Der Herr der Hirsche
Die Marke Jägermeister kennt jeder, die orangefarbenen Autos mit schwarzem Hirschkopf viele. Den größten Sammler dieser Autos kennt kaum einer. Wir stellen ihn vor.
Die Autofahrt in die Vergangenheit dauert fünf Minuten. Dann öffnet der ehemalige Rennfahrer und Journalist Eckhard Schimpf die Tür zu einem ganz besonderen Raum. Der sieht von außen schmucklos aus, platzt im Inneren dagegen vor blechstrotzenden Erinnerungen. Vor nostalgischer Schönheit. Vor Hingabe zu technischen Details und der Liebe seines Eigentümers zur automobilen Geschichte.
Eckhard Schimpf sammelt Autos. Nicht irgendwelche, sondern Rennwagen. 25 Schätze hat er in einem Industriegebiet in Braunschweig gesammelt, gewartet und aufpoliert. Sie alle haben eines gemein: Auf ihrem knallorangen Lack prangt der Kopf des Hubertus-Hirschen, bekannt als das Logo von Jägermeister. Das hat einen familiären Hintergrund. Doch bevor er den erklärt, gerät der 82-Jährige beim Anblick seiner Sammlung ins Schwärmen: „Für mich sind das rollende Antiquitäten. Jede hat ihre eigene, spannende Geschichte.” Zum Beispiel der einzige Schatz mit zwei Rädern, eine DKW Kompressor 250 von 1939. Das Motorrad, mit dem alles anfing.
Der Porsche 356 ist das erste Serienmodell des Sportwagenherstellers. Rund 76.300 Exemplare rollen zwischen 1948 und 1965 vom Band.
1948 fuhr Kurt Kuhnke mit dieser Maschine beim ersten Prinzenpark-Rennen in Braunschweig. Silbergrau, Startnummer 106. Als Zuschauer am Streckenrand: der kleine Eckhard Schimpf. Der Zehnjährige ist vom Sound der schrill kreischenden Motoren direkt begeistert. Als Kuhnke sein Rennen wegen eines Zündkerzenwechsels stoppen muss, sind Eckhard und seine Freunde zur Stelle. Sie fragen den Rennfahrer, ob sie seine Maschine in die Boxengasse schieben dürfen. „Als ich die Finger um den Lenker gekrallt habe, dachte ich sofort: Ich will auch Rennfahrer werden und diese Maschine besitzen“, lacht Schimpf, während er 72 Jahre später über das blitzblank polierte Motorrad streicht. Selbstverständlich ist es fahrbereit, mit der Pflege seiner Fahrzeuge nimmt es Schimpf genau.
Damals, beim Prinzenpark-Rennen in seiner Heimatstadt Braunschweig, beginnt eine jahrzehntelange Leidenschaft. 1955 fährt er erstmals als Rallye-Beifahrer mit, in den 1960er-Jahren sitzt er selbst am Steuer. Doch Motorsport ist schon damals teuer. Zu teuer für Eckhard Schimpf. Und hier kommt Jägermeister ins Spiel.
Jägermeister erfüllt Schimpf seinen großen Traum
Zu dem Kräuterlikör-Imperium hat er eine familiäre Verbindung: Sein Großvater Wilhelm Mast gründet 1878 den Weinbrand- und Likörhersteller Mast in Wolfenbüttel, sein Onkel Curt Mast entwickelt 1934 den Schnaps. Cousin Günter Mast leitet die Firma in den 1970er-Jahren. Schimpf, als passionierter Rennfahrer auf der Suche nach einem Geldgeber, fragt im Dezember 1971 jenen einflussreichen Cousin, ob der ihn nicht ein wenig unterstützen wolle. Dafür würde er auch das Firmen-Logo auf den Porsche 914/6 kleben, mit dem er im Januar 1972 die Rallye Monte Carlo fahren möchte. „Günter war nicht abgeneigt. Er gab mir 1.000 Mark statt der vorgeschlagenen 500 Mark und sagte: ‚Mach was draus. Nach dem Rennen unterhalten wir uns’“, erinnert sich Schimpf. Bei der Rallye fällt er aus. Trotzdem läuft das Gespräch mit Günter Mast danach gut. Er bekommt den Auftrag, ein professionelles Rennteam aufzustellen: mit Fahrer, Auto und Crew.
Schimpf ist begeistert. Als Erstes kauft er einen Porsche 914/6 von Max Moritz Tuning. Der Renner ist anfangs grün. Nach drei Rennen aber lässt er ihn knallorange lackieren. Auf Wunsch seines Cousins und getreu dem Motto: Wenn schon auffallen, dann richtig. In den nächsten Jahrzehnten wird das Orange zum wiederkehrenden Farbtupfer auf Rennstrecken quer über den Kontinent gehören.
Schimpfs Fokus liegt auf der Formel 2. Die Serie hat damals viele Fans, vor allem in Europa. Die meisten Rennen finden in Deutschland, Österreich und Italien statt, dem Hauptabsatzmarkt von Jägermeister. Für sein Team bekommt Schimpf anfangs ein Budget von 170.000 Mark pro Jahr. Dafür organisiert er einen Formel-2-Wagen und den ehemaligen Weltmeister Graham Hill. „Das war ein Paukenschlag. Ein so bekannter Fahrer mit einem neuen Team in einem orangen Auto“, erzählt er. Da er es liebt, die Rennwochenenden im Fahrerlager mitzuerleben, kennt er die meisten Fahrer persönlich.
Bis heute ist der BMW 325i einer der meistgebauten BMW`s und überzeugt mit seinem klassischen Design.
Lauda, Hunt, Ickx – alle Legenden fahren für Schimpf
1973 verpflichtet Schimpf Niki Lauda. Der Österreicher, damals noch weit von Formel-1-Weltmeister-Ehren entfernt, schafft mit seinem Jägermeister BMW Alpina den Durchbruch. Bis zu Laudas Tod 2019 bleiben er und Schimpf eng verbunden. Jedes Jahr erhält er neues Geld, um einen Spitzenfahrer und ein wettbewerbsfähiges Auto zu finanzieren. Es folgen renommierte Piloten wie Hans-Joachim Stuck, James Hunt, Jochen Mass, Derek Bell, Klaus Ludwig, Stefan Bellof und Jacky Ickx. Die Legenden des Motorsports – Schimpf hat sie alle gehabt.
Und auch Jägermeister profitiert. Nach Martini sind sie der zweite branchenfremde Sponsor im Motorsport. Die Autos steigern die Berühmtheit der Marke mit jedem Rennen. „Die Wirkung haben wir nur erzielt, weil das Jägermeister-Logo exklusiv und plakativ auf dem orangen Rennwagen klebte“, erinnert sich Schimpf. Parallel steigt Jägermeister erstmals als Trikot-Sponsor bei Eintracht Braunschweig in der Fußball-Bundesliga ein. Der Schritt gilt rückblickend als Beginn der Kapitalisierung des Fußballs.
Schimpfs Leidenschaft gehört jedoch dem Motorsport. Bis 1982 fährt der Mann, der hauptberuflich als Journalist arbeitet, privat. Insgesamt steht er mehr 200 Mal an der Startlinie. Beim 1.000-Kilometer-Rennen auf der Nordschleife nimmt er elf Mal teil. Zwei Mal gewinnt er. „Rennfahren hat mein Leben bereichert, aber irgendwann musste Schluss sein. Ich bin froh, dass mir außer kleineren Unfällen nichts passiert ist“, sagt Schimpf heute.
Bis ins Jahr 2000 hinein leitet Eckard Schimpf das Jägermeister-Rennteam. Dann zieht sich die Firma wegen des EU-weiten Alkoholverbots bei Autorennen aus dem Motorsport zurück. Die Bilanz liest sich beeindruckend: Auf mehr als 150 Rennwagen von allen wichtigen Herstellern klebt der berühmte Hirsch. Die knallorangen Autos absolvierten mehr als 2.500 Starts – in der Deutschen Rennsport-Meisterschaft (DTM) ebenso wie bei Langstreckenrennen und zweimal sogar in der Formel 1. Rund 150 Piloten waren über den gesamten Zeitraum beim Team Jägermeister angestellt. Ihr Erbe steht heute teilweise in Schimpfs Halle in Braunschweig.
Die wenigen Exemplare des Porsche 550 aus den 1950er Jahren sind heute unbezahlbar. Erschwinglich ist allenfalls ein Nachbau.
Schimpf und sein Sohn gründen “72Stagpower”
Fünf Jahre nach dem Ende des Rennsport-Teams überlegen Eckhard Schimpf und sein Sohn Oliver, wie sie das große Motorsport-Erbe konservieren können. Sie entscheiden sich, eine Werkstatt zu gründen. Nebenan bauen sie direkt eine Ausstellungshalle für die restaurierten Fahrzeuge. Erstes Exponat: ein BMW, der in der Gruppe 5 der Tourenwagenmeisterschaft gefahren ist. Dort maßen sich in den Siebzigern und Achtzigern die sogenannten “Hochleistungswagen”. Den BMW hatte Schimpf direkt behalten.
Gemeinsam mit seinem Sohn gründet er „72Stagpower“ und beschließt, systematisch Fahrzeuge mit Jägermeister-Aufdruck aufzukaufen. Ihre Familie unterstützt sie, der Likörhersteller bleibt außen vor. Zudem helfen zwei Mechaniker dabei, die Fahrzeuge rennfertig zu halten.
Mittlerweile umfasst die Sammlung 25 Rennwagen, darunter das erste originale Formel-2-Rennauto und Gruppe-C-Fahrzeuge wie Porsche 956 und 962. Schimpfs Lieblingsrenner ist der Carrera RSR von 1974, mit dem er jahrelang unterwegs war. Die Autos aus der Privatsammlung fahren allesamt noch. Hin und wieder werden sie bei Demo-Läufen eingesetzt.
1984 entdeckt Schimpf die DKW-Maschine
Der Wert der Sammlung? Unschätzbar. Vor allem, weil sie noch nicht vollständig ist. Noch immer sucht Schimpf historische Fahrzeuge in der ganzen Welt und forscht in der Geschichte seines ehemaligen Rennteams. Er ist ein Rastloser, der alle Zahlen und Namen im Kopf hat, der auf ein unglaubliches Fachwissen über Rennsport und ein prall gefülltes Text- und Foto-Archiv mit mehr als 2.500 Fotos zurückgreifen kann. „Leider ist das noch nicht sortiert, ich komme einfach nicht dazu“, schmunzelt er. Wie denn auch: Häufig kommen ehemalige Rennfahrer vorbei und halten einen Plausch über die alten Zeiten.
Zwischen 1969 und 1975 liefen 118.978 Porsche 914 vom Band.
Eckhard Schimpf ist ein Mann, der sich Träume erfüllt. Der erste große, den er als zehnjähriger Steppke beim Prinzenpark-Rennen hatte, ging recht schnell in Erfüllung: Schimpf wurde Rennfahrer und blieb es bis heute. Ein anderer großer Traum wurde erst 1984 wahr. Da entdeckt er die Maschine, die seinerzeit seine Leidenschaft entfacht hatte. Sie steht in desolatem Zustand bei einem Bekannten. Schimpf kauft und restauriert sie. Nun steht die DKW-Maschine in der Halle mit dem berühmten Jägermeister-Rennwagen – und nimmt einen ganz besonderen Platz in seinem Herzen ein.
Auch wenn das seine prägendste Erinnerung an den Beginn seiner Rennsportbegeisterung ist, interessiert sich Schimpf für ganz besondere historische Rennwagen: Orange müssen sie sein, mit einem Hubertus-Hirsch-Kopf-Logo auf der Karosserie. Jägermeister-Rennwagen, die fast dreißig Jahre auf europäischen Rennstrecken zu sehen waren.