Polestar 2 (2020) im Test: Preise, Reichweite, Marktstart
Der Polestar 2 setzt als erstes Auto auf Googles Android als Betriebssystem. Nicht nur deshalb kann er es mit Teslas Model 3 aufnehmen. Der Stromer im Test.
Wer Polestar bisher nicht kennt, hat nicht viel verpasst. Außer dem Polestar 1. Der Eins ist ein Sportwagen mit Plug-in-Hybrid-Antrieb und Carbon-Karosserie, gebaut von der hippen Volvo-Tochtermarke. Ein Auto das, unfreundlich ausgedrückt, eine Art Technik-Sammelsurium aus Volvo-Teilen in anderer (ja: sehr schöner) Verpackung darstellt. Niemand glaubt, dass Polestar damit große Stückzahlen verkauft, erst recht nicht bei einem Preis von 155.000 Euro. Jetzt legt Polestar ein massentauglicheres zweites Modell nach: den Polestar 2.
Die ungewöhnlich gestaltete Fließheck-Limousine fährt rein elektrisch, mit passabler Reichweite, reichlich Leistung, noblem Innenraum und – ein Novum – als erstes Auto mit Googles Android als Betriebssystem. Mit einer Blockchain-Technologie will Polestar dafür sorgen, dass bei der Förderung des für die Akku-Herstellung benötigten Rohstoffs Kobalt nachhaltiger gearbeitet wird. Selbst der Preis ist spannend.
Der Polestar 2 im Überblick
- Zweites Modell der Volvo-Marke Polestar
- Zwei Elektromotoren mit 408 PS, 660 Nm Drehmoment
- Akku mit 78 kWh Kapazität, Reichweite: 470 Kilometer (WLTP)
- Veganer Innenraum, Android als Betriebssystem
- Voll updatefähig „Over the Air“
- Möglichst nachhaltige Rohstoffbeschaffung
- Polestar 2 Preis: ab 56.440 Euro zum Marktstart
- Lieferzeit aktuell: etwa 3 Monate
Der Jaguar I-Pace räumte 2019 den begehrten "Car of the Year"-Award ab.
Während der Polestar 1 Aufmerksamkeit erregen sollte, muss sich der Polestar 2 verkaufen. In zwei Jahren sollen 50.000 Exemplare per annum an den Mann gebracht werden. Immerhin: Laut Polestar-Webseite sollen die Autos innerhalb weniger Monate verfügbar sein. Wer im Juli bestellt, erhält laut Hersteller sein Auto noch im Oktober.
56.440 Euro kostet das Auto mindestens – vor Abzug der Elektroprämie in Höhe von 9.000 Euro. Das ist ein guter Preis für ein vernünftig ausgestattetes Mittelklasse-Auto mit 408 PS (300 kW) und 660 Newtonmetern Drehmoment.
Der Polestar 2 baut zwar etwas höher als klassische Limousinen, besonders geräumig fällt er jedoch nicht aus. 405 bis 1.095 Liter passen in den Kofferraum, auf der Rückbank sitzt man ordentlich, aber nicht großzügig. Das große Panoramaglasdach lässt viel Licht in den Innenraum. Mitteltunnel (hinten und vorne) sowie die recht ausladende Mittelkonsole schränken das Raumgefühl allerdings erheblich ein.
Polestar 2: Reichweite, Akku, Antrieb
Bei der Frage, wo die Batterien untergebracht werden, wählt Polestar einen anderen Weg als die Konkurrenz. Tesla oder auch VW beim ID.3 setzen auf einen sogenannten Skateboard-Boden, bei dem die Akkus komplett versinken. Beim Polestar 2 verteilt sich die Kapazität von 78 kWh (27 Module aus insgesamt 324 Batteriezellen) auf den Unterboden unter Vordersitzen und Rückbank sowie eben im Mitteltunnel.
So entstehen sozusagen zwei Akku-Etagen. Vorteil: Die Insassen müssen ihre Füße nicht ungewohnt hoch abstellen. Man sitzt vorne wie hinten bequem und vergleichsweise sportlich. Und der Polestar 2 sieht eben nicht aus wie ein SUV. Der Schwerpunkt allerdings liegt etwas höher als bei Modellen mit Skateboard-Boden.
Laut Datenblatt braucht der Polestar 2 19,3 kWh auf 100 Kilometer, die Reichweite beträgt 470 Kilometer laut WLTP. In der Stadt sollen es wegen der vielen möglichen Rekuperationsphasen 560 Kilometer sein. Geladen wird mit maximal 150 kW an einer Gleichstrom-Schnellladesäule. Dann füllt sich der Akku in 40 Minuten von 0 auf 80 Prozent. Bei der Reichweite geht Polestar davon aus, dass damit noch nicht das volle Potenzial ausgeschöpft ist. Allein mit Software-Updates soll die Reichweite auf mehr als 500 Kilometer ausgedehnt werden können, hofft der Hersteller.
Ob man sich unterwegs komplett aufs Fahrpedal verlässt oder auch das Bremspedal nutzt, lässt sich einstellen. In der höchsten Rekuperationsstufe lässt sich der Polestar 2 bei vorausschauender Fahrt ausschließlich übers Gaspedal bedienen, in der niedrigsten rollt er komplett frei. Maximal kann mit bis zu 100 kW rekuperiert werden.
Verantwortlich dafür sind die beiden permanent erregten 150-kW-Synchronmotoren, von denen jeder eine Achse bedient. Tempo 100 ist nach 4,7 Sekunden erreicht, maximal fährt der Polestar 2 205 km/h schnell.
So fährt der Polestar 2 2020
Was die Zahlen nahelegen, spürt man am Lenkrad: Der Polestar 2 schiebt spontan an, reagiert ansatzlos auf jeden Pedaldruck und lässt selbst auf der Autobahn bis zum Topspeed von 205 km/h kaum nach. Dabei bleibt er durchgehend angenehm leise und zurückhaltend. Abrollgeräusche, Wind oder Gepolter vom Fahrwerk kommen im Innenraum kaum an. Die Motoren scheinen ebenfalls gut entkoppelt zu sein. Vom zuweilen bei E-Autos gedämpft wahrnehmbaren Straßenbahn-Summen hören wir jedenfalls nichts.
Dabei fühlt sich der Polestar 2 insgesamt grundsolide an. Im Testwagen ist das optionale Performance-Paket mit Öhlins-Dämpfern (und goldenen Brembo-Bremssätteln) verbaut. Damit federt der Polestar 2 zwar ganz schön straff, aber nicht unangenehm. Selbst scharfe Kanten im Asphalt kommen nicht als allzu harte Stöße bei den Insassen an. Zudem wirkt das gesamte Chassis steif. Laut Polestar trägt der wuchtige Mitteltunnel zur Steifigkeit bei. In jedem Fall: Im Vergleich zu einem Tesla Model 3 fährt der Polestar 2 deutlich solider.
Leider haben wir nicht die Gelegenheit, das Modell ohne Performance-Paket zu testen. Nicht, dass man das bräuchte, aber die goldenen Bremssättel machen was her, die ähnlich gefärbten Sicherheitsgurte und Ventilkappen ebenfalls. Das Paket ist mit 5.849 Euro wahrlich kein Schnäppchen. Die (teuren) Brembos könnten gerne progressiver zupacken. Gerade beim Bremsen aus höheren Geschwindigkeiten fehlen Biss und Dosierbarkeit.
Die Lenkung fällt direkt genug aus, besonders viel Gefühl gibt es in keiner der drei möglichen Einstellungen. Für die Stadt ist das straffe Setting etwas zu gewichtig, die weiche Einstellung zu lax. In der Mitte passt es, für flotte Ausflüge auf der Landstraße darf es auch mehr Gewicht sein.
Im Juli 2017 startet die Produktion des Model 3. Seit Anfang 2019 stromert der Kalifornier auch auf europäischen Straßen.
Polestar 2 mit Android als Betriebssystem
Die Bedienung der Fahrzeugeinstellungen läuft über den großen, vertikalen Touchscreen auf der ausladenden Mittelkonsole. Polestar nutzt das Google-Betriebssystem Android Automotive OS. Damit sind sie der erste Hersteller, der den US-Tech-Giganten tief ins Auto lässt. Die meisten anderen Hersteller würden Google lieber komplett aus ihren Fahrzeugen heraushalten. Vor allem, um selbst die Hoheit über Kundendaten zu behalten.
Der Google Assistant, Google Maps und die Möglichkeit der Installation von Apps aus dem Google Play Store sind direkt integriert. Wer mag, kann seinen Google Account und alle freigegebenen Google-Dienste nutzen. Aktuell ist die App-Auswahl noch übersichtlich. Der Google Assistant ist an Bord, navigiert wird per Google Maps und Musik-Streaming funktioniert fürs Erste über Spotify und YouTube Music, dem Nachfolger von Google Play Music.
Alle Apps mit Android-Automotive-Fähigkeit, die bereits auf dem Android-Handy vorhanden sind, findet man bei der Smartphone-Kopplung automatisch auf dem System. Wer Apple nutzt, muss allerdings warten. Der iPhone-Standard CarPlay folgt erst 2021.
Die Bedienung des Systems funktioniert intuitiv, übersichtlich und flüssig. Nur einmal musste Google Maps ungewöhnlich lange rechnen, als wir den einprogrammierten Weg verlassen haben. Ansonsten läuft das System reibungslos. Andere Tester berichten jedoch von gelegentlichen App-Abstürzen in ihren Testwagen. Ob Android Automotive wirklich dauerhaft stabil läuft, kann erst der Alltagstest zeigen.
Routenplanung mit dem Polestar 2
Wie sich das Konzept entwickelt, ist offen. Aktuell ist das Angebot an Android-Automotive-fähigen Apps noch recht übersichtlich. Polestar setzt darauf, dass schnell weitere Apps folgen. Und darauf, dass Google das System weiterentwickelt. Man sehe sich hier allerdings als enger Entwicklungspartner, nicht als Bittsteller.
Unsere erste Bitte wäre eine schlauere Routenplanung. Zwar kennt Google Maps den Akkustand, den durchschnittlichen Verbrauch, alle zugänglichen Ladestationen entlang einer geplanten Route, deren Belegung und Ladeleistung. Maps zeigt sogar an, mit wie viel Restakku man voraussichtlich am eingegebenen Ziel ankommt (und trifft den Wert sogar ziemlich genau). Doch wer sich eine automatische Planung wünscht, die eigenständig den kürzest möglichen Ladestopp berücksichtigt und so die Reisezeit optimiert, bekommt sie nicht.
Tatsächlich lassen sich die angezeigten Ladesäulen derzeit nicht mal nach Ladeleistung filtern. Noch nicht, sagt man bei Polestar. Updates sollen zügig folgen. Nicht nur fürs Infotainmentsystem, das ganze Auto soll sich stetig weiterentwickeln, indem es Updates über das Mobilfunknetz aufgespielt bekommt („Over the Air“ = OTA).
Polestar 2 Innenraum: Materialien, Qualität
Ansonsten fühlt man sich auf Anhieb wohl hinterm Steuer der knapp 4,61 Meter langen Schräghecklimousine. Man blickt auf einen digitalen Instrumententräger, der sich, anders als beim Polestar 1, grafisch deutlich von der Volvo-Version unterscheidet. Schlicht, mit orangen Highlights und ohne das Bedürfnis, die guten alten Analog-Instrumente zu imitieren, informiert es über Reichweite, Geschwindigkeit, Verbrauch oder rückt groß die Navi-Karte ins Bild.
Die Formen und Materialien im Innenraum erinnern nur noch entfernt an Volvo. Der Polestar-2-Innenraum wirkt modern, wertig und außerordentlich solide zusammengebaut. Nichts wackelt, knarzt oder knackt. Eine große Zierfläche am Armaturenbrett beziehen die Designer mit Stoff, der zum Teil aus Recycling-Material besteht. Zudem ist der komplette Innenraum vegan. Ohnehin soll die Rohstoffbeschaffung bei Polestar möglichst nachhaltig laufen. Um etwa das in den Akkus verwendete Kobalt nachverfolgen zu können, setzt Polestar auf eine Blockchain-Technologie. Sie soll sicherstellen, dass die Umweltauswirkungen der Kobalt-Förderung begrenzt und keine Arbeitskräfte ausgebeutet werden.
Fazit: Polestar macht also vieles richtig beim Polestar 2. Stimmt schon, ein Tesla Model 3 fährt allerdings weiter (bis zu 560 Kilometer), lädt schneller (mit bis zu 250 kW statt 150 kW) und kostet weniger (ab 52.000 Euro mit großer Reichweite). Doch der Polestar 2 ist das deutlich edlere Auto, bei Qualität und Anmutung liegt er weit vor dem Model 3. An anderen Stellen lernt man von Tesla. Updates sollen sicherstellen, dass das Auto, das morgen vom Band läuft, übermorgen mehr kann. Beim Infotainment geht Polestar neue Wege, was die Marke für technikaffine Kunden interessanter macht.
Außerdem distanziert sich Polestar als komplett neue Marke ein Stück von den etablierten Autoherstellern. Für das Image des Visionärs und Disruptors, der die alten Eisenbieger vor sich hertreibt, ist es natürlich etwas zu spät. Doch dafür bringt Polestar mehr Sicherheit, Qualität und Solidität mit. Tesla für Konservative, wenn man so will. Zu einem Preis, der gemessen an Leistung, Technik, Fertigungs-Güte und gebotener Ausstattung konkurrenzfähig ist. Und das nicht erst nach Abzug des Umweltbonus in Höhe von 9.000 Euro.
Herkömmliche Showrooms wie im klassischen Autohandel gibt es übrigens nicht. Der Hersteller richtet jedoch sogenannte Polestar Spaces in größeren Städten ein. Dort können sich Interessenten beraten lassen, sich das Auto angucken, die Ausstattungsoptionen und Dekors begutachten. Sich ein Auto aufschwatzen lassen, können sie dort jedoch nicht. Polestar verkauft ausschließlich online.
Polestar 2 2020: Technische Daten
Modell | Polestar 2 |
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Motor | zwei permanenterregte Synchronmotoren |
Leistung | 300 kW (408 PS) (2 x 150 kW) |
Drehmoment | 660 Nm (2 x 330 Nm) |
Antrieb | Allradantrieb, Eingang-Getriebe |
0-100 km/h | 4,7 s |
Geschwindigkeit | 205 km/h |
Akkugröße | 78 kWh |
Reichweite | 470 km (WLTP) |
Verbrauch | 19,3 kWh/100 km |
Ladeleistung AC | bis zu 11 kW (1- oder 3-phasig) |
Ladeleistung DC | bis zu 150 kW |
Ladezeit DC | 0-80 Prozent in 40 min |
Länge | 4.606 mm |
Breite | 1.800 mm |
Höhe | 1.479 mm |
Radstand | 2.735 mm |
Gewicht | 2.123 kg |
Kofferraumvolumen | 405-1.095 l |
Anhängelast | 1.500 kg |
Marktstart | Sommer 2020 |
Lieferzeit aktuell | 3 Monate |
Preis | ab 56.440 Euro (abzgl. Elektroprämie) |