Elektroautos im Stadtverkehr: Warum die Reichweite sinken muss
Ein Problem der E-Mobilität: Große Akkus treiben große Autos an. Der CO2-Bilanz hilft das nicht. In Japan zeigen sich Ansätze zum Umdenken: Kleiner ist besser.
Gut möglich, dass wir das mit der Elektromobilität falsch angegangen sind. Und immer noch falsch angehen. Schuld daran ist – unter anderem – die Reichweitenangst. Sie ist den Autokäufern nur schwer auszutreiben. So ergab eine Umfrage der Deutschen Automobil-Treuhand (DAT) vom August 2019, dass sich Autokäufer für ein Elektroauto entscheiden würden, wenn a) der Kaufpreis attraktiv wäre und es b) über eine „sorgenfreie Reichweite“ verfügte.
44 Prozent nannten die Reichweite als Antwort auf die Frage, was die wichtigsten Anreize wären, sich für ein Elektroauto zu entscheiden. Den attraktiven Kaufpreis nannten 48 Prozent. Umweltfreundlichkeit steht als Argument mit 28 Prozent hintenan.
Eigentlich nur konsequent, denn eine große Reichweite verträgt sich nicht mit Umweltfreundlichkeit. Mazda-Entwicklungschef Ichiro Hirose zeigte das kürzlich am Rande der Tokyo Motor Show anhand einer Studie. Demnach stößt ein Auto mit Diesel-Antrieb über eine Fahrstrecke von rund 200.000 Kilometern deutlich weniger CO2 aus als ein Elektroauto mit 95 kWh großer Batterie.
Eine ähnliche Studie vom Fraunhofer Institut kommt im Prinzip zu einem ähnlichen Ergebnis. Demnach muss ein Elektroauto mit einem Akku, der 90 kWh Energie fasst, rund 160.000 Kilometer weit fahren, bis es in der CO2-Bilanz besser abschneidet als ein Diesel. Wenn man außer Acht lässt, wie viel CO2 bei der Produktion anfällt. Akku-Herstellung und -Entsorgung einbezogen, erreicht das E-Auto mit großem Akku zu Lebzeiten den Diesel nicht. Mit 60-kWh-Akku schon. Entgegen der Tendenz zu hoher Reichweite gilt für den Akku also: Kleiner ist besser.
Untersuchungen wie diese erklären, warum Mazda dem Elektro-SUV MX-30 nur einen Akku mit 35,5 kWh Kapazität mitgibt. Den Mazda3 mit Diesel-Motor überholt der MX-30 so nach etwa 90.000 Kilometern in der CO2-Bilanz. Selbst dann, wenn die Batterie nach 160.000 Kilometern getauscht wird, schneidet er schon wenig später wieder besser ab.
Die CO2-Bilanz über den gesamten Lebenszyklus eines Elektroautos ist nicht das einzige Problem, das mit der Größe des Akkus wächst. Für die Batterie-Produktion braucht man Seltene Erden bzw. Metalle, die in diesen Seltenen Erden vorkommen. Die sind, anders als der Name nahelegt, für sich genommen zwar nicht unbedingt selten. Größere, zusammenhängende und damit leicht abbaubare Vorkommen hingegen gibt es kaum. Ihr Abbau schädigt die Umwelt massiv. Zudem wird für die gegenwärtig vorherrschende Akku-Technologie Kobalt benötigt, der nur in wenigen Gebieten in Afrika unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird.
Kunden fordern 415 Kilometer
Nun reichen 35,5 kWh im MX-30 allerdings gerade mal für etwas mehr als 200 Kilometer Strecke. Viel zu wenig, finden die meisten Autokäufer. Damit ein E-Auto interessant für sie wird, verlangen sie laut DAT-Umfrage im Schnitt eine Reichweite von 415 Kilometern. Außerdem kaufen sie gerne SUVs.
Deshalb tummeln sich in Europa große Elektro-SUVs mit großen Akkus. Audi E-Tron, Mercedes EQC und Jaguar I-Pace waren die ersten Elektroautos der neuen Generation, die langsam auf den Markt tröpfelten. Immerhin: Die Zahl der elektrischen Kleinwagen auf dem Markt wird ab 2020 steigen. PSA bringt den Peugeot e-208 und den Opel Corsa-e. Beide kommen mit ihren 50-kWh-Akkus rund 340 Kilometer weit – eigentlich mehr, als für den Einsatz in der Stadt notwendig ist. Und zu viel, um zu Kleinwagen-Preisen gehandelt zu werden. Die PSA-Modelle kosten 30.000 Euro und mehr. Ähnlich wie Honda e und Mini SE, die mit ihren 30 kWh großen Akkus noch nicht mal sonderlich weit kommen. Mazdas MX-30 erscheint dagegen schon fast wie ein Schnäppchen, er kostet „nur“ 33.990 Euro.
Kleine, günstige Elektroautos gibt es bisher kaum. Daimler hat mit Smart EQ eins im Angebot, das bis zu 160 Kilometer mit einer Akkuladung schaffen soll. Ab 22.000 Euro kostet es. Eher ein Exot ist der e.Go Life, der zusammen mit der RWTH Aachen entwickelt wurde. Auf 3,43 Metern Länge bietet er Platz für vier Personen. Je nach Ausführung liegt die Reichweite bei 100 bis 145 Kilometern. Die Preise starten bei 15.900 Euro für die Version mit 14,5-kWh-Akku, eine schnellere und stärkere Version mit 15,5 kWh Akku-Kapazität kostet 17.400 Euro, das Topmodell mit 16,2 kWh liegt bei 19.900 Euro. Das Problem: Weil kein großer Hersteller dahintersteckt, fällt es e.Go schwer, große Stückzahlen zu produzieren. Außerdem müssen sich die Autokäufer darauf einlassen.
Wann kommen elektrische Kei-Cars?
In Japan geht man mit Mobilität schon länger anders um. Weil der Platz in Metropolen wie Tokio knapp ist, wurde dort schon Ende der 1940er-Jahre das „Kei-Car“ erdacht. Ultrakompakte Autos mit kleinen Motoren, die steuerlich stark begünstigt werden. Anders als bei größeren Pkw muss man für die Zulassung nicht nachweisen, dass man einen Stellplatz dafür hat.
Mittlerweile sehen die Regeln vor, dass Kei-Cars für die Begünstigung nicht länger als 3,40 Meter sind, nicht breiter als 1,48 Meter, höchstens über 660 Kubikzentimeter Hubraum verfügen und maximal 64 PS (47 kW) leisten. Seit die Begünstigungen 2014 etwas zurückgefahren wurden, stagniert ihr Marktanteil zwar, auf ein Drittel kommen sie trotzdem noch.
Stromernde Kei-Cars scheinen eine naheliegende Lösung. Die Minis fahren ohnehin primär auf Kurzstrecken in der Stadt. Elektroautos haben genau dort ihre Vorteile. Rekuperation macht sie im Stadtverkehr am effizientesten, die Ladeinfrastruktur lässt sich vergleichsweise leicht ausbauen. Große Reichweiten sind unnötig. Nachdem Mitsubishi schon 2009 aus dem Kei-Car „i“ den elektrischen i-MiEV machte, kam jedoch nicht mehr viel.
Das könnte sich ändern. Auf der Tokyo Motor Show 2019 zeigte Nissan die Studie IMk. Der Minivan misst mit 3,43 Metern zwar eigentlich drei Zentimeter zu viel für ein Kei-Car, doch bis zum Serienstart wird sich das ändern lassen. Einzelheiten zur Technik verrät Nissan noch nicht. Doch klar ist: Das Serienauto wird über einen Motor mit moderater Leistung verfügen, der Akku wird ebenfalls klein ausfallen. Schon allein, um die Kosten niedrig zu halten.
Kleine Autos für kurze Strecken
Noch günstiger und kleiner wird ein Auto, das von der Nummer eins der japanischen Hersteller gezeigt wird. Das zweisitzige Elektroauto von Toyota bietet auf 2,49 Metern Platz für nur zwei Personen, fährt maximal 60 km/h schnell und schafft pro Akkuladung nur 100 Kilometer. 2020 soll die Serienversion auf den Markt kommen.
Toyota sieht das Modell als Lösung für die Bedürfnisse von Kunden, die „regelmäßig kurze Strecken zurücklegen“. Neben Fahranfängern und Geschäftsleuten, die keinen großen Aktionsradius brauchen, sollen das auch ältere Menschen sein. Zumindest in Deutschland legen allerdings noch deutlich mehr Menschen „regelmäßig kurze Strecken“ zurück. Im Schnitt beträgt die tägliche Fahrleistung 37,6 Kilometer.
Bisher trauen die japanischen Hersteller ihren Kunden offenbar ebenso wenig wie die Europäer, sonst hätten sie längst elektrische Kei-Cars in großer Stückzahl angeboten. In Europa hat sich bisher neben Smart ebenfalls noch kein Hersteller an einem konsequenten Elektroauto für die Stadt versucht. Es gibt den Renault Twizy, ja. Der französische Zweisitzer bringt bereits viel mit. Er ist maximal 80 km/h schnell, 6,1 kWh Kapazität genügen ihm für 90 Kilometer Reichweite. Leergewicht: 474 Kilogramm. Die erreicht Renault jedoch unter anderem durch den Verzicht auf die Pkw-Zulassung. Dadurch kann der Twizy auf viel Sicherheitstechnik verzichten, die in einem Pkw Pflicht ist.
Für eine erfolgreiche Zukunft der Elektromobilität wäre schon viel gewonnen, wenn Autokäufer zumindest ihre Zweitwagen nach ihren tatsächlichen Bedürfnissen auswählen würden. Will heißen: sich an E-Autos mit kleinen Akkus gewöhnen. Das würde der Umwelt tatsächlich helfen. Für die lange Reise taugt ein SUV mit 90 kWh großem Akku schließlich auch nur sehr bedingt.