Mercedes 600 Pullman (1963-1981): Test
Der majestätische Mercedes 600 schlägt Reiche, Schöne und Böse in seinen Bann. Als wir ihn 40 Jahre später fahren, fasziniert uns vor allem sein Komfort.
Wer in einen Mercedes 600 einsteigt, beginnt augenblicklich eine Zeitreise. Passagiere, die im majestätischen Fond Platz nehmen, tauchen unweigerlich in die Zeit der Bonner Republik ein. Je nach Ausstattung gibt es Mini-Bar, Fernseher, Videorekorder und zwei orange Leuchten für warmes Licht am Dachhimmel – damit sich die Insassen vor Fotografen besonders vorteilhaft in Szene setzen können. Es riecht ein wenig nach den muffigen 70er-Jahren, nach Holz und Leder, nach Ludwig Erhards Zigarren und Willi Brandts Zigaretten. Im Gegensatz zu den beiden Politik-Legenden sind wir den dicken Mercedes, diese absolute Auto-Legende, auch selbst gefahren.
Mercedes 600 (W100) in Kürze
- Längster (6,24 Meter) und schwerster (2,6 Tonnen) Personenwagen von Mercedes
- Zentralhydraulik sorgt noch heute für unerreichten Fahrkomfort
- 6,3-Liter-V8-Motor beschleunigt die Staatskarosse auf Sportwagen-Niveau
- 2.677 Fahrzeuge werden gebaut und zumeist an Prominente verkauft.
- 25 Modelle bei mobile.de für sechsstellige Preise inseriert
Hinter dem Steuer der Legende erwartet uns die erste Überraschung. Im längsten Mercedes der Nachkriegszeit (bis zu 6,24 Meter) fühlen wir uns auf dem Ledersitz hinter dem Steuer beengt. Egal, dafür sitzen wir hier in der Kommando-Zentrale. In der Mittelkonsole stecken drei Telefone. Es würde jetzt kaum wundern, wenn eines davon klingeln würde und Hans-Jürgen „Ben Wisch“ Wischnewski am anderen Ende der Leitung erklärt, dass die entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ befreit wurde. Von all dem würden die Fondpassagiere nichts mitbekommen – vorausgesetzt, die Trennscheibe wurde vorher lautlos hochgefahren. Mit zwei Innenspiegeln lassen sich Mitfahrer und Verkehr gleichermaßen im Blick behalten.
Der Mercedes 600 Pullman mit der Typenbezeichnung W100 wird 1963 vorgestellt und ausschließlich positiv beurteilt.
Die Fahrstufe des Viergang-Automatik-Getriebes lässt sich über den Hebel am Lenkrad leicht einlegen. Mit leichtem Druck auf das rechte Pedal rollt die Staatskarosse los.
2667 Modelle des Mercedes 600 werden gebaut
Bei der Vorstellung des 600ers, interne Typenbezeichnung W100, auf der IAA 1963 fällt das Echo der Beobachter durchweg positiv aus. Der Ruf war von Anfang an so legendär, dass sich kein deutscher Hersteller je traute, ein Konkurrenzmodell zu bauen. Schon Mitte der 1950er-Jahre beginnt die Planung. Mit dem 600er will Mercedes den Erfolg der großen Limousinen fortschreiben, wie des Typ 770 „Großer Mercedes“ und des 300er Adenauer. Ab 1964 müssen Kunden für den 600er 56.500 Mark zahlen, für das längere Modell mit Pullman-Karosserie 63.500 Mark. Zum Vergleich: Ein VW Käfer 1200 Standard kostet zur gleichen Zeit 4.290 Mark. Bei der Vorstellung zählt der 600er zu den exklusivsten Fahrzeugen der Welt – noch vor Rolls-Royce. Das erste Modell geht an einen Architekten aus Amerika. Danach folgen Politiker, Diktatoren, Popstars.
18 Jahre lang baut Mercedes den 600, insgesamt entstehen in der Zeit 2.677 Fahrzeuge, davon 487 mit längerer Pullman-Karosserie. Nur 586 Fahrzeuge bleiben in Deutschland, die meisten Autos gehen in die USA. Die Liste der Besitzer ist lang und ein Who’s Who der Reichen, Schönen und Bösen. John Lennon, Elvis Presley, Udo Jürgens, Elizabeth Taylor, David Bowie, Herbert von Karajan, Aristoteles Onassis, Coco Chanel, Papst Paul VI., Leonid Breschnew, Kaiser Hirohito, Kim Il-sung, Nicolae Ceaușescu (wird gerade angeboten), Saddam Hussein und Pablo Escobar. Manche arabischen Königshäuser bestellten gleich 100 Fahrzeuge, Zaires Diktator Mobutu besaß 23 Fahrzeuge, Schah Reza Pahlavi von Persien 20. Die Fahrzeuge der Bundesregierung und des Bundespräsidenten stammen von Mercedes und wurden für den jeweiligen Einsatz nur zur Verfügung gestellt.
Unsere Limousine gleitet inzwischen zügig über den Asphalt. Die 2,6 Tonnen Gewicht merken wir kaum, der 600er meistert auch holprige Straßen leise und vibrationsfrei. Sanft schaltet das Getriebe hoch und beschleunigt den Pullman zügig auf 160 km/h. Immer noch keine Vibrationen und kaum Windgeräusche. Egal, bei welcher Geschwindigkeit, der Benz fühlt sich noch heute dank seiner Luftfederung wie ein gut eingesessenes Sofa an. Die Veloursitze verschlingen die Passagiere geradezu. Wer sich vor neugierigen Blicken schützen will, zieht einfach die Vorhänge zu und hängt lässig eine Hand in einen der sehr langen Haltegriffe. Für Entspannung sorgen ein Gläschen Hochprozentiges aus der Minibar und ein Musikstück aus dem Radio. Dann nur noch die Füße ausstrecken und genießen. Formidabler lässt es sich auch heute in keinem anderen Auto reisen.
Hydraulik-Konzept verleiht Mercedes 600 einmaligen Komfort
Quelle dieses Fahrkomforts ist die damals revolutionäre Zentralhydraulik. Neben der aufwendigen Steuerung für die Fenster zählen dazu Luftfederung, Automatikgetriebe, Servolenkung und -bremsen. Mit der separaten Komforthydraulik lassen sich neben den Fenstern auch Sitze, Kofferraumdeckel, Glastrennwand, Schiebedach, Zuziehhilfe der Türen, Zentralverriegelung und die Klimaanlage bedienen. Noch 40 Jahre später vernehmen wir kein nerviges Motorengeräusch, kein Wimmern, kein Quietschen, noch nicht mal ein hochfrequentes Piepen. Selbst die Seitenscheiben öffnen und schließen wie von Geisterhand.
Als Antrieb dient ein völlig neu entwickelter 6,3-Liter-V8. Der M100-Motor mit Saugrohreinspritzung wird der erste V8 der Firmengeschichte und leistet 250 PS. Damit beschleunigt der 600er von 0 auf 100 in rund 10 Sekunden (Pullmann 12 s) und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 205 km/h (Pullmann 200 km/h). 1963 sind das Sportwagenwerte – ein Porsche 356 B fährt nicht schneller. Unter 25 Liter Sprit auf 100 Kilometer geht zwar nichts, dafür fasst der Tank aber auch 112 Liter.
Zum schnellen Fahren war der 600er jedoch nie gedacht, eher zum Cruisen und Repräsentieren. Bereits die viertürige „kurze“ Limousine misst 5,54 Meter, die Pullman-Version und das Landaulet kommen auf 6,24 Meter. Länger war damals keine andere Limousine. Dafür bietet ein Radstand von 3,20 Metern (beim Pullmann 3,90 m) viel Platz im Innenraum, wobei der beste Platz ausnahmsweise hinten liegt. Zum Vergleich: Die aktuelle S-Klasse misst nur 5,17 bis 5,28 Meter.
Sechsstellige Preise für gebrauchte Mercedes 600
Viele Fahrzeuge existieren noch, doch nur wenige werden zum Kauf angeboten, etwa 25 Fahrzeuge sind es bei mobile.de (Stand: Oktober 2020). Die Preise für fahrbare Modelle liegen allesamt im sechsstelligen Bereich.
Die Karosse, die jahrelang im Besitz der rumänischen Regierung war, kostet knapp 300.000 Euro, bietet dafür aber nach Angaben des Händlers “die gesamten Annehmlichkeiten, die den großen Mercedes zum besten Fahrzeug seiner Zeit machten”. Lediglich Telefon und Funk wurden ausgebaut. Fazit: “Das Fahrzeug erzählt 56 Jahre Geschichte, ohne verwohnt zu wirken.”
Die 02-Baureihe war Vorgängerin des 3er BMW (ab 1975). Bereits 1929 rollt das erste Serienautomobil mit dem Namen "DA 2" bei den Bayerischen Motorenwerken vom Band.
Andere überlange Fahrzeuge, sogenannte Stretch-Limousinen, gibt es heute deutlich günstiger als einen 600er. Wie einen Lincoln Town Car (ab 14.000 Euro), Chrysler 300 C (ab 15.000 Euro) oder Cadillac Escalade (ab 18.000 Euro). Die bieten zwar noch mehr Platz als ein Pullman, können jedoch nicht mit dem leisen Öffnen und Schließen der Fensterheber mithalten. Die Hydraulik macht den Unterschied. Noch heute.
Technische Daten Mercedes 600 Pullman
Motor | 6,3 Liter V8-Benziner |
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Getriebe | Viergang-Automatik |
Leistung | 250 PS bei 4.000 Umdrehungen |
Drehmoment | 500 Nm bei 2.800 Umdrehungen |
Verbrauch | ca. 25 l/100 km |
Beschleunigung | ca. 10 s |
Geschwindigkeit | 200 km/h |
Länge | 6.240 mm |
Breite | 1.950 mm |
Höhe | 1.510 mm |
Radstand | 3.900 mm |
Leergewicht | 2.770 kg |
Preis 1978 | 165.500 Mark |
Preis heute Note 2 | 350.000 EUR |