Die IAA 2019 weist in die elektrische Zukunft
Das große Thema der IAA 2019? Die Elektrifizierung. Ab 2020 rollt eine Welle neuer E-Modelle in den Handel – die Autos wollen und müssen verkauft werden.
Worüber auf der IAA alle gesprochen haben? Über die, die nicht da waren. Es fehlte die komplette FCA-Gruppe. Es fehlten bis auf Honda alle japanischen Marken. Der PSA-Konzern präsentierte nur die Marke Opel. Renault, Tesla oder Kia verzichteten auf einen Stand und nahmen lediglich an Fahraktionen teil. Volvo fehlte ebenfalls.
Die deutschen Hersteller fehlten nicht. Zum Teil verkleinerten sie ihre Stände jedoch deutlich im Vergleich zur IAA 2017. Autobauer, die gemeinsam für gut die Hälfte des deutschen Neuwagenmarktes stehen, waren da. Und sie zeigten ihre Neuheiten. Darunter einige Modelle mit fast garantierter Nachfrage - im Flotten- oder im Privatkundenmarkt. Eine Vielzahl von Premieren steht dagegen für die große Frage der Branche. Akzeptieren die Kunden die neuen, elektrischen Modelle?
Was die IAA deutlich zeigte: Die Autohersteller pflegen noch die klassischen Portfolios. Audi und BMW präsentierten wichtige Neuheiten für den Flottenmarkt: einen frisch gelifteten Audi A4 oder einen brandneuen BMW 3er Touring. Ford bringt mit dem neuen Puma ein attraktives neues Crossover, das die Vorzüge eines stadttauglichen Minivans mit dem begehrten Auftritt eines SUV verbindet. Außerdem schickt Ford 2020 den neuen Kuga in den Markt. Bei Mercedes ergänzt mit dem GLB ein kompaktes SUV mit sieben Sitzen das Angebot.
Opel, beheimatet im benachbarten Rüsselsheim, präsentierte seine volumenstärksten Modelle im neuen Gewand. Der Kleinwagen Corsa garantiert seit Jahrzehnten hohe Stückzahlen. Auf der IAA 2019 debütierte die komplett neue Baureihe F. Sie basiert erstmals auf einer PSA-Plattform. Daneben parkte in Frankfurt der überarbeitete Opel Astra mit komplett neuem Motorenprogramm.
Und der Marktführer? VW versuchte in Frankfurt etwas Neues. Das bisher reguläre Sortiment des Herstellers blieb komplett außen vor. Kein Tiguan, Touran, Sharan, Polo oder Touareg lenkte von der wichtigsten Neuheit der Messe ab. Nein, nicht der neue Golf 8 – der ist fertig entwickelt, aber auf der IAA fehlte er. Ins Zentrum stellte VW den ID.3, das erste Serienmodell aus Volkswagens neuer Elektroauto-Generation. Das vielleicht erste deutsche Elektroauto, das wirklich nennenswerte Stückzahlen im breiten Markt verspricht.
Den Aufbruch ins Elektro-Zeitalter verbindet die Marke Volkswagen außerdem mit einem neuen Corporate Design. Ein neues Logo, neue, buntere Kommunikationsfarben – klar, dass die Autohäuser der Volkswagen-Gruppe in den kommenden Monaten und Jahren viele tausend Logos, Stellwände, Broschüren und Schreibblöcke austauschen werden.
Strom: Das Leitmotiv der IAA
Wenn die Pläne der Automobilkonzerne aufgehen, könnte die IAA 2019 eines Tages als Startpunkt für den realen Durchbruch des Elektroantriebs gelten. Den Aufbruch dahin setzte auf der IAA zwar niemand konsequenter in Szene als Volkswagen: Der Konzern elektrifiziert neben dem ID.3 Skoda noch die Kleinstwagen Citigo, Seat Mii und VW Up. Skoda und Seat stellen erstmals Plug-in-Hybride vor: Die Tschechen den Superb, die Spanier das SUV Tarraco. Porsche bringt mit dem Taycan ein Performance-Elektroauto. Den Fokus auf Strom legen dennoch fast alle großen Hersteller. Denn sie alle wollen in den kommenden Monaten flächendeckend elektrifizierte Antriebe aus der Nische in die Großserie überführen.
Ford bietet künftig in jeder Modellreihe mindestens eine elektrifizierte Variante an: Im Puma einen Mild-Hybrid, im Kuga gleich drei Hybrid-Varianten. Opel wird den neuen Corsa erstmals als Elektroauto verkaufen - mit alltagstauglicher Reichweite für rund 30.000 Euro Listenpreis. Im größeren SUV Grandland X stellt künftig ein Plug-in-Hybrid mit Allrad und 300 PS die Spitzenmotorisierung. Die BMW-Marke Mini zeigt einen Strom-Cooper. Hondas IAA-Auftritt steht ganz im Zeichen von CR-V Hybrid und dem schicken Elektro-Kleinwagen Honda e, Hyundai will große Teile seines Modellprogramms elektrifizieren.
Elektroautos: Herausforderung für den Handel
Auf diese neuen Modelle stellt sich der Handel nun relativ zügig ein, und zwar erheblich konsequenter als bisher. Es genügt nicht mehr, theoretisch einen E-Golf bestellen zu können. Der Prozess läuft selbstverständlich längst, wie uns mehrere Autohersteller versichern. Die Verankerung von Elektromobilität im Tagesgeschäft bringt schließlich ganz konkrete Fragen mit sich. Muss der Händler den Kunden eine Ladesäule anbieten? Welche Fortbildung befähigt den Mechatroniker zur Arbeit mit Hochvolt-Fahrzeugen? Vor allem aber: Akzeptieren die Kunden die neuen Fahrzeuge? Ein 300-PS-Opel zu einem Listenpreis von rund 50.000 Euro benötigt Kunden, die in den letzten Jahren eher keinen Opel gekauft haben. Am VW ID stört der Basispreis von rund 30.000 Euro vor Vergünstigungen weniger: Ein Golf Diesel mit vergleichbarer Leistung kostet mehr.
Finden die neuen Modelle ab 2020 nicht den Weg in Kundenhand, drohen den Konzernen empfindliche Strafzahlungen. Denn dann wird es den Automobilherstellern schwerfallen, die CO2-Flottenziele auf EU-Ebene zu erreichen. Damit die Hersteller ihre Ziele erreichen, müssen sie Schätzungen der Berater von FEV Consulting kurzfristig den Verkauf reiner Elektroautos ungefähr verdreifachen und ihn bei Plug-in-Hybriden sogar verfünffachen.
Eine hohe, aber nicht unerreichbare Hürde mit einer Voraussetzung: Die Technik überzeugt zuerst beim Kauf und danach im Alltag. Hier muss der Handel seine Kompetenz einbringen. Die Flexibilität des Mittelstands ebenso wie die Kompetenz am Produkt und die zum Teil jahrzehntealten Kundenbeziehungen. Wer diese Herausforderung meistert, dem winken neue Geschäftsfelder. Händler, die Elektromobilität aus einer Hand anbieten, verkaufen dem Kunden neben dem Fahrzeug eine Lademöglichkeit am Stellplatz. Eventuell einen speziellen Stromtarif. Vernetzte Flotten ermöglichen neue Dienstleistungen: Das Auto meldet sich selbst zur Inspektion an. Und: Wie lassen sich die Rückläufer attraktiv am Gebrauchtwagenmarkt platzieren? Einen großen Teil der Systemkompetenz, die auf all diesen Feldern im Handel entstehen muss, stammt dabei initial von den Herstellern.
Autonomie und Carsharing: Ohne Handel geht es nicht
Stabile Absätze sind die Basis, die den Wandel tragen muss. Was dabei nach der Erfahrung des Sommers 2018 nicht hilfreich scheint, ist die erneut geänderte Abgasgesetzgebung bei Verbrennungsmotoren. Die Norm Euro 6d-Temp Evap erfordert eine erneute Zertifizierung vieler Pkw-Baureihen. Die Hersteller sagen, sie erwarten diesmal keine Schwierigkeiten - anders als bei der Einführung des WLTP im Sommer 2018. Seinerzeit entstand ein hoher Zertifizierungsrückstau. Weit bis in das Jahr 2019 litt darunter die Verfügbarkeit einzelner Motorvarianten.
Die Audi-Händler sammeln mit dem E-Tron bereits Erfahrung im Vertrieb eines Großserien-Elektroautos. Hinzu kommen jedoch in den kommenden Monaten viele konventionelle neue Modelle. Neben dem neuen A4 sind das nach der IAA das Q7 Facelift, der Q3 Sportback und der A1 Citycarver, daneben neue RS6 und RS7. 2020 folgt noch der neue A3. In allen neuen Modellen steckt ein komplett neues Infotainment. Audi-Kunden werden es demnächst erläutert bekommen wollen. Viel Erklärungsbedarf dürfte zusätzlich die Einführung der ersten Fahrzeuge mit autonomen Funktionen nach Level 3 erfordern. Die Hersteller erwarten die dafür erforderlichen Genehmigungen im Jahr 2020.
Traditionell beherbergt die IAA eine kaum zählbare Zahl an Veranstaltungen und Vorträgen. Darunter im Jahr 2019 die aufmerksamkeitsstarke Mercedes-Me-Convention. Diskutiert wurden die potenziellen Zukunftsthemen der Branche – autonomes Fahren, Share Economy, Share Mobility, Konnektivität, Online-Vertrieb von Fahrzeugen. OEM und Herstellerverbände sehen hier große Potenziale, sich neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Die Stimme des Fahrzeughandels war dabei jedoch kaum zu vernehmen. Obwohl alle wissen: Ohne den Handel geht es nicht. Spätestens bei Wartung und Reparatur führt am handlungsfähig aufgestellten Fachbetrieb kein Weg mehr vorbei. Die Thematik “Online-Shop für Fahrzeuge” kehrt ebenfalls regelmäßig wieder. Hier haben die Autohersteller inzwischen verstanden, dass der Vertragshandel bei solchen Projekten der notwendige Partner an ihrer Seite sein kann. Derjenige, der das Fahrzeug anmeldet, ausliefert und später wartet.
Proteste gegen die IAA
In vielerlei Hinsicht könnte die die IAA 2019 in der späteren Rückschau eine Zeitenwende markieren. Nie stellten die Hersteller mehr Großserienmodelle mit elektrifiziertem Antrieb aus. Und nie zuvor erreichten politische Proteste gegen die IAA eine solche Größenordnung. Ja, bereits 2017 protestierte Greenpeace gegen zu schmutzige Dieselautos. Diesmal jedoch stand die Branche an sich im Fokus einer Demonstration mit rund 25.000 Teilnehmern. Zu der Veranstaltung riefen die große Umweltverbände und mehrere Parteien auf. Ihre Forderungen: Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, keine großen, schweren E-SUV. „Größere Autos, mehr PS, höherer Verbrauch – für solche Autos steht die Internationale Automobil-Ausstellung“, so die Aktivisten. Diese Autos gab es, wenn sie auch zunehmend mit Strom fahren. Die Botschaft der Messe war jedoch: Das massentaugliche Elektroauto steht uns unmittelbar bevor. Es bleibt zu hoffen, dass die Automobilwirtschaft als Ganzes ihre Dialogfähigkeit behält. Denn ihre Problemlösungskompetenz ist deutlich besser als ihr gegenwärtiger Ruf.