Die Mercedes B-Klasse ist eine der letzten ihrer Art
Einst bevölkerten Familienvans zu Millionen die Carports Europas, heute sind nur noch wenige Modelle neu im Handel erhältlich. Darunter die frisch erneuerte Mercedes B-Klasse - bei uns im Test.
- Karosserie, Platzangebot, Abmessungen
- Innenraum, Verarbeitung, Materialien
- Infotainment, Radio, Bedienung
- Mercedes B-Klasse: Assistenzsysteme, Sicherheit
- Antrieb, Motor, Getriebe, Fahrleistungen
- Fahrwerk, Lenkung, Federung, Fahrverhalten
- Ausstattung, Preise, Kosten
- Fazit Mercedes B-Klasse: Spagat zwischen Zielgruppe und High-Tech
- Mercedes B 200 d: Technische Daten
Der Mainstream-Wettbewerb baut bei den Vans ab: Opel, Mazda, Toyota oder Ford erseten ihr Van-Angebot zu guten Teilen durch SUV oder streichen die Modelle komplett. Kleinfamilien- und seniorengeeignete Vans findet man dagegen ausgerechnet bei BMW und Mercedes. Mercedes erneuert seinen Kompaktvan B-Klasse, und der Neue soll frei nach Altkanzler Gerhard Schröder nicht alles anders, aber vieles besser machen als der Vorgänger. Der Mercedes-Van bek ein schnittigeres Design, die neuesten Motoren aus dem Konzernregal, das neue Infotainment MBUX und die aktuelle Assistenztechnik aus der A-Klasse. Zwei Wochen testeten wir, wie sich die B-Klasse im Alltag schlägt. Und zwar sowohl im Stadtverkehr als auch auf der Langstrecke.
Karosserie, Platzangebot, Abmessungen
Die 4,42 Meter Außenlänge der Mercedes B-Klasse entsprechen exakt der Länge der A-Klasse - ebenso der Radstand von 2,79 Metern. Allerdings ragt die B-Klasse mehr als 12 Zentimeter höher auf als die A-Klasse. Man sitzt höher, aufrechter - und freut sich an mehr Platz auf gleicher Länge. Verbleibt die längs verschiebbare Rücksitzbank in Ausgangsstellung, genießen die Passagiere auf der Rücksitzbank an Knien wie am Kopf mehr als genug Raum. Eine dritte Person sollte jedoch nicht unbedingt in der Mitte mitfahren. Vorn sitzt man ohnehin gut, große und kleine Fahrer finden leicht eine angenehme Sitzposition auf dem Fahrersitz.
Das Kofferraumvolumen kommt da nicht ganz mit: 455 Liter in Ausgangsstellung der Rückenlehne (Maximum: 1.540 l) sind nicht viel für einen Kompaktvan. Der Mercedes liegt damit zwar nur leicht unterhalb des BMW 2er Active Tourer (468 l). Der Abstand zu einem konsequenten Familienvan wie dem VW Touran (740 l) ist gigantisch. Zum Ausgleich lässt sich der Kofferraum der B-Klasse angenehm beladen und kinderleicht vom Kofferraum aus vergrößern. Eine komplett ebene Ladefläche entsteht dabei leider nicht.
Innenraum, Verarbeitung, Materialien
Bei der B-Klasse gilt wie in der A-Klasse: Wer viel Geld im Innenraum verplant, bekommt ein hübsches Cockpit. Mit Progressive-Ausstattung (1.480 Euro), Lederpaket (1.654 Euro) und Alu-Zierteilen (179 Euro) gruppieren sich feine und sorgfältig verarbeitete Materialien um die zwei 10,25-Zoll-Displays herum - die für die letzte Eleganz vielleicht etwas zu dominant gestaltet sind. Ein Auto ist schließlich keine Spielkonsole. Nicht alle Knöpfe und Schalter können das hohe Niveau mitgehen, das die fein klickenden, runden Luftdüsen und die sorgsam verarbeiteteten Lederflächen vorgeben. Einige Schalter wirken schlicht, der Wahlhebel für die Gangschaltung etwas zu leicht. Insgesamt aber hat Mercedes das Niveau der B-Klasse deutlich gesteigert. Einige Details bekommt man so noch nicht einmal in C- oder E-Klasse.
Infotainment, Radio, Bedienung
Bei Mercedes gibt es nicht mehr einfach Infotainment. In der B-Klasse steckt die „Mercedes-Benz User Experience“, kurz “MBUX”. Im Kern nicht einfach nur Navi, Netzwerkdienst und Musik, sondern eine lernfähige, künstliche Intelligenz, die der Nutzer mit einer fortschrittlichen Sprachsteuerung bedient. Man kann sich durchaus daran gewöhnen, mit seinem Auto zu sprechen, anstatt sich selbst durch die Menüs und Untermenüs des rechten 10.25-Zoll-Touchscreens zu klicken. “MBUX” versteht natürliche Sprache und soll zumeist adäquat reagieren.
Das klappt bei den meisten Funktionen des Infotainments sehr gut, etwa mit Navi-Zielen, Telefongesprächen oder Informationen zum Fahrprofil (“Hey Mercedes, wie hoch ist mein Durchschnittsverbrauch?”). Auch die Klimaanlage kann “Mercedes” auf Zuruf justieren, was aber angesichts gut erreichbarer Knöpfe für die Temperatureinstellung eher eine Spielerei ist.
Ein Nachteil der Sprachsteuerung: Sie verrät nicht, was sie nicht kann. “Hey Mercedes, schließe das Popup” führt nicht dazu, dass die Info zum Anschnall-Status der (nicht vorhandenen) Fondpassagiere aus dem Display verschwindet. Zudem verstehen die MBUX-Programmierer, anders als etwa die Siri-Programmierer, offenbar keinen Spaß. Auf lustige Konversationen, die Abwechslung in monotone Fahrten bringen könnten, lässt sich MBUX nicht ein. Interessant: An Kreuzungen blendet das Navi Richtungspfeile in Bilder der Frontkamera ein. Das war mal gut und mal schlecht - verdeckte etwa ein Lkw im Kamerabild die richtige Abzweigung, sah man nur einen Lkw.
Natürlich lässt sich MBUX auch klassisch über Touchflächen am Lenkrad oder ein Touchpad auf der Mittelkonsole bedienen. Das ist aber vergleichsweise unkomfortabel - auch im Vergleich zum guten, alten Dreh-Drück-Steller. An viele Funktionen kommt man im Gespräch mit der etwas humorlosen Computerstimme am schnellsten heran.
Mercedes B-Klasse: Assistenzsysteme, Sicherheit
Zunächst in der neuen A-Klasse zeigte Mercedes, was heute alles in der Kompaktklasse möglich ist. Auch die neue B-Klasse auf gleicher technischer Basis verfügt gegen Aufpreis über ein umfangreiches Assistentenpaket: Spurhalte-Assistent, Bremsassistent, Tempolimit-Assistent, Totwinkel-Assistent und Distronic, aktiver Einpark-Assistent und 360-Grad-Kamera - in diesem Van erhält der Fahrer fast alle Unterstützung, die heute rechtlich zulässig ist. Vor allem auf langen Autobahnfahrten überzeugt der Abstandstempomat. Die B-Klasse beschleunigt teilweise etwas langsamer als erwartet, ansonsten dürften nachfolgende Autofahrer angesichts der organischen und berechenbaren Fahrweise aber kaum noch merken, dass hier ein Tempomat fährt. Der Spurhalte-Assistent dagegen kann durchaus mal nerven, obwohl Mercedes die Lenkeingriffe dezenter gestaltet als viele andere Hersteller.
Die Parkhilfen sind ebenfalls in der Lage, unsicheren Fahrern das Leben zu erleichtern - wer aber das Einparken in engen Städten gewohnt ist wird feststellen, dass die Automatik keine deutlich engeren Parklücken zugänglich macht.
Wie so oft bei Mercedes allerdings: Wer die neueste Technik wünscht, muss dafür zahlen. Knapp 1.800 Euro kostet das Fahrassistenzpaket, hinzu kommen 1.600 Euro für das große Parkpaket. Den vollen Funktionsumfang gibt es nur mit Basisnavi für gut 1.350 Euro und Verkehrszeichen-Erkennung für 350 Euro. Da kommt einiges zusammen, das den Endpreis treibt.
Antrieb, Motor, Getriebe, Fahrleistungen
Unter der Haube des B 200 d arbeitet Mercedes’ modernste Dieselgeneration mit der internen Kennung “OM654” - auf alle heute bekannten, künftigen Abgasnormen vorbereitet, soll er den Daimler-Kunden Dieselkauf quasi ohne Reue ermöglichen. In der gut 1,5 Tonnen schweren B-Klasse überzeugt die 150-PS-Version des Motors in jedem Fall. Der 2,0-l-Vierzylinder verbirgt zwar nicht, dass er ein Diesel ist: er klingt präsent und brummig, ohne dabei aber zu nerven. Mercedes dämmt den Motor angenehm weg, so dass auch bei 150 km/h noch ein gedämpftes Gespräch möglich ist.
Vor allem auf der Langstrecke punktet der Diesel mit genug Kraft für spontane Überholmanöver und die linke Spur, sowie mit günstigem Verbrauch. Mit weniger als sechs Liter auf 100 Kilometer kommt der B 200 d selbst bei zeitoptimierter Fahrweise meist aus. Die Spitze beträgt 219 km/h, was im Alltag für die meisten Zwecke mehr als ausreicht - auch dann, wenn der Alltag öfter lange Autobahnfahrten bereithält.
Im Stadtverkehr wirkt der B 200 d mitunter etwas träge, da er hier öfter in niedrigen Drehzahlbereichen agiert. Das maximale Drehmoment von 320 Newtonmeter liegt zwar bereits ab 1.400 Umdrehungen an, aber das ist bei einem Turbodiesel eben schon Stadt-Reisegeschwindigkeit - darunter schleppt der Motor etwas am Gewicht der B-Klasse. Im Stadtverkehr verbrauchte der Diesel rund 7,5 l/100 km. Insgesamt erschien uns die B-Klasse angemessen sparsam, der Normverbrauch von 4,5 l/100 km aber im Alltag nicht recht reproduzierbar.
Das von Daimler selbst entwickelte Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe im B 200 d gehört zu den angenehmeren Getrieben seiner Art. Es dosiert die Fahrstufen und damit die Drehzahl angenehm organisch, schaltet flink, aber nicht hektisch und wirkt praktisch nie unentschlossen. Die Bedienung erfolgt Mercedes-typisch über einen Stock rechts am Lenkrad.
Weniger angenehm: Das serienmäßige Tankvolumen beträgt nur 43 Liter, davon 5 Liter Reserve - Kleinwagen-Niveau. Für einen größeren Tank verlangt Daimler überschaubare 59,90 Euro - dann sind es ebenfalls nicht üppige 51 Liter. Was dann schon eine ordentliche , aber keine gigantische Reichweite beschert.
Fahrwerk, Lenkung, Federung, Fahrverhalten
Mercedes bezeichnet das Grundprogramm “Comfort” als ausgewogen, aber es macht seinem Namen alle Ehre: In der Standardeinstellung des adaptiven Stahlfahrwerks kompensiert die B-Klasse Fahrbahnunebenheiten mit auffällig ausgeprägtem Schwingen und Schaukeln. In der Kurve neigt sich die hohe Karosse deutlich. Wer den gewollt komfortablen Charakter des Mercedes nicht gewohnt ist, schielt schon mal, ob das Reifendruck-Kontrollsystem zu wenig Luft im Reifen attestiert.
Als ausgewogener empfanden wir die sportliche Einstellung: Dann federt der Kompaktvan immer noch gut gegen Stöße und Schwingungen an, hält aber den Aufbau gerade, nickt und rollt wenig, die Lenkung wird schön straff. Im Alltag treibt der Sport-Modus aber über die Schaltstrategie der Automatik die Drehzahl unnötig hoch. Da kann der “Individual”-Modus helfen - oder einfach der Verzicht auf das Verstellfahrwerk (1.178 Euro).
Denn im Grunde hätte die B-Klasse den Schaukel-Charakter gar nicht nötig. Im Stadtverkehr fährt sie handlich, auf der Autobahn stur geradeaus - lediglich die Abrollgeräusche der 18-Zöller des Testwagens empfanden wir jenseits der 150 km/h als nicht ganz Mercedes.
Ausstattung, Preise, Kosten
Mercedes platziert die B-Klasse preislich in gewissem Abstand zur überschaubaren Van-Konkurrenz: Gut 35.900 Euro kostet der B 200 d mit 150-PS-Diesel, einen BMW 2er Active Tourer gibt es als ebenfalls 150 PS starken 218d ab 33.200 Euro. Ein VW Touran mit 150 Diesel-PS kostet ebenfalls gut 33.000 Euro. Bei den rund 2.700 Euro Aufpreis auf die deutschen Konkurrenten bleibt es aber nicht: Für schöne Materialien und moderne Technik verlangt Mercedes wie üblich üppige Aufpreise. Im Testwagen treiben Designpaket, Lederpaket, Assistenz, Infotainment und “Kleinigkeiten” wie die elektrische Heckklappe (464 Euro) den Gesamtpreis auf fast 53.000 Euro. All das braucht man nicht, aber unterhalb der 40.000 Euro bleibt ein B 200d vergleichsweise schlicht. Mercedes muss man also wie gewohnt bezahlen können - und wollen.
Fazit Mercedes B-Klasse: Spagat zwischen Zielgruppe und High-Tech
Es ist ein interessanter Spagat, den Mercedes bei diesem Modell versucht. Die Schwaben statten ihre B-Klasse mit allem aus, was die sportlicher gemeinte A-Klasse und den CLA ebenfalls ausmacht: Ein bisher in dieser Klasse unerreichter Umfang an Assistenztechnik, komplexes, interaktives Infotainment, wertige und kostspielige Innenraum-Designpakete. Den hippen Technologieträger nimmt man der B-Klasse dennoch nicht so richtig ab. Sie soll und muss schließlich alle Mercedes-Kunden versammeln, die eigentlich keinen hippen Technologieträger fahren wollen - sondern ein Auto, in dem noch Platz ist für den sinnbildlichen Hut auf der Hutablage. Das gelingt ihr gut: Ein kompromisslos praktischer Innenraum, eine erhöhte Sitzposition und eine provozierend komfortable Fahrwerksauslegung dürften die klassische Zielgruppe der B-Klasse ansprechen. Und sie vielleicht versöhnen mit Sprachsteuerung, Augmented Reality und Assistenten, die tatsächlich beim sicheren Fahren helfen können - wenn der Fahrer sich darauf einlässt. Gut möglich aber, dass nicht wenige B-Klasse-Kunden mit Daimlers neuester Technik-Ausbaustufe fremdeln werden.
Mercedes B 200 d: Technische Daten
- Motor: 2,0-l-Vierzylinder-Dieselmotor
- Leistung: 150 PS
- Hubraum: 1.950 ccm
- Drehmoment: 320 / 1400-3.200 U/min
- Getriebe: Achtgang-Automatik (DCT)
- Höchstgeschwindigkeit: 219 km/h
- 0-100 km/h: 8,3 s
- Normverbrauch: 4,5-4,2 l/100 km
- CO2: 119-112 g/km
- Länge: 4.419 mm
- Breite: 1.796 mm
- Höhe: 1.562 mm
- Radstand: 2.729 mm
- Leergewicht: 1.535 kg
- Kofferraum: 445 - 1.530 l
- Anhängelast: 1.600 kg
- Grundpreis Mercedes B 200 d: 35.932 Euro
- Grundpreis Mercedes B-Klasse (B 160): 28.143 Euro
- Testwagenpreis: 52.788 Euro
Mercedes B-Klasse 2019 Test
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