KI im Auto ist viel mehr als ChatGPT im Cockpit
Künstliche Intelligenz steckt bereits seit mehr als zehn Jahren in den Assistenzsystemen vieler Autos. Jetzt kommt sie aus der Nische heraus und soll das Auto zum digitalen Assistenten machen.
Künstliche Intelligenz im Auto? Viele Menschen haben gegen KI Vorbehalte, wie eine internationale Umfrage des Beratungsunternehmens Publicis Sapient zeigt, die im vergangenen Spätherbst durchgeführt wurde. Den meisten Umfrageteilnehmern scheint nicht bewusst gewesen zu sein, dass ihr Auto mit hoher Wahrscheinlichkeit längst einfache KI-Modelle an Bord hat.
KI im Auto? Gibt es seit mehr als zehn Jahren
Denn die Assistenzsysteme, die das Geschehen rund um das Auto überwachen, setzen auf KI. Zugeliefert werden diese digitalen Objekterkenner in den meisten Fällen von Mobileye, einem israelischen Unternehmen, das visuelle Fahrerassistenzsysteme herstellt. Um das Jahr 2011 herum hat Mobileye damit begonnen, diese Systeme, die wir als Notbrems- und Spurhalteassistenten kennen, mit künstlicher Intelligenz auszustatten. Das Unternehmen war mit seiner Software sehr erfolgreich und besitzt damit in der Nische „Objekterkennung“ etwa 70 Prozent Marktanteil. Auf die Systeme setzt praktisch jeder Autohersteller, beispielsweise der Volkswagen-Konzern oder Ford. Aber auch ganz junge Unternehmen nutzen sie, Zeekr ist ein Beispiel dafür.
Die KI in der Objekterkennung steuert die Entscheidungsprozesse des Assistenten und beeinflusst maßgeblich die Einschätzung, wie kritisch eine Situation ist. Das Kollisionsvermeidungssystem überwacht dafür ständig die vor dem Auto liegende Straße und analysiert die Gefahr eines Zusammenstoßes, des unbeabsichtigten Verlassens der Fahrspur, des dichten Auffahrens sowie die von Fußgängern und Radfahrern ausgehenden Gefahren. Wenn eine Bedrohung erkannt wird, warnt Mobileye einige Sekunden vor einer möglichen Kollision mit visuellen und akustischen Hinweisen. Reagiert der Fahrer nicht, bremst der Assistent selbstständig.
Basis der dabei eingesetzten KI ist ein sehr umfangreicher Maschinenlernprozess. Schließlich muss die Software ein Auto von einem Müllcontainer, einen Bus von einer Bushaltestelle oder einen Fußgänger von einem Busch unterscheiden können. Das System muss lernen, dass sich ein Auto bewegen kann, der Müllcontainer dagegen nicht. Dabei ist der Begriff Maschinenlernprozess irreführend, denn die digitale Maschine lernt diese Unterschiede und damit die Relevanz von Gegenständen und Verkehrsteilnehmern keineswegs selbst. Sie wird ihr von Menschen antrainiert. Der Prozess ist aufwendig, zeitraubend und damit teuer.
Das System wird mit Bildern verschiedener Verkehrssituationen gefüttert, auf denen die relevanten Gegenstände (Verkehrsteilnehmer aller Art) ein Label zugewiesen bekommen haben. Nach vielen Tausend betrachteten Bildern hat das System eine Datenbank in der Cloud aufgebaut, auf die der Assistent zugreift, wenn er in einem Auto zum Einsatz kommt. Diese Datenbank bildet zusammen mit den im Auto abgelegten Daten die Basis, auf der die KI entscheidet, ob der Fahrer gewarnt werden muss oder ob die Situation voraus unkritisch ist.
Das kann KI heute:
- Umfelderkennung für die Assistenzsysteme
- Spracherkennung für Befehlseingabe (Navigation, Heizung, Infotainmentsysteme)
- Fahrererkennung, beispielsweise zur Sitz-, Lenkrad- und Spiegeleinstellung
Das kann KI morgen:
- Natürliche Sprache verstehen
- Routinen des Fahrers erkennen und sie mit aktueller Verkehrssituation abgleichen, um Fahrrouten optimal auszuwählen
- Einbindung von Augmented Reality für besseres Spiel-Erlebnis
Das kann KI übermorgen:
- Überwachung der Fahrzeugkomponenten und Erkennen von beginnendem Verschleiß, direktes Vereinbaren von Werkstattterminen
- Schützen vor Hackerangriffen
- Automatisiertes Fahren der Level 4 und 5
Die nächste Generation der KI ist selbstlernend
Das KI-Unternehmen Autobrains, wie Mobileye in Israel beheimatet, arbeitet an der nächsten Generation KI. Die wird dann wirklich selbstlernend sein und mit einem Bruchteil des Maschinenlernens auskommen, das heutige Systeme nötig haben. Der Autobrains-Ansatz verringert den Aufwand und senkt damit die Kosten. Ex-VW-China-Chef und Ex-Opel-CEO Dr. Karl-Thomas Neumann sitzt im Aufsichtsrat von Autobrains und glaubt fest daran, dass die neue Form der KI die Sicherheitssysteme einerseits billiger und andererseits noch besser machen kann.
Beides ist wünschenswert, denn ab Juli 2024 sind verschiedene Assistenzsysteme für jedes neu zugelassene Auto vorgeschrieben. Wenn sie durch den Einsatz der nächsten KI-Generation günstiger werden, wäre es ein Schritt in die richtige Richtung.
Und ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum autonomen Fahren. Dr. Karl-Thomas Neumann: „Eines der schwierigsten Themen für die Autohersteller ist das autonome Fahren, trotz immer leistungsfähigerer KI. Ich sehe zwar große Fortschritte, nicht zuletzt dank der KI, aber es ist einfach wahnsinnig komplex.“ Denn wenn es um die Sicherheit im Straßenverkehr geht, sind wir nicht bereit, Fehler der künstlichen Intelligenz zu akzeptieren.
Lass uns reden – KI verbessert die Spracheingabe
VW feierte auf der Consumer Electronics Show CES 2024 den Einsatz von ChatGPT in vielen Modellen (ab Frühjahr 2024). Mit der Sicherheitstechnik oder dem autonomen Fahren hat ChatGPT im Auto allerdings nichts zu tun. Vielmehr soll die Sprachbedienung auf ein ganz neues Niveau gehoben werden. Das Auto soll mithilfe der KI zu einer Art persönlichem Assistenten auf Rädern werden. „Autofahrer wollen über natürliche Sprache Funktionen im Auto nutzen, dazu sind ChatGPT und Co. prädestiniert“, erläutert Dr. Jan Becker, CEO des Software-Unternehmens Apex.AI in Palo Alto im Silicon Valley. Eine Unterhaltung mit dem Auto, die so abläuft, als würden zwei Menschen miteinander sprechen, ist daher bei fast allen Autoherstellern das Ziel. Fragen zum Wetter am Zielort, zu Sehenswürdigkeiten, die an der Strecke liegen, und Ähnliches soll die KI künftig in natürlicher Sprache beantworten.
BMW hat auf der CES in Las Vegas bekannt gegeben, auf die KI von Amazon zu setzen, um aus den damit ausgerüsteten Modellen digitale Co-Piloten für ihre Fahrer zu machen.
„BMW steht sowohl für die ultimative Fahrmaschine als auch für das ultimative digitale Erlebnis“, sagte Frank Weber, der BMW-Entwicklungschef, in einem Interview mit „Futurride“ am Rande der Messe. „Auf der CES haben wir mehr Inhalte, mehr Individualisierung und mehr Spiele gezeigt. Und natürlich haben wir einen Blick in die Zukunft geworfen, mit perfekt integrierter Augmented Reality und starker, zuverlässiger künstlicher Intelligenz an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.“
Beim chinesischen Hersteller Nio ist KI längst an Bord, sie hat sogar einen Namen: Nomi. Ein Kunstwort, das auf die englische Formulierung „know me“ (kenne mich oder verstehe mich) zurückgeht. Denn über die Zeit lernt Nomi die Wünsche seines Nutzers immer besser zu verstehen. In unserem Video zum Nio ET7 stellen wir Nomi detailliert vor.
Wir wünschen gute Unterhaltung
In China genießen digitale Assistenten eine hohe Akzeptanz, der Umgang mit ihnen ist völlig unverkrampft. Tatsächlich sind spielerische Extras – Stichwort: Karaoke-Funktion oder die Anbindung von Gaming-Controllern per Bluetooth – bei chinesischen Autos mindestens optional ein Muss. Die Kunden sind jung und verbringen viel Zeit im Stau, da darf die Unterhaltung nicht zu kurz kommen. Dass die dabei eingesetzten Systeme jede Menge Daten über die User sammeln, ist kein Thema. Anders bei europäischen Kunden, wie die Umfrage der Berater von Publicis Sapient belegt.
Neben der Sicherheit und der Unterhaltung kann die KI das Leben mit dem Auto aber auch noch in anderer Hinsicht verbessern oder mindestens erleichtern. Denkbar und teilweise bereits umgesetzt sind Funktionen, die es der KI ermöglichen, die persönliche Sitz- und Lenkradposition einzustellen, wenn das Auto erkennt, dass sich ein Fahrer dem Fahrzeug nähert. Nutzer können KI auch mündliche Befehle geben, um die Temperatur im Innenraum zu regulieren, Fenster zu öffnen oder zu schließen.
Die mit dem Internet verbundene KI kennt immer die beste Route
Eine weitere Anwendung ist, dass die Fahrzeug-KI Vorschläge für die optimale Routenwahl macht, nachdem sie die täglichen Routinen und Reisegewohnheiten verstanden hat. Dabei kann sie die aktuelle Verkehrssituation einbeziehen, was ein dickes Plus gerade für die Elektromobilität ist, und sie kann Hinweise auf familiäre oder geschäftliche Termine geben – oder auf Termine für den nächsten Werkstattbesuch.
Dazu noch einmal Apex.AI-Chef Dr. Jan Becker: „Ich erwarte in naher Zukunft noch eine ganze Reihe anderer Anwendungen, bei denen die maschinellen Lernverfahren unter anderem Anomalien entdecken können, beispielsweise akustische Abweichungen vom Normalzustand. Denn jedes Auto besitzt ein eigenes Geräuschprofil. Ändert sich dies, weil beispielsweise ein Radlager oder ein Reifen einen Schaden aufweisen, könnte die Maschine dies detektieren, bevor das Bauteil endgültig versagt. Ohne Zweifel wäre diese Anwendung ein Sicherheitsplus. Außerdem erwarte ich, dass maschinelle Lernverfahren bereits in wenigen Jahren in der Lage sind, einen Hackerangriff auf die Systeme des Autos zu detektieren. Auch das wäre eine für den Kunden sehr sinnvolle Anwendung.“
Es ist durchaus vorstellbar, dass die Vorbehalte gegenüber künstlicher Intelligenz im Auto durch diese Fähigkeiten der KI sinken.