Strom für das E-Auto, ganz ohne Kabelsalat
Handys und Zahnbürsten laden seit Langem induktiv, ohne dass ein Kabel eingesteckt werden muss. Schon bald sollen auch E-Autos diese Technik nutzen.
Schmutzige Finger, wir kennen das vom Tanken unserer Diesel, wenn die Handschuhe an der Tankstelle mal wieder alle sind und wir die olle Zapfpistole in den Tank stecken müssen. Oft passiert das zum Glück nicht, auch weil der Diesel, einmal vollgetankt, für lange Zeit nicht an die Säule zurückkehren muss. Bei der Elektromobilität und unseren E-Autos sieht das anders aus, sie benötigen in kürzeren Abständen frische Energie.
Darum kabeln wir sie viel häufiger ans Stromnetz an, manchmal mit dem eigenen Kupferwurm, der im Kofferraum haust, manchmal mit dem Stecker, der fix mit der öffentlichen Ladesäule verbunden ist. Und mal ganz ehrlich, vor allem im Winter ist das nicht gerade eine vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit. Sicher, der clevere E-Mobilist hat für diese Fälle robuste Handschuhe dabei. Aber ein vollgeschneites oder mit Eis gepanzertes Ladekabel muss im Auto irgendwo gelassen werden, dreckig ist es nach kurzer Zeit sowieso. Was also tun?
Strom fließt durch die Luft ins Auto
Die Antwort ist logisch: einfach auf das Kabel verzichten und induktiv laden, so wie es mit verschiedenen elektrischen Geräten seit vielen Jahren möglich ist. Für das Auto bräuchte es dazu eine auf oder im Boden montierte Ladeplatte, die Strom mit einer an der Unterseite des Fahrzeugs angebrachten Empfängerspule über einen Luftspalt hinweg austauscht. Diese Ladetechnik gibt es leider noch nicht zu kaufen oder besser nicht mehr, aber das soll sich schon bald wieder ändern.
So ein berührungsloses System kommt ohne bewegliche Teile oder physische Anschlüsse, also Stecker aus. Stattdessen wird durch ein Magnetfeld Energie zwischen der Ladeplatte und der Fahrzeugspule übertragen, wenn sich das Auto über der Ladeplatte befindet. Wer es ganz genau wissen will: Das System nutzt die Resonanzinduktion zwischen der Ladeplatte und dem Empfänger, um eine hohe Effizienz bei verschiedensten Bodenabständen zu erreichen – vom Sportwagen mit sehr wenig Bodenfreiheit bis zum SUV mit viel Luft unter dem Bauch. Auch das bidirektionale Laden ist per Induktion möglich, womit ein Auto als Teil des Stromnetzes zum Stromspeicher wird.
Der Wirkungsgrad der Technik liegt mittlerweile mit etwas mehr als 90 Prozent nahe an der Stromübertragung per Kabel. Hier werden etwa 94 bis 96 Prozent erreicht. Übergangswiderstände an den Kabelanschlüssen und das Erwärmen der Hardware beim Laden verhindern, dass 100 Prozent des eingesetzten Stroms im Akku ankommen.
Vorteile des induktiven Ladens:
- Hoher Komfort
- Kein Kabel, das kaputtgehen kann
- Minimaler Platzbedarf (keine Ladesäule im öffentlichen Raum nötig)
- Bidirektionales Laden möglich (Auto wird Teil des Energienetzes)
Nachteile des induktiven Ladens:
- Wirkungsgrad derzeit 90 bis 92 Prozent, je nach Betrachtung sind die Verluste gegenüber dem Kabelladen mindestens um den Faktor zwei höher
- Zusätzliches Gewicht am Auto
- Keine Schnelllademöglichkeit
Bei BMW schon vor sechs Jahren im Angebot
BMW, ganz der technikaffine Premiumhersteller, hat das Laden ohne Kabel bereits 2018 angeboten. Wer allerdings heute die BMW-Preislisten der elektrischen Modelle durchforstet, findet dieses Ausstattungsfeature nicht mehr. BMW-Sprecher Bernhard Ederer: „Wir haben unser erstes Angebot wieder eingestellt, weil es seinerzeit an einer standardisierten Schnittstelle fehlte, die induktives Laden auch für den öffentlichen Raum interessant machen könnte.“
Ein guter Punkt. Denn, kocht jeder Hersteller sein eigenes induktives Süppchen und schafft sich damit ein ausschließlich von seinen Kunden nutzbares Angebot, bleiben die Stückzahlen niedrig, die Preise hoch und die Technologie kann sich nicht durchsetzen. Eine Standardisierung, am besten eine internationale, ist der Königsweg für einen Erfolg und diesen Standard gibt es jetzt.
Das erste Patent für induktive Stromübertragung wurde bereits 1894 von den Franzosen Maurice Hutin und Maurice Leblanc angemeldet. Es war ursprünglich für eine elektrische Eisenbahn gedacht, geriet aber in Vergessenheit. Erst in den 1970er-Jahren wurde diese Technik wieder aufgegriffen: 1977 meldete der US-Amerikaner John E. Trombly ein Patent für ein elektromagnetisches Batterie-Ladegerät an, das für die Helmlampen von Bergarbeitern vorgesehen war. Ein Jahr später entwickelten dessen Landsleute J. G. Bolger, F. A. Kirsten und S. Ng das erste E-Auto, das induktiv geladen werden konnte.
Endlich gibt es eine Norm für die Technik
Der Zulieferer Mahle, mit Hauptsitz in Stuttgart, war eine der federführenden Kräfte dahinter. Seine Technik wurde im November 2023 von der US-amerikanischen Society of Automotive Engineers (SAE) zur internationalen Norm erhoben. Mahle hatte gemeinsam mit Siemens eMobility und WiTricity eine Taskforce zur technischen Ausgestaltung des induktiven Ladens gegründet und letztlich die SAE überzeugt.
Eine SAE-Norm ist in ihrer Verbindlichkeit gut mit der deutschen DIN-Norm vergleichbar. Sie schafft ein Regelwerk, das den Entwicklern Leitplanken für ihre Technologie vorgibt. Oft genug ist die Normung der finale Startschuss für eine neue Technologie, denn die Industrie hasst wenig mehr als Wildwuchs bei technischen Lösungen. Normen dagegen sorgen dafür, dass sich eine ganze Branche an einem Standard orientieren und Produkte massenhaft in Großserie auf dem Markt zu vernünftigen Preisen verkaufen kann.
Auf Anfrage bei BMW, Mercedes und Volkswagen, ob das induktive Laden schon bald als Ausstattungsoption angeboten wird, weil jetzt ein Standard existiert, kommen sehr ähnliche, aber noch zurückhaltende Antworten. Man beobachte die Entwicklung jeder Ladetechnik genau, um den Kunden künftig das bestmögliche Angebot machen zu können. Auch das induktive Laden haben die Hersteller im Blick.
Volkswagen bekommt beim Beobachten indirekt Schützenhilfe aus dem Allgäu. Abt Sportsline, bekannt für superpotente Audis und natürlich VWs, rüstet mit der Tochtergesellschaft Abt e-Line seit Jahren Verbrenner auf den E-Antrieb um, vorzugsweise Modelle von VW. Seit einigen Monaten beschäftigen sich die Techniker der Kemptener nun zusätzlich mit der Aufrüstung einer VW-ID.5-Flotte mit induktiver Ladetechnik. Sie setzen auf die Komponenten von WiTricity, um einen Flottenversuch zum induktiven Laden in der Schweiz mit der passenden Hardware auszurüsten.
Induktives Laden kommt noch 2024 in Serie – in den USA
In Nordamerika ist man noch einen Schritt weiter auf dem Weg zum Serieneinsatz der Technologie. Dort sind die Spezialisten für induktives Laden von WiTricity und der Autohersteller KG Mobility – in Deutschland als SsangYong bekannt – eine Partnerschaft eingegangen, wie am Rande der Elektronikmesse CES bekannt wurde. WiTricity liefert die Technik, damit der auf dem US-Markt erhältliche Ssang Yong Torres EVX ab dem Modelljahr 2025 induktiv laden kann. Ebenfalls auf der CES hat Zulieferer Valeo das „Ineez Air Charging“ vorgestellt. Es wird so genannt, weil der Strom über einen Luftspalt übertragen wird. Das System kann die Energie mit bis zu 22 kW weiterleiten – in beide Richtungen, was auch einen Vehicle-to-Grid-Einsatz ermöglicht. Die Bodenplatte, die dafür notwendig ist, wird sich an eine existierende Wallbox anschließen oder direkt mit dem Stromnetz verbinden lassen. Schnellladefähig ist diese Lösung nicht. Ob und wann das System nach Europa kommt, ist derzeit noch offen.
Der Blick in die Zukunft zeigt noch einen weiteren Vorteil des induktiven Ladens: Sollten vollständig autonom fahrende Autos eines Tages Realität werden, könnten diese selbstständig induktive Ladestationen ansteuern und dort ihre Akkus aufladen. Praktisch zum Beispiel für Städter, die keine (freie) Ladesäule vor der Haustür haben: Sie müssten nicht selbst nach freien Ladeplätzen suchen.
Laden beim Fahren, auch das funktioniert induktiv
Strom lässt sich aber nicht nur dann induktiv übertragen, wenn das E-Auto steht. Energie kann auch fließen, wenn das Auto fährt, allerdings braucht es dafür sogenannte Smartroads, also kluge Straßen. Unter ihrer Oberfläche sind in etwa zehn Zentimetern Tiefe Spulen (Fachbegriff: Coils) eingelassen. Professor Michael Wistuba vom Institut für Straßenwesen der TU Braunschweig forscht an einem entsprechenden Projekt und erläutert den Aufbau so: „Am Straßenrand werden in einem Abstand von 1,65 Metern Kabel aus der Straße herausgeführt, gebündelt und in Abständen von circa 90 Metern in eine sogenannte Management-Unit, also einen Steuerschrank, geführt.“ Die Technik in den Steuerschränken kommuniziert mit den Fahrzeugen über die Coils und schaltet bei Bedarf Streckenabschnitte mit Ladefunktion an oder ab. Die Smartroad steht also nur an den Passagen unter Strom, über die auch Autos fahren. Sollte sich das System als erfolgreich erweisen, wäre es möglich, Fernstraßen in regelmäßigen Abständen mit sogenannten E-Korridoren auszurüsten. Die sollten 25 Kilometer lang sein und könnten nach Einschätzung von Professor Wistuba die Reichweite von E-Autos um etwa 20 Prozent verlängern.
Auf der schwedischen Insel Gotland werden Smartroads seit 2021 erprobt. Ein Bus und ein 40-Tonnen-Lkw befahren die Teststrecke regelmäßig. Nach dem vor Kurzem erfolgten Testende kommen die Betreiber zu dem Schluss, dass eine Ladeleistung von maximal 100 kW bei Geschwindigkeiten bis 80 km/h übertragen werden kann. Selbst bei starkem Frost von minus 23 Grad funktioniert das System, Ausfälle aus dem Testbetrieb sind nicht bekannt.
In Deutschland engagiert sich Energieversorger EnBW gemeinsam mit verschiedenen Partnern, um das dynamische induktive Laden zu erproben – allerdings nicht auf Fernstraßen, sondern in Projekten im städtischen Umfeld. Busse in Karlsruhe und Balingen werden mit der „Dynamic Wireless Power Transfer“ genannten Technologie mit Strom versorgt.
Der Aufwand ist sehr hoch, der Erfolg ungewiss
Eine kritische Stimme zum dynamischen induktiven Laden ist von der TU München zu hören. Professor Dr. Markus Lienkamp vom Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik: „Damit könnten die Batterien kleiner gemacht werden, wenn Autobahnen mit so einer Technologie ausgerüstet werden. Technisch ist es vorstellbar, aber wirtschaftlich meines Erachtens nicht durchsetzbar.“ Und er fügt hinzu: „Es geht nur europaweit.“ Womit wir wieder beim Thema Normung wären, schließlich sind unsere Verkehrsströme international. Systeme, deren Funktionen lediglich in einem Land funktionieren, sind nicht praktikabel.
Auch der Aufwand, der getrieben werden muss, um die Spulen aus Kupfer oder Aluminium in die Straßen zu integrieren, ist enorm, die Kosten astronomisch hoch. Die Konkurrenz durch immer leistungsfähigere Akkus oder Fernverkehr-Lkw mit Wasserstoffantrieb entwickelt sich derzeit kräftig weiter.
Anders als beim statischen induktiven Laden, das wir wohl schon bald als Option für unsere E-Autos bestellen können, steht beim dynamischen kabellosen Laden noch nicht fest, ob es tatsächlich einmal aus dem Projektstatus herausfährt.