Mit diesen Autos flohen DDR-Bürger in den Westen
Im Motorraum oder hinter dem Armaturenbrett: Viele DDR-Bürger flohen mit ganz speziellen Autos in den Westen. Wir zeigen die spektakulärsten Modelle.
Gefälschte Pässe, selbst gegrabene Tunnel oder im Kriechgang durch die Kanalisation: Um dem DDR-Unrechtsstaat zu entkommen, unternehmen ostdeutsche Bürger Zehntausende Fluchtversuche. Viele davon scheitern. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs am 9. November 1989 lassen mehr als 320 Menschen an der innerdeutschen Grenze ihr Leben. Um ihre Heimat unerkannt zu verlassen, nutzen im Laufe der Jahre immer mehr DDR-Bürger Autos. Selbstverständlich fahren sie nicht auf dem Sitz mit, sondern in Kofferräumen, Geheimfächern hinter der Rückbank und selbst in winzigen Motorräumen. Unsere Liste greift zum Jahrestag des Mauerfalls die bewegendsten Fluchten auf.
Fluchtautos: Mit diesen Autos flohen Bürger aus der DDR
- VW T1
- BMW Isetta
- Ford Mustang
- Mercedes Ponton (W120/W121)
- Cadillac DeVille
Umgebauter Unterboden beim VW T1 | VW Bus T1: “Reisebüro Girrmann”
„Unternehmen Reisebüro“ – unter diesem konspirativen Namen organisiert sich in den 1960er-Jahren eine der bekanntesten DDR-Fluchthilfegruppen. Gründer sind Detlef Girrmann und andere Studenten der Freien Universität Berlin im Westen der damals geteilten Stadt. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in Ost-Berlin macht die Girrmann-Gruppe für viele Tunnelbauten verantwortlich. Der technische Clou der jungen Studenten ist aber ein VW Bus, der für Fluchten in die Kanalisation eingesetzt wird.
Das Problem bei dieser populären Fluchtmethode: Gullydeckel sind schwer. Die Gefahr, beim Hochwuchten des schweren Deckels von Grenzschützern oder Stasi-Leuten entdeckt zu werden, ist groß. Die Studenten bauen den Unterboden des Bullis daher so um, dass er von innen geöffnet werden kann. Mit geheimem Mitfahrer rollt der T1 über einen Gullideckel in Grenznähe. „Blinde Passagiere“ können dann durch den geöffneten Boden rasch und von außen unerkannt in die Unterwelt verschwinden und so in den Westteil der Stadt entkommen.
Heute ist der VW Bus nicht nur wegen seiner Beihilfe zur Republikflucht ein automobiler Klassiker. Die erste Generation T1 (1950 bis 1967) ist DER Kleintransporter der jungen Bundesrepublik. Gut erhaltene T1 sind heute selten und dementsprechend teuer. Das beliebte Sondermodell “Samba” mit seinen 21 Fenstern kostet mehr als 100.000 Euro. Auch die Nachfolge-Baureihen T2 bis T3 sind sehr populär. Neuerdings dürfen sich sogar die ersten Exemplare des ab 1990 gebauten T4 Oldtimer nennen. Das Bulli-Angebot bei mobile.de ist riesig. Allein vom VW T1 werden mehr als 160 Modelle angeboten (Stand: November 2020).
Die erste Generation T1 (1950 bis 1967) war der beliebteste Kleintransporter der jungen Bundesrepublik
BMW Isetta
Ein Bus? So viel Platz braucht es gar nicht, dachte sich wohl der West-Berliner Klaus-Günter Jacobi, als er im Frühjahr 1963 seine BMW Isetta zum Fluchtauto modifizierte. Der Begriff Auto ist bei diesem Mini-Mobil eigentlich übertrieben. Von 1955 bis 1962 bauen die Bayerischen Motorenwerke die possierliche Isetta, die vom Hersteller als „Motocoupé“ bezeichnet wird: ein Zwitter zwischen Motorrad und Auto.
Immerhin hat die BMW Isetta vier Räder, zwei Sitze und am Heck eine Haube für das 12 PS starke Motörchen. Der Einzylinder mit 250 ccm steckt rechts hinter der Sitzbank. Daneben gibt es einen winzigen Hohlraum. Den baut Jacobi zum Geheimversteck für Menschen um, die die DDR unerkannt verlassen wollen. Dabei profitiert er von seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Mit Hammer, Meißel und Säge macht Jacobi aus seiner Isetta ein Fluchtauto. Den 13-Liter-Tank ersetzt er durch einen viel kleineren. So gewinnt er genug Platz zum Transport eines Erwachsenen.
Am 23. Mai 1963 ist es so weit. In Berlin-Steglitz übergibt Klaus-Günter Jacobi seine umgebaute Isetta zwei Fluchthelfern. Die fahren in den Ost-Teil der Stadt. An einem Karpfenteich in Pankow steigt Jacobis Jugendfreund Manfred in das Versteck des BMW-Kabinenrollers. An der Bornholmer Brücke passiert der Wagen die innerdeutsche Grenze. Kurz darauf klettert der Flüchtling aus seinem Versteck hinaus in die westdeutsche Freiheit.
Heute ist die BMW Isetta ein begehrtes Sammlerstück. Mit der unkomplizierten und leicht zugänglichen Technik gilt das Kleinstmobil als optimaler Oldtimer für Hobby-Bastler. Interessenten sollten aber Motor und Getriebe gut checken, denn wegen der geringen PS-Leistung gab es für Vorbesitzer oft nur eine Gangart: Vollgas. Zudem sind die Bleche rostanfällig, doch die kann man notfalls schweißen.
BMW nannte die Isetta "Motocoupé": Eine Mischung aus Motorrad und Auto.
Ford Mustang
13-Liter-Tank? Damit würde man mit einem Ford Mustang nicht weit kommen. 1964 betritt der Klassiker die automobile Bühne. Standard-Motorisierung ist ein 4,7 Liter großer und durstiger V8-Motor. Der Mustang hat also einen großen Benzintank, selbst wenn man ihn „nur“ mit V6 bestellt.
Das bringt Fluchthelfer Hasso Herschel 1968 auf eine Idee. Er baut den Tank des Ami-Schlittens so um, dass eine menschliche Person hineinpasst. Zumindest für kurze Zeit.
Um sich in die 30 mal 60 mal 95 Zentimeter kleine Wanne zu zwängen, muss man sich schon sehr klein machen – und gute Nerven haben. Auf die damals 21-jährige Regina Albrecht trifft das zu. „Es war eng, es war heiß. Über meiner Schläfe war die Benzinleitung“, berichtet sie nach ihrer gelungenen Flucht zu ihrem Freund nach West-Berlin. „Präparator“ Hasso Herschel gilt heute als einer der bekanntesten Fluchthelfer, denn auch mit dem berühmten „Tunnel 29“ half er Menschen aus der DDR in den Westen.
Und der Ford Mustang? Ist heute einer der beliebtesten US-Klassiker. Viel falsch machen kann man mit dem Evergreen nicht. Allerdings sollte man auf originale Bauteile und eine nachvollziehbare Historie achten (Stichwort „Matching Numbers“). Denn es sind auch viele Blender unterwegs. Betrüger wollen am Mustang-Hype gerne mitverdienen. Über den Dienstleister CARFAX kann man sich über die Vorgeschichte von US-Fahrzeugen informieren.
Der Mustang hat einen großen Benzintank, selbst wenn man ihn „nur“ mit V6 bestellt
Mercedes Ponton (W120/W121)
Wer in das Fluchtauto von Dietrich Rohrbeck passen will, muss schlank sein. Der gebürtige Stettiner soll 85 Erwachsene und 16 Kinder aus der DDR in den Westen geschleust haben. Die fahrende Hauptrolle spielt dabei ein Mercedes Ponton, den Rohrbeck im Jahr 1962 kurz nach dem Mauerbau als Gebrauchtwagen ersteht. Die Limousine ist so etwas wie die Ur-Großmutter der modernen E-Klasse und bietet schön viel Platz für die Fahrgäste. Um einen blinden Passagier vor einem schnüffelnden DDR-Grenzschützer zu verbergen, braucht es allerdings noch etwas Detailarbeit.
Mit Bohrmaschine und Eisensäge zimmert Rohrbeck ein Geheimversteck zwischen Rücksitzbank und den Stahlblechen zum Kofferraum seines Mercedes. Das Versteck misst gerade einmal 17 Zentimeter in der Breite. Das reicht, um schlanke Personen zumindest für kurze Zeit unterm Blech verschwinden zu lassen.
Übrigens sind Westwagen wie der Ponton Mercedes damals auch bei der Stasi beliebt, um unauffällige Fahrten auf der Transitstrecke zwischen DDR und BRD zu unternehmen. Die West-Kennzeichen sind oft gefälscht. So können sich die Spitzel auf Parkplätzen unbemerkt verdächtigen Reisenden nähern.
Der Mercedes Ponton der Baureihen W120/W121 steht für einen technischen Sprung im Automobilbau: Er ist der erste Mercedes-Pkw mit selbsttragender Karosserie. Mit dem 180 D beginnt 1954 die Verbreitung des Pkw-Dieselmotors – und zwar nicht nur in Taxis. Als Klassiker ist der Ponton bis heute ein bequemer und sparsamer Zeitgenosse. Überraschend günstig sind auch die Anschaffungskosten. Ab etwa 12.000 Euro findet man bei mobile.de fahrbereite Exemplare. Etwas Stilbewusstsein gehört allerdings dazu. Ans Steuer setzen sich Liebhaber nur mit Hut. Den trägt ein Mann von Welt nämlich vor 60 Jahren.
Der Mercdes Ponton (W120/ W121) war der erste Mercedes-Pkw mit selbsttragender Karosserie.
Cadillac DeVille
Wer in den USA früher keinen teuren Importwagen wie Mercedes kaufen möchte, fährt Lincoln oder Cadillac. Weil im Nachkriegsdeutschland Tausende US-Soldaten stationiert sind, kommen etliche dieser Ami-Schlitten zu uns. Ein Cadillac DeVille Coupé von 1957 wird zum Vehikel des Berliner Fluchthelfers Burkhart Veigel.
Veigel gehört zu den tapfersten Fluchthelfern der deutsch-deutschen Geschichte. Rund 650 DDR-Bürger soll er in den 1960er-Jahren in den Westen geschleust haben. Allein 200 davon transportiert der Cadillac in die Freiheit – so viele wie kein anderes bekanntes Fluchtfahrzeug. Besonders kurios ist dabei, dass der noble Cadillac aus Amerika in der DDR als kapitalistisches Statussymbol gilt.
Ausgerechnet dieser Straßenkreuzer mutiert zum rollenden Versteck. Burkhart Veigel baut dafür einfach das zwei Meter breite Armaturenbrett um. Das lange Röhren-Radio fliegt raus, das Handschuhfach wird verkleinert und das Ganze mit einer Art Tresorschloss gesichert. Das System ist so ausgeklügelt, dass Grenzposten selbst bei einer einstündigen Inspektion auf der Hebebühne das Versteck nicht finden. Und da es direkt am Motor mit seinen Schmierstoff-Gerüchen liegt, schlagen auch Spürhunde nicht an.
Burkhart Veigel soll bis heute Kontakt zu vielen seiner damaligen Passagiere haben. Und auch vom Cadillac DeVille gibt es noch etliche Veteranen. Allein von der ersten Modellgeneration finden sich bei mobile.de Dutzende Exemplare (Stand: November 2020). Wer sich eins anschaffen möchte, braucht eine große Garage: Der Ami-Schlitten ist knapp sechs Meter lang. Eine Augenweide sind der Chromschmuck und die üppigen Karosserielinien mit der Heckflosse. Großer Pluspunkt ist die erstklassige Ersatzteilversorgung für solch einen alten US-Klassiker. Nichts für Pfennigfuchser ist hingegen der Spritverbrauch der über sechs Liter großen V8-Motoren.
Wer in den USA früher keinen teuren Importwagen wie Mercedes kaufen möchte, fährt Lincoln oder Cadillac. Er zählt zu den absoluten US-Klassikern.