Mercedes-Maybach GLS 600: Test
Jeder Hersteller bietet inzwischen SUV an. Aber echter Luxus ist selten. Mercedes will nun mit dem Maybach GLS die Klasse über der Oberklasse angreifen.
Über die Verbindung von SUV und Luxus lässt sich trefflich lästern. Schließlich passen Schlamm und Smoking nur begrenzt zueinander. Wenn die Windsors im Geländewagen ihre Jagdgründe um Schloss Balmoral erkunden – wollen sie ihre dreckigen Gummistiefel mit einem Lammfell-Teppich in Kontakt bringen? Eher nicht. Aber: Im arabischen Raum oder in den USA liegen die Dinge etwas anders. Eine Nachfrage nach SUV oberhalb der Oberklasse ist durchaus vorhanden.
Mercedes bringt nun sein SUV-Flaggschiff GLS als Maybach an den Start, als zweites Modell neben der S-Klasse. Als schwäbische Antwort auf Rolls-Royce Cullinan und Bentley Bentayga. Wenn man so will: Ebenfalls beides deutsche Erzeugnisse. Rolls-Royce gehört zur BMW-Gruppe, Bentley zum Volkswagen-Konzern. Nun kommt der Maybach GLS im Frühjahr 2021 in den Handel und startet bei 156.078 Euro.
Für den Sprint von 0 auf 100 km/h braucht das AMG-SUV 4,2 Sekunden
Karosserie: GLS mit Lametta
Dafür gibt es zwar anders als bei der S-Klasse keine eigenständige Karosserie, in der Substanz steht hier ein Mercedes GLS. Doch an Präsenz fehlt es dem Dickschiff mit seinen 5,21 Metern schon ohne Maybach-Lametta nicht. Um Verwechslungen auszuschließen, verordnen die Designer dem GLS so viel Prunk, dass man unwillkürlich zur Sonnenbrille greifen mag: Die Felgen groß und schillernd, der Grill fein gefächert, an den Flanken trägt der GLS stolz das Maybach-Logo. Und: Als einziges Mercedes-SUV darf der Maybach GLS freistehend einen Stern auf der Haube tragen. Das ist sonst den Daimler-Limousinen vorbehalten. Dazu kommt die für Maybach reservierte Zweifarb-Lackierung. Unterm Strich: Viel zu schade für die Jagdgründe von Balmoral.
Während außen nur der Zierrat den Unterschied macht, hat Mercedes innen deutlich mehr umgebaut. Natürlich strotzt die betont moderne und mit ihren großen Bildschirmen beinahe futuristische Kabine nur so vor Lack und Leder. Die Hölzer blamieren jeden Kunsttischler, und wahrscheinlich könnte man den Faden des Sattlers einmal um die Welt wickeln, so aufwändig und dekorativ sind die Leder vernäht. Doch was den Maybach wirklich ausmacht, sind die beiden Loungeliegen im Fond.
Hinten sitzt es sich am besten
Während der GLS sonst eher pragmatisch bestuhlt wird, können sich hier zwei Mitfahrer in den beheizten Massage-Lederliegen die Fahrt genießen. Sie dürfen die Beine auf elektrisch ausfahrende Wadenkissen legen. Für noch mehr Bewegungsfreiheit lässt sich der Beifahrersitz mit einem Knopfdruck weit nach vorn falten. Damit die Arbeit nicht zu kurz kommt, finden die Passagiere zudem elegante Klapptische und WLAN vor. Für die Unterhaltung sorgt bei Bedarf ein TV-System, gegen den Durst hilft ein Kühlschrank samt Champagner-Kelchen. Statt einer einfachen Hutablage trennt eine feste Wand den Kofferraum. Wer mag schon in einem Raum mit seinem Gepäck reisen, man fährt ja nicht Bahn. Das Niveau entspricht also dem in der Maybach S-Klasse. Allerdings mit mehr Bodenfreiheit und in einer geräumigeren Kabine.
• Motor: V12-Biturbo
• Leistung: 630 PS
• 0-100 km/h: 4,1 s | Vmax: 250 km/h
Antrieb: Stark, aber kein V12
Unter der Motorhaube herrscht dagegen beinahe ein wenig Askese. Auch wenn das Kürzel 600 andere Erwartungen weckt: Einen Zwölfzylinder baut Mercedes nicht in den Maybach GLS. Den gibt es nur bei den Wettbewerbern von Rolls-Royce und Bentley. Hier arbeiten dagegen “nur” acht Zylinder. Allerdings bekommen Maybach-Kunden mehr Leistung als Mercedes-Kunden. Mit 558 PS und 730 Newtonmeter Drehmoment reicht der 4,0-Liter-Turbo fast an den AMG heran. Der elektrische Booster des Mildhybrid-Systems addiert vor allem beim Anfahren noch einmal 22 PS und 250 Newtonmeter zum Leistungspaket.
Das Konzept funktioniert: Im Ergebnis steht das Fahrgefühl der Mühelosigkeit eines Zwölfzylinders in nichts nach. Die 2,8 Tonnen Fahrzeuggewicht beeindrucken den Motor kein bisschen. Hinter der dicken Schottwand ist das Triebwerk eher zu ahnen als tatsächlich zu hören. Der Achtzylinder wuchtet den Wagen mit einer solchen Gelassenheit voran, dass man fast vom Glauben an die Physik abfallen möchte. Von null auf 100 Kilometer pro Stunde geht es in Sportwagen-verdächtigen 4,9 Sekunden. Der Vortrieb hält mühelos an, bis elektronisch begrenzte 250 km/h erreicht sind. Auf der linken Spur macht dem Maybach GLS 600 also niemand etwas vor. Selbst, wenn doch noch ein schnellerer Verkehrsteilnehmer im Weg rollt: Die Präsenz der rollenden Luxus-Schrankwand im Rückspiegel macht den Weg frei. Jede Wette.
Fahrverhalten: Wie auf Wolken
In jedem anderen Auto wären diese prallen Fahrleistungen ein veritabler Grund, sich um den Platz hinter dem Lenkrad zu streiten. Doch so viel Freude die Souveränität des Maybach auch bereiten mag, so atemberaubend der Kickdown vonstattengeht: In einem Maybach sitzt die wichtigste Person hinten rechts. Das wissen die Fahrwerks-Ingenieure genau. In die elektrisch angeregte Federung programmieren sie deshalb eigens ein spezielles Maybach-Profil. Während der GLS ohne Haubenstern noch ein wenig Fahrspaß in Kurven verbreiten darf, kompensieren die 48 Volt-Steller in diesem GLS im vorauseilenden Gehorsam nicht nur jede Seitenneigung, sondern tilgen auch alle Schwingungen, die von der Fahrbahn in die Fauteuils im Fond eingetragen werden könnten. Auch dann, wenn der Fahrer dafür im schlimmsten Fall ein paar Stöße mehr spürt. So rollt das wuchtige SUV erhabener daher als jede S-Klasse, und packt die Passagiere in Watte gepackt und auf Wolken.
• Motor: 6,2-Liter-V8
• Leistung: 631 PS
• 0-100 km/h: 3,6 s | Vmax: 315 km/h
Preise: Ist der Maybach zu günstig?
Für die verwöhnte Luxuskundschaft gibt es ein anderes Problem: Für die wirkliche Exklusivität ist der Mercedes-Maybach GLS 600 zu billig. Der Aufstieg zum Gipfel der Geländewagenwelt kostet im Maybach-GLS zwar 50.000 Euro mehr als im Mercedes GLS, mit ein paar Kreuzchen in der Liste der Extras könnend daraus leicht 200.000 Euro werden. Aber: Einen Rolls-Royce Cullinan gibt es zu diesem Betrag noch nicht, auch der Bentayga ist teurer. Im Alltag kommt Mercedes den Kunden ebenfalls entgegen: Wo sich der Landadel bei den britischen Luxus-SUVs aus eigener Kraft in den Wagen hieven muss, klappt ihm im Maybach beim Öffnen der Türen automatisch ein massives Trittbrett entgegen, das den entscheidenden Moment mit einer LED-Illumination auch noch richtig in Szene setzt. Zu schade, um daran Windsor-Gummistiefel abzustreifen.
Mercedes Maybach GLS 600 4Matic | Technische Daten |
---|---|
Länge | 5,12 Meter |
Breite | 2,03 Meter |
Höhe | 1,84 Meter |
Radstand | 3,14 Meter |
Kofferraum | 520 Liter |
Motor | 4,0-Liter-Twinturbo-V8 |
Leistung | 410 kW/558 PS |
Drehmoment | 730 Nm bei 2.500 – 5.000 U/min |
Antrieb | Allradantrieb |
Getriebe | Neungang-Automatik |
0-100 km/h | 4,9 s |
Vmax | 250 km/h |
Normverbrauch | 11,7 l/100 km |
CO2 | 266 g/km |
Preis | ab 156.078 Euro |