Das Leben danach
Von wegen Elektroschrott: Ausgediente E-Auto-Batterien bieten reichlich Potenzial zur Weiterverwendung, sowohl aus Umwelt- als auch aus ökonomischen Gründen.
Die Welttournee von Coldplay, das Stadion von Ajax Amsterdam und Rikschas in Indien – auf den ersten Blick haben diese nichts gemeinsam, doch wer sich tiefergehend mit dem Thema Elektromobilität beschäftigt, entdeckt: Es sind alles spannende Beispiele, bei denen ausrangierte Akkus von E-Autos zum Einsatz kommen und die verdeutlichen, wie vielfältig diese genutzt werden können.
Die sogenannten Second-Life-Batterien können nämlich wichtige Bausteine für die Energiewende sein. Erneuerbare Energien wie Photovoltaik oder Windkraft benötigen große Kapazitäten zur Stromspeicherung: ein ideales Einsatzgebiet für die sogenannten Second-Life-Batterien. Mehrere Autohersteller erproben in Projekten bereits diese Möglichkeiten und auch viele Experten sind trotz möglicher (anfänglicher) Herausforderungen vom Potenzial überzeugt. Denn es gibt zahlreiche Argumente, die dies unterstreichen.
Was sind Second-Life-Batterien?
Mit einem Anteil von rund 40 Prozent an den Produktionskosten sind Batterien der teuerste Baustein von Elektroautos. Vor allem die teuren Bestandteile der Batteriechemie sind hierfür verantwortlich. Mittlerweile schaffen die Akkus Tausende Ladezyklen und eine Laufleistung von mehreren 100.000 Kilometern – weit mehr als selbst die Autoindustrie erwartet hat. Damit widerlegen sie eines der größten Vorurteile gegenüber der E-Mobilität. Doch irgendwann reichen ihre Ladekapazitäten für den Einsatz in einem Stromer nicht mehr aus. Wenn der State of Health (SoH), also die Restkapazität, einer Batterie auf 70 oder weniger Prozent gefallen ist, gibt es zwei Optionen, um ihren Lebenszyklus zu verlängern: Remanufacturing und Re-Use. Beim Remanufacturing (Wiederaufbereiten) werden beschädigte Komponenten getauscht oder ersetzt, wodurch die Altbatterien in einem batterieelektrischen Auto (BEV) wiederverwendet werden können. Die zweite Möglichkeit ist der sogenannte Re-Use (Weiterverwendung) – auch Second Life (SL) genannt –, um den es in diesem Artikel geht. Hier werden die Akkus, die noch eine ausreichende Restkapazität haben, in anderen Anwendungen eingesetzt.
Wie Du den State of Health der Batterie Deines E-Autos bestimmen kannst und wie Du bei mobile.de nach Batterie-Zertifikaten suchst, erfährst Du hier:
Die Vorteile von Second-Life-Batterien
- Riesiges Speicherpotenzial
- Akkus weitere zehn Jahre einsetzbar
- Weniger Abbau von Rohstoffen nötig
- Bessere Ressourcennutzung
- CO2-Fußabdruck der Batterie wird verringert
- Speichersysteme werden günstiger
- Schaffung von Arbeitsplätzen
Ist eine Batterie nicht mehr optimal für ein E-Auto geeignet, bedeutet dies nicht, dass sie nicht mehr verwendet werden kann. Denn es steckt immer noch reichlich Potenzial in ihr. Experten schätzen, dass Batterien im Second Life bis zu zehn weitere Jahre eingesetzt werden können. Mit dem in den nächsten Jahren stark wachsenden Angebot an ausgedienten Traktionsbatterien wächst auch ihr Potenzial: Nach Schätzungen des Beratungsunternehmens IDTechEx erzielt der Weltmarkt für gebrauchte E-Auto-Stromspeicher bis 2033 einen Wert von sieben Milliarden US-Dollar.
Bei der Energiewende könnten die Second-Life-Akkus eine wichtige Rolle einnehmen: Im Zuge der Umstellung auf regenerative Energiequellen wie Windkraft oder Photovoltaik werden große Speicherkapazitäten benötigt. Wissenschaftler der Internationalen Energieagentur (IEA) schätzen, dass es bis 2040 eine Speicherkapazität von zehn Millionen Megawattstunden braucht, um die globalen Klimaziele der Energiewende zu erreichen. Diese Kapazität könnte allein mit gebrauchten Akkus bereitgestellt werden.
In einer von der Bundesregierung geförderten Studie heißt es hierzu: „Unter ökologischen Gesichtspunkten ist der Einsatz von SL-Batterien sehr zu empfehlen, insofern diese anstelle einer neuen Batterie verwendet werden. Sie senken die mit der Batterieproduktion verbundenen Emissionen von Treibhausgasen (THG) und anderen schädlichen Stoffen signifikant.“ Einfach gesagt: Eine geringere Nachfrage nach neuen Batterien und wertvollen Rohstoffen führt zu einer deutlichen Reduzierung der CO₂-Emissionen – sie zählen zu den Hauptverursachern des Klimawandels.
Ähnlich sieht es Professor Achim Kampker von der RWTH Aachen: „Zeitlich versetzt zum Markthochlauf der Elektromobilität werden in Europa hohe Rücklaufmengen an Lithium-Ionen-Batterien erwartet, die teilweise noch nicht das Ende ihrer potenziellen Lebenszeit erreicht haben. Im Sinne einer bestmöglichen Effizienz und Kreislaufwirtschaft müssen wir solche Batteriesysteme vollständig ausnutzen.“
Neben ökologischen Gründen sprechen auch ökonomische Argumente für Second-Life-Anwendungen: Gebrauchte Lithium-Ionen-Akkus kosten weniger als neue, wodurch stationäre Stromspeichersysteme günstiger und für Unternehmen ebenso wie für Privatanwender erschwinglicher werden. Außerdem könnten neue Arbeitsplätze in Bereichen wie Akkuaufbereitung, Speicherbau oder Installation und Service entstehen, wie die Circular Economy Initiative Deutschland betont, und damit der Strukturwandel in der Autoindustrie unterstützt werden.
Mehr Informationen zur Akkutechnologie gibt es in dieser Folge unserer Serie „Fahrt ins Grüne“:
Anwendungsgebiete von Second-Life-Batterien
Mit dem Beginn der Großserienproduktion von E-Autos zu Beginn der 2010er-Jahre haben Hersteller erste Pilotprojekte für den Second-Life-Einsatz der Traktionsbatterien initiiert. BMW startete 2013 – parallel zum Verkaufsstart des Stromers i3 – zusammen mit Vattenfall und Bosch das Entwicklungsprojekt „Battery 2nd Life“, um neue Erkenntnisse über das Alterungsverhalten und die Speicherkapazität von gebrauchten Lithium-Ionen-Batteriemodulen zu erhalten. Zu der Initiative zählten mehrere Anwendungen in Hamburg. So dienten gebrauchte Batterien in der HafenCity als Zwischenspeicher und Leistungspuffer für Schnellladesäulen, beim Vattenfall-Heizwerk HafenCity wurde die aus einer Photovoltaikanlage stammende Energie in Batterien zwischengespeichert und am Cruise Center Steinwerder entstand ein Stromgroßspeicher aus 2.600 Batteriemodulen von mehr als 100 Elektrofahrzeugen. Dieser verfügte über eine Leistung von zwei Megawatt und eine Speicherkapazität von 2.800 Kilowattstunden. Die Bilanz fiel positiv aus: „Die Erfahrungen bestätigen die Sinnfälligkeit und technische Umsetzbarkeit solcher Speicheranwendungen“, erklärte BMW auf Nachfrage.
Welttournee von Coldplay
Ein weiteres Leuchtturmprojekt der Münchner ist die Kooperation mit der britischen Popband Coldplay bei deren aktueller „Music of the Spheres World Tour“. Akkus aus dem BMW i3 speichern emissionsarm generierten Strom, der während der Bühnenshows gebraucht wird, und ersetzen so die üblichen Diesel- und Benzingeneratoren. Das reduziert den CO2-Fußabdruck der insgesamt 132 Live-Auftritte der Band erheblich. „Wir sind stolz darauf, gemeinsam mit BMW die weltweit erste tourfähige, wiederaufladbare Show-Batterie zu entwickeln, die es uns ermöglicht, unsere Konzerte fast vollständig mit sauberer, erneuerbarer Energie zu versorgen“, sagt Sänger Chris Martin.
Einsatz in Elektro-Tuktuks
Auch der bayerische Rivale Audi erprobt verschiedene Second-Life-Anwendungen für E-Auto-Batterien. Zusammen mit dem Start-up Nunam brachte die Marke mit den vier Ringen Elektro-Rikschas auf Indiens Straßen, die durch Akkus aus Audi-e-tron-Testfahrzeugen angetrieben werden. „Die alten Batterien sind noch äußerst leistungsfähig“, sagt Prodip Chatterjee, Co-Gründer von Nunam. „Wenn sie in den richtigen Anwendungen eingesetzt werden, können Second-Life-Batterien eine große Wirkung haben und Menschen in herausfordernden Lebenssituationen helfen, ein Einkommen und ökonomische Unabhängigkeit zu erzielen – auf eine nachhaltige Art und Weise.“ Die Marke mit den vier Ringen erprobt außerdem die Nutzung gebrauchter Antriebsbatterien als stationäre Batteriespeicher. Am Standort Neckarsulm kommen gebrauchte Lithium-Ionen-Batterien bei Ladestationen zum Einsatz, beim EnBW-Heizkraftwerk Heilbronn soll eine Anlage Strom aus erneuerbaren Energien speichern, Schwankungen im Stromnetz ausgleichen und damit zur Versorgungssicherheit beitragen. Auch die Schwestermarke VW nutzt gebrauchte Fahrzeugakkus im Verbund als riesige Batterien in Werken und in Kooperationsprojekten mit Versorgern und Städten.
Strom für Amsterdam
Bereits seit 2018 verfügt die Johan Cruijff ArenA in Amsterdam über gebrauchte und neue Batterien des Nissan Leaf, die mit Sonnenenergie gespeist werden. Insgesamt hat das Speichersystem eine Kapazität von drei Megawatt, womit mehrere Tausend Haushalte versorgt werden können. „Dank dieses Energiespeichersystems kann das Stadion seine selbst erzeugte nachhaltige Energie effizient nutzen und gleichzeitig verfügbare Speicherkapazitäten dem Stromnetz als Puffer anbieten“, sagt Henk van Raan, Direktor für Innovation der Johan Cruijff ArenA. „Selbst bei einem Stromausfall steht der Arena genügend Leistung zur Verfügung. Damit trägt das Stadion auch zur Stabilität des niederländischen Stromnetzes bei.“
Kannst Du bereits Second-Life-Batterien kaufen?
Auch für Privathaushalte können Second-Life-Batterien interessant werden. Denn schon ein einziger Akku eines Elektroautos kann in der Regel mehr Energie speichern, als in einem Haushalt als Puffer einer Hausenergieanlage benötigt wird. Die Verwendung der Auto-Akkus kann die Kosten für ein Heimspeichersystem (HSS), das für eine Photovoltaikanlage benötigt wird, deutlich senken. Statt teurer neuer Stromspeicher gibt es mit den Second-Life-Speichern eine günstigere Alternative. Allerdings gibt es aktuell nur wenige Anbieter für diese Systeme. Start-ups wie Voltfang aus Aachen bieten Re-Use-Speicher an, aktuell aber nur für Unternehmen oder landwirtschaftliche Betriebe. Umtriebige Heimwerker haben jedoch bereits ehemalige Auto-Akkus für den Heimgebrauch umfunktioniert – diese selbst gebauten Lösungen sind allerdings nicht empfehlenswert. Neben den Anwendungen für stationäre Speicher sehen Fachleute auch Potenzial für den Einsatz in Elektrogeräten oder Kleinfahrzeugen wie Gabelstaplern oder E-Scootern.
Anlaufschwierigkeiten des Second Life
Obwohl die bisherigen Second-Life-Anwendungen in der Regel positive Ergebnisse geliefert haben, gibt es beim Second-Life-Einsatz auch Herausforderungen: Da die Fahrzeughersteller keine baugleichen Batterien nutzen, können diese nicht universell verwendet werden. So passen zum Beispiel in einen bestimmten stationären Speicher zwar Akkus von BMW, aber nicht von Mercedes. Eine Standardisierung bei Abmessungen oder Bauformen würde hier Abhilfe schaffen, ist aber nicht realistisch. Zudem ist die Anzahl der Akkus, die für eine umfassende Zweitverwendung genutzt werden können, (noch) unstetig und begrenzt. Ein großer Hemmschuh im Privateinsatz ist außerdem die Frage der Haftung und Gewährleistung bei gebrauchten Batterien: Was passiert, wenn sie den Geist aufgeben oder Schäden verursachen?
Auch die technische Weiterentwicklung der Batterien könnte zu einem Problem für Second-Life-Anwendungen werden. Fallen die Preise für neue Akkus – wie zum Beispiel bei Lithium-Eisenphosphat-Batterien –, wird die Verwendung gebrauchter Batterien wirtschaftlich weniger lukrativ. Erhöht die EU zukünftig die vorgeschriebenen Recyclingquoten für neue Batterien, könnte dies nach Auffassung des VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik e.V.) „zu einem Preiskampf um die ausgemusterten Batterien führen, welcher eine wirtschaftliche Umsetzung eines Speichers aus bereits genutzten Batterien infrage stellt“. Dann würden die Preise für die ehemaligen Traktionsbatterien nämlich wieder steigen.
Mögliche Probleme des Second Life
- Keine Standardisierung bei Akkus
- Batterien nicht universell einsetzbar
- Haftung und Gewährleistung ungeklärt
- Aktuell noch unzuverlässiger Batterie-Nachschub
- Sinkende Preise für neue Akkus
- Hohe Recyclingquoten könnten Preise für gebrauchte Batterien ansteigen lassen
Der Schlussakt: Batterierecycling
Sollten die Second-Life-Batterien irgendwann doch nicht mehr genügend Ladekapazität haben und ihr „End of Life“ (EoL) erreichen, landen sie im Recycling. 90 Prozent der Kobalt-, Kupfer-, Blei- und Nickelbestandteile einer Batterie müssen aktuell wiederverwendet werden, ab 2031 verlangt die neue Batterieverordnung der EU sogar eine Verwertungsquote von 95 Prozent. Der Bedarf an Recyclingkapazitäten steigt stetig. Wurden 2020 an 24 europäischen Standorten noch knapp 60.000 Tonnen Lithium-Ionen-Batterien recycelt, waren es Ende 2023 bereits 160.000 Tonnen pro Jahr in 37 Betrieben. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI erwartet für 2025 durch die Inbetriebnahme von 16 weiteren Recyclinganlagen einen Anstieg der Kapazität auf jährlich 400.000 Tonnen.