Mobile Powerbank in XXL
Über das bidirektionale Laden können Auto-Akkus künftig Teil des Stromnetzes werden und als Stromspeicher für grüne Energie dienen.
Die Dunkelflaute ist momentan der Endgegner der Energiewende. Wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht, bricht ein sehr großer Anteil der Energielieferanten in Deutschland weg. Dann müssen beispielsweise Gaskraftwerke angeworfen werden, um den Mangel an Grünstrom auszugleichen. CO2-neutral geht anders, etwa indem man überschüssigen Ökostrom in großen Powerbanks speichert und dort abzapft, wenn die Sonne untergegangen ist und der Wind sich gelegt hat. Solche Powerbanks haben wir in Deutschland bereits zu Hunderttausenden – die Akkus unserer E-Autos. Mit der Technik des bidirektionalen Ladens könnten sie Teil der Energiekette werden und der Dunkelflaute einen Teil ihres Schreckens nehmen.
Die Speicherkapazität wächst rasant
Es sind beeindruckende Zahlen. Beinahe jede dritte Neuzulassung in Deutschland im August 2023 war laut KBA (Kraftfahrt-Bundesamt) ein BEV (Battery Electric Vehicle). Insgesamt rollen mittlerweile beeindruckende 1,17 Millionen von ihnen auf unseren Straßen (Quelle: Statista), im April 2021 lag die Zahl noch bei 690.000 Stück. Ein Plus von mehr als 50 Prozent bei der Elektromobilität in etwa zwei Jahren ist ein enormer Zuwachs. Und jedes E-Auto ist eine XXL-Powerbank, mit Akkukapazitäten zwischen 17,6 kWh (Smart Fortwo) und 130 kWh (Tesla Model S Plaid). Zusammengerechnet haben all diese Akkus eine Speicherkapazität, die die aller Pumpspeicherkraftwerke – die Bunker für überschüssigen Grünstrom – weit hinter sich gelassen hat. Aber noch steht diese Kapazität dem Stromnetz nicht zur Verfügung, noch kann sie nicht als Puffer genutzt werden, wenn sich windarme graue Tage ab November über Deutschland legen. Bislang stehen uns als Speicher für überschüssigen Grünstrom eben kaum Speicher zur Verfügung. Perspektivisch lässt sich der überschüssige Strom auch für die Produktion von Wasserstoff nutzen. Er wird direkt in Motoren und Brennstoffzellen verfeuert oder kann als Basis für E-Fuels dienen. Eine Infrastruktur zur Herstellung ist aber bislang nicht vorhanden, ihr Aufbau wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Die Folge sind abgeschaltete Windparks, in denen sich keine Rotoren drehen. So gehen uns in Deutschland heute pro Jahr etwa 6.000 GWh erneuerbare Energie verloren, mehr als genug, um alle deutschen E-Autos ein Jahr lang fahren zu lassen.
Laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums werden E-Autos im Schnitt pro Tag lediglich 45 Minuten genutzt.
Im ersten Halbjahr 2023 betrug der Ökostromanteil am deutschen Strommix laut Fraunhofer ISE 57,7 Prozent, mit wachsender Tendenz. Damit steigt auch der Bedarf an Speicherkapazitäten. Was liegt also näher, als die Akkus der BEV ins Stromnetz einzubinden? Das bidirektionale Laden soll das möglich machen. Laut der Studie „Mobilität in Deutschland“, durchgeführt im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums, stehen die BEV 97 Prozent der Zeit herum und werden pro Tag lediglich etwa 45 Minuten genutzt. Wenn sie im Stillstand am Kabel hängen, könnte man sie also beinahe rund um die Uhr als Stromspeicher nutzen.
Der Strom muss in zwei Richtungen fließen
Das klingt technisch beherrschbar, aber wie so oft liegt die Tücke im Detail. Ein Beispiel ist die Frage der Versteuerung. Was ist zu tun, wenn der BEV-Fahrer steuervergünstigten Strom beim Arbeitgeber lädt, um ihn dann zu Hause wieder an seinen Netzbetreiber zu verkaufen?
Trotz dieser und weiterer offener Fragen gibt es bereits einige Automodelle, die für bidirektionales Laden vorbereitet sind (siehe Tabelle). Aber passende Wallboxen sind praktisch nicht verfügbar. Die wenigen, die es bereits gibt, kosten ein Vielfaches von dem, was für eine Standard-Wallbox aufgerufen wird. Besonders ärgerlich ist allerdings, dass sich bereits installierte Wandlader nicht umrüsten lassen – da haben die Hersteller der Geräte mächtig gepennt und einen wichtigen Trend, über den die Fachleute seit Jahren diskutieren, zum Nachteil der Kunden verschlafen. Damit der Strom künftig in beide Richtungen fließen kann, heißt es: bereits installierte Wallbox abbauen, verschrotten und eine neue installieren lassen.
mmerhin ist inzwischen eine Norm verabschiedet worden (ISO 15118-20), die das Miteinander von Wallbox, Auto und Ladeeinrichtung regelt. Sie ist die Basis für kompatible Produkte, auf der jetzt alle Produzenten von Energiemanagementsystemen und bidirektionalen Wallboxen aufsetzen können. Nicht genormt sind dagegen die Größen der Auto-Akkus und die Spannung im Bordnetz. Beides sind Herausforderungen für die Wallboxen und damit auch für die Hausanschlüsse.
Diese Modelle können heute schon bidirektional laden
Hersteller | Modell | Art |
---|---|---|
Fisker | Ocean | V2H / V2G |
Ford | E-Transit | V2L |
Ford | F-150 Lightning | V2H / V2G |
Genesis | G80 | V2L |
Genesis | GV60 | V2L |
Genesis | GV70 | V2L |
Honda | e | V2H / V2G |
Hyundai | Ioniq 5 | V2L |
Hyundai | Ioniq 6 | V2L |
Hyundai | Kona Elektro | V2L |
Kia | EV6 | V2L |
Kia | EV9 | V2L |
Kia | Niro EV | V2L |
MG | 4 Electric | V2L |
MG | 5 Electric | V2L |
MG | Marvel | V2L |
MG | ZS Electric | V2L |
Nissan | Leaf | V2H / V2G |
Polestar | 3 | V2H / V2G |
Polestar | 4 | V2H / V2G |
Renault | Mégane E-Tech | V2H / V2G |
Škoda | Enyaq | V2H / V2G |
Volvo | EX90 | V2H / V2G |
VW | ID.3 | V2H / V2G |
VW | ID.5 | V2H / V2G |
VW | ID. Buzz | V2H / V2G |
Erklärung:
V2G – Vehicle-to-Grid: Im Elektroauto-Akku gespeicherter Strom kann in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden
V2H – Vehicle-to-Home: In der E-Autobatterie gespeicherter Strom kann in das private Hausstromnetz geleitet werden
V2L – Vehicle-to-Load: Der im Fahrzeug-Akku gespeicherte Strom kann direkt zum Laden oder Betreiben elektrischer Geräte verwendet werden
Der Akku als Einnahmequelle
Wer in den sauren Apfel beißt und eine der teuren neuen Boxen in sein Hausstromnetz integriert, soll laut The Mobility House im Jahr bis zu 650 Euro Strom erwirtschaften können. Der Gewinn lässt sich über zwei Wege erzielen.
Wird das Auto zum Teil des Stromnetzes (Grid), lässt sich seine Akkukapazität an den Netzbetreiber vermieten. Vehicle-to-Grid oder kurz V2G wird diese Art der Batterienutzung genannt, bei der der Autospeicher zur Stabilisierung des Netzes und zur Aufnahme überschüssiger Energie eingesetzt wird. Fehlt dem Netz Strom, kann er direkt aus dem Auto-Akku zur Verfügung gestellt werden. Leider klingt es wesentlich einfacher, als es sich umsetzen lässt. Smart Meter, also spezielle digitale Stromzähler, sind nötig, um alle Mess-, Steuer- und Kommunikationsaufgaben (zwischen Auto und Netz) zu erledigen. Bei ständig schwankenden Strompreisen dürfte vor allem die Berechnung der Kosten keine triviale Aufgabe sein.
Dann doch lieber V2H oder Vehicle-to-Home. Einfach den mit eigenen Solarzellen auf dem Hausdach erzeugten Strom ins Auto fließen lassen und von dort wieder ins Hausnetz einspeisen, um damit Waschmaschine, Fernseher etc. zu versorgen. Bei Stromausfall würde das Auto sogar als Notstromaggregat einspringen. Neben der Blackout-Rückversicherung verringert V2H auch die Abhängigkeit von Strompreissteigerungen und löst die Bindung zum Stromversorger.
Eine der Eigenschaften von Powerbanks ist ihre Fähigkeit, Strom dort bereitzustellen, wo kein Netzanschluss verfügbar ist. Ein E-Auto mit bidirektionaler Ladefähigkeit kann das natürlich auch. Der Fachmann spricht in diesem Fall von Vehicle-to-Load (V2L) oder Vehicle-to-Device (V2D). Beispielsweise könnten ein paar Kilowattstunden an ein mit leerer Batterie liegen gebliebenes anderes Auto abgegeben werden. Oder das E-Auto könnte die Party unter freiem Himmel mit Strom versorgen, die elektrische Kühlbox beim Camping speisen, der elektrischen Heckenschere als Anschluss dienen, das E-Bike wieder aufladen oder, oder, oder.
Was macht das häufige Laden und Entladen mit dem Akku?
Vom Mobiltelefon kennen wir es: Die Akkus altern und tun dies umso schneller, wenn wir sie sehr häufig nutzen. Vor diesem Phänomen sind auch die Auto-Akkus nicht sicher. Mit der Zeit sinkt die Akkukapazität. Der Batteriegesundheitszustand, also der State of Health (SoH), geht zurück. Hängt die Batterie nun ständig am Netz, wird permanent be- und wieder entladen, wird das nicht spurlos an ihr vorbeigehen. Aber wie tief sich diese Spuren in das Leben der Batterie eingraben, darüber herrscht noch keine Einigkeit.
VW gibt beim bidirektional ladefähigen ID.5 innerhalb der Garantiegrenzen eine Energiemenge von 10.000 kWh für das bidirektionale Laden frei (oder 4.000 Betriebsstunden). Die Wolfsburger schränken aber ein, dass man das Kundenverhalten beobachten wolle, um mehr über Energiemengen und Zyklenzahlen sowie ihre Auswirkungen auf den SoH zu erfahren. Mit den dann gewonnenen Erkenntnissen werde man die Fahrzeuge weiter optimieren.
An der TU München forscht man intensiv zu den Auswirkungen des bidirektionalen Ladens. Philipp Rosner, Teamleiter EV Operations am Institute of Automotive-Technology, gibt eine leichte Entwarnung: „Grundsätzlich muss zum bidirektionalen Laden beachtet werden, dass sich die Alterung des Energiespeichers immer aus zyklischer und kalendarischer Alterung zusammensetzt. Bei Fahrzeugen, die verhältnismäßig wenig bewegt werden und somit hauptsächlich kalendarisch altern, kann die durch zusätzliche Zyklisierung entstehende Alterung einen untergeordneten bis nicht messbaren Effekt haben.
Unsere Untersuchungen zeigen am Beispiel des VW ID.3 auch, dass heutige Energiespeicher ohnehin eine so hohe zyklische Lebensdauer haben können, dass sie in vielen Fällen die Lebensdauer des Restfahrzeugs übersteigt.“ Es gammelt also eher die Karosserie weg, als dass der Akku den Geist aufgibt, um es ganz volkstümlich auszudrücken.
Offenbar altern unsere BEV-Akkus also in jedem Fall. Ob das Auto einfach nur geparkt in der Garage steht oder ob es Teil des landesweiten oder privaten Stromnetzes wird, scheint dabei keinen fundamentalen Unterschied zu machen. Dann geben wir der Alterung doch einen Sinn und machen das E-Auto zur Powerbank XXL und damit zum Teil des Energienetzes. So kann es zum Erfolg der Energiewende beitragen.