des Zahlenspiels absolviert der Porsche ohne Probleme. Auf der Geraden ist er 317 km/h schnell. Damit ist er nicht ganz so flott wie ein Ferrari F40 (321 km/h), aber einer der Schnellsten seiner Dekade. In 37,3 Metern bremst er von Tempo 100 zum Stillstand. Erstmals wertet das ABS die Drehzahl jedes einzelnen Rads aus und leitet den Bremsdruck entsprechend um.
Die Tester loben Fahrverhalten und Lenkpräzision, vor allem aber das Verhalten auf nasser Straße. Jahre später mäkelt „Top Gear“-Moderator Chris Harris in seinem Podcast, dass er im Nassen zwar brilliert, generell aber eher untersteuert. Und, dass er sich wie ein 911 mit Plastikanbauten an Front und Heck anfühlt. Letzteres ist wohl übertrieben: Als der 959 startet, ist er 120 PS stärker als der stärkste Elfer.
Seltenes Sammlerstück für mehr als eine Million Euro: Porsche 959
Porsche baut 1986 und 1987 nur 292 Exemplare des 959 für je 420.000 Mark. 1992 folgt eine Nachfertigung von acht Autos für je 747.500 Mark. Die Kunden sucht sich Porsche selbst aus. Unter ihnen sind die Microsoft-Gründer Bill Gates und Paul Allen sowie Tennis-Star Boris Becker. Die meisten Käufer statten ihren 959 komfortabel aus. Nur wenige bestellen die sportliche Variante 959 S mit größeren Turbos, karger Ausstattung (ohne rechten Außenspiegel) und 339 km/h Höchstgeschwindigkeit. Bei allen 959 im Lieferumfang: eine Videokassette, auf der Walter Röhrl das Auto erklärt.
Heute kostet ein 959 mehr als eine Million Euro. Vier Exemplare sind derzeit bei mobile.de inseriert (Stand: August 2020). Nur wenige Autos sind zugelassen, die meisten werden im Stand wertvoller. Auch, weil sie in Bewegung zu teuer sind: Ersatzteile für Hydraulikfahrwerk und die Registeraufladung kosten zum Teil mehr als 10.000 Euro. Alle vier Jahre (Werksvorgabe!) steht ein Satz neuer Reifen für rund 1.000 Euro an. Für eine große Wartung verlangt Porsche rund 30.000 Euro. Nachbauten auf Basis des 911 (Baureihe 964) können günstiger sein. Sie sind aber definitiv langsamer.
Wenn doch mal einer fahren darf, vielleicht sogar scharf, dann zeigt er, wie schnell der 959 wirklich ist. Wer ihn dabei beobachtet, vermag kaum zu glauben, dass dieses Auto einst entwickelt wurde, um über Staub, Schotter und Schnee zu brettern. Erst viel später, in der Baureihe 997 (ab 2004), unterbietet der 911 Turbo die Sprintwerte des Autobahnhelden 959. Vielleicht ist es ganz gut, dass es in den Achtzigern anders gekommen ist als geplant.
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Porsche 959: Technische Daten
Modell | Porsche 959 |
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Motor | 2,85-Liter-Sechszylinder-Boxer, Registeraufladung |
Leistung | 450 PS (331 kW) b. 6.500 U/min |
Drehmoment | 500 Nm b. 5.500 U/min |
Antrieb | Sechsgang-Schaltgetriebe (Geländegang plus fünf Gänge), Allradantrieb |
0-100 km/h | 3,9 s |
Geschwindigkeit | 317 km/h |
Verbrauch | 15,1 l/100 km (AMS) |
Länge | 4.260 mm |
Breite | 1.840 mm |
Höhe | 1.280 mm |
Radstand | 2.272 mm |
Leergewicht | 1.450 kg |
Neupreis Porsche 959 (1987) | 420.000 DM |
Marktlage (2020) | Preis: mindestens 1.000.000 Euro |