Der sechste Golf bringt Feinschliff und TDI-Motoren
Der VW Golf startet in seine achte Generation. Zu diesem Anlass erinnert sich unser Autor Peter Maahn an seine Vorgänger. Teil 6: Der Golf 6 von 2008.
Zum ersten Mal verlässt VW für die Fahrpräsentation eines Golf die Heimat. Nachdem die ersten fünf Generationen des Kompakten in München, Bonn und Goslar vorgestellt wurden, wagen sich die Wolfsburger nun nach Island. Weil das Auto in der schroffen Landschaft und bei ungewohnten Lichtverhältnissen so schön aussieht, verraten die Sprecher im persönlichen Gespräch. Zwischen den Zeilen schwingt mit: Weil er dann ganz anders aussieht als sein Vorgänger. Denn technisch sind beide Autos dicht beieinander.
Gerade erst erlebte Island einen ungewöhnlich heißen Sommer mit bis zu 28 Grad Celsius. Jetzt, im September, kühlt es auf frische zehn Grad ab. Heerscharen von Zimmerleuten und Messebauern haben für die Veranstaltung eine verkleinerte Ausgabe der Wolfsburger Autostadt in die Lavaberge nahe der Blauen Lagune bei Grindavík in der Nähe der Hauptstadt Reykjavík gebaut. Ein wahnsinniger Aufwand, sogar für VW-Maßstäbe.
Aber es geht ja um das wichtigste Modell. Und um schreibende, sendende und sogar schon postende Journalisten aus mehr als 50 Ländern. Sie sollen das Auto auf Teilen der berühmten Hringvegur, einer 1.332 Kilometer langen Ringstraße um die Insel herum, erfahren. Wer mehr sehen möchte, muss über unbefestigtes Gelände. Dort gibt es in Island die reizvollsten Sehenswürdigkeiten.
• Modell: VW Golf 6 R
• Motor: 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbo
• Leistung: 270 PS
• 0-100 km/h: 5,7 s
Viel Bekanntes in einer neuen Umgebung
So hübsch die Umgebung auch ist, die sichtbaren Neuigkeiten des „Sechsers“ halten sich auf den ersten Blick in Grenzen. Er steht auf derselben Plattform wie der Vorgänger, hat fast identische Maße. Die Frontpartie wirkt freundlicher. Hinten ragen die Leuchten weiter in die Heckklappe, sind geschmeidiger gezeichnet, die Rückfahrlampen wandern im gemeinsamen Gehäuse in einen kleinen weißen Streifen unterhalb von Rück- und Bremslicht. Deren vormaliger Kreis wird dadurch unten gekappt. Das Ganze ist ein Zeugnis penibler Feinarbeit.
Das gilt auch für den Innenraum. Sofort fällt das neue Kombiinstrument ins Auge. Tacho und Drehzahlmesser sind in chromumrandeten, optisch herausragenden Röhren untergebracht. Eine Anleihe aus dem Passat CC. Die Ziffern leuchten wieder weiß. Blau-Fan Ferdinand Piëch – er führte die Beleuchtungsfarbe im Golf 4 ein – ist schließlich längst in den Aufsichtsrat gewechselt und kümmert sich nicht mehr um solche Lappalien.
Der bereits hohe Qualitätseindruck des Vorgängers in den Disziplinen Verarbeitung und Materialauswahl wird übertroffen. Die weiche, leicht genarbte Oberfläche des Instrumententrägers besteht den Kuschel-Test mittels Handauflegen. „Qualität zum Anfassen“, sagt Produktionsvorstand Jochem Heizmann. Er wird vier Jahre später nach einem Umweg über die Nutzfahrzeuge für sieben Jahre China-Chef von VW.
Der Tiguan rückt dem VW Golf aufs Blech
Vermutlich liegt es an den überschaubaren Aha-Effekten, dass bei den üblichen Dinner-Smalltalks der Golf 6 diskussionstechnisch schnell abgehakt ist. Bis dahin gibt es ihn nur statisch zu sehen, gefahren wird erst an Tag zwei. Andere Themen beherrschen das Tischgespräch. Die heiße Endphase des US-Wahlkampfs zum Beispiel, wo Barack Obama beste Chancen hat, zum ersten afroamerikanischen US-Präsidenten gewählt zu werden. Oder der erste Sieg des 21-jährigen Sebastian Vettel beim Formel-1-Rennen in Italien.
Aber auch die Finanzkrise, ausgelöst von der Pleite der Lehman-Bank, oder die Pekinger Olympischen Spiele im August. Die künftige Rolle des Riesenreichs als Automarkt Nummer 1 ist nur ein Randthema. In Bayern droht der CSU erstmals seit 46 Jahren der Verlust der absoluten Mehrheit, was dann am 28. September auch eintritt.
Auch der Golf 6 kann sich seiner absoluten Mehrheit im VW-Stall nicht mehr sicher sein. Seit einem Jahr verkauft VW das Mittelklasse-SUV Tiguan, das schnell die Garagen vieler Golf-Fans erobert. Der Beginn des SUV-Booms wird die Lust am Auto verändern und im folgenden Jahrzehnt die Zulassungstabellen beherrschen – obwohl der Golf und seine Mitspieler weiterhin prächtig verkauft werden. Seine Spitzenposition kann er in den kommenden Jahren verteidigen.
Breite Motorenpalette bei der Fahrveranstaltung
80 nagelneue Golf 6 sind per Schiff auf die Insel gebracht worden. Große Auswahl für die erste Fahrt. Die beiden Einstiegsbenziner mit 1,4 Litern (80 PS) und 1,6 Litern (102 PS) oder die sportlichen Turbo-Versionen mit ebenfalls 1,4 Litern und 122 PS bzw. 160 PS. Letzterer wird zusätzlich von einem Kompressor aufgeblasen. Und natürlich die neuen Diesel. Die stets etwas raue Pumpe-Düse-Technik hat ausgedüst, Common-Rail heißt der Nachfolger. Zweiliter-TDI-Modelle mit 110 oder 140 PS stehen bereit, das Spitzenmodell mit 4Motion-Allrad. Mit diesen Autos will VW ab Oktober in den Markt gehen.
Wir entscheiden uns zunächst für den 110-PS-Diesel. Ein Kollege aus Zwickau weiß zu berichten, dass dieses ursprünglich an der Uni Zürich entwickelte elektronische Einspritzsystem bereits 1985 erstmals in einem Straßenauto landete, in einem IFA-Lastwagen aus der DDR. Weil dem VEB Motorenwerk Nordhausen das Geld ausging, wurde die Entwicklung abgebrochen. 23 Jahre später arbeitet die Technik im Golf.
Auf den isländischen Holperstraßen und dem rauen Asphalt macht sich die stark verbesserte Dämmung inklusive Folie in der Frontscheibe bemerkbar. Vom Diesel bemerkt man innen wenig. Der Motor ist auf der Tour kaum hörbar, nur im Stand bei geöffnetem Seitenfenster verrät er seine Herkunft. Kein Nageln mehr, eher ein dezentes Schnurren. Ein großer Fortschritt für den Diesel-Golf.
Mit dritter Sitzreihe fahren im VW Tiguan Allspace bis zu sieben Personen mit.
Detailverbesserungen und ein adaptives Fahrwerk im VW Golf 6
Keine Entwicklungssprünge beim Fahrverhalten. Es sind die vielen kleinen Schritte im Detail, die den Golf 6 ausmachen. Die Lenkung arbeitet präziser mit klarer Rückmeldung. Feinschliff auch beim Fahrwerk, spürbar vor allem dann, wenn es von einer Elektronik unterstützt wird. Der Schlüssel dazu nennt sich DCC und kostet 925 Euro. Je nach Fahrmodus werden Tempo, Lenkwinkel und Straßenoberfläche von Sensoren erfasst und die jeweils passende Einstellung des Fahrwerks gewählt. Das alles bei stets moderater Seitenneigung. Auf Schotterpisten sorgt zudem das serienmäßige ESP für Stabilität.
Zur Annehmlichkeit trägt auch der Motor bei. Dank 250 Newtonmetern verträgt er ruckfrei und klaglos schaltfaule Fahrer. Der Ganghebel flutscht durch die Kulisse, kann wegen des Insel-Tempolimits oft aber im Fünften verbleiben. Vom Spurt in rund 10 Sekunden auf Tempo 100 können Diesel-Veteranen nur träumen. Auch die Spitze von 190 km/h war bislang für Diesel-Modelle dieser Größenordnung eher unüblich.
Das alles leistet der Golf TDI mit einem Normverbrauch von fünf Litern auf 100 Kilometern. Im strengen Island damals fast erreichbar, auf deutschen Autobahnen sind es später dann doch deutlich mehr. Bei schwerem Gasfuß steht die Acht vor dem Komma. Trotzdem ein guter Wert. Nicht gut: Die Motorengeneration „EA 189“ wird später zum Symbol des Abgasskandals. Die Abgaswerte hält der Diesel nur auf dem Prüfstand ein.
Ein konkurrenzfähiger Preis und teure Extras
Zum Start bietet der Golf 6 Assistenzsysteme, die bisher teureren und größeren Autos vorbehalten waren. Abstandsradar, halbautomatisches, lenkendes Einparksystem oder eine Berganfahrhilfe. Auch Tagfahr- und statisches Kurvenlicht sind verfügbar. Das Erstaunliche aber ist der Blick in die Preisliste. Der 80-PS-Basisgolf kostet mit serienmäßiger Klimaanlage ab 16.500 Euro. Damit liegt er auf Augenhöhe mit Ford Focus oder Opel Astra.
Für den von uns gefahrenen Diesel müssen Kunden 20.625 Euro nach Wolfsburg überweisen. Käufer mit Sportsgeist zahlen für den 160-PS-TSI 23.975 Euro. Hinzu kommen persönliche Befindlichkeiten, die sich teure Extras wünschen. Von diesen Verlockungen gibt es jede Menge.
Am Straßenrand nahe der Hauptstadt fällt der Blick aus dem Seitenfenster auf zwei demolierte Autowracks, die von den Inselbewohnern auf einem Holzgestell zu einer Art Mahnmal installiert sind. Ein kurzes Innehalten, wie gefährlich Autofahren sein kann. Auch dann, wenn man in einem sicheren und modernen Golf fährt. Der erreicht im Euro-NCAP-Crashtest eine Wertung von fünf Sternen. Allerdings hat er das Optimum beim Insassenschutz nicht erreicht (41 von 49 möglichen Punkten).
Das ist kein Thema bei der Manöverkritik nach dem Abstellen auf dem Hotelparkplatz. Es geht vielmehr um Kommendes: zum Beispiel den neuen GTI, der im März 2009 mit einem 211-PS-Turbo die Bühne betritt. Und das Ende für den R 32 mit Sechszylinder. Er wird Ende 2009 vom Golf R ersetzt, der ihn mit 270 PS um 20 PS übertrifft. Ebenfalls 2009 schiebt VW den Golf Variant nach, erst 2011 folgt das Cabrio.
Die Elektrifizierung lässt auf sich warten.
Die Möglichkeit, ein Auto mehr oder weniger elektrisch anzutreiben, wird für den VW Golf erst im Jahr 2012 konkret. Dabei arbeitet VW schon vorher an der Technik. Der Golf Blue-e-Motion, ein Plug-in-Hybrid mit einer Kombination aus 150-PS-Benziner und 98-PS-E-Motor, bleibt zunächst ein Forschungsauto. Ebenso die rein elektrische Version mit einer 26,5-kW/h-Batterie, die aus 180 Zellen besteht und einen 115-PS-Elektromotor versorgt. Reichweite: schmale 150 Kilometer laut Norm.
VW elektrifiziert die Serienmodelle des Golf 6 nicht. Er verkauft sich klassisch angetrieben bis zum Eintritt in sein Rentenalter nach nur vier Jahren 2,85 Millionen Mal. Es liegt zum Teil an der SUV-Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Heute gilt der Sechser eher als Zwischenschritt auf dem Weg zum Golf 7. Der bringt eine ganz neue Plattform mit – und er entdeckt die Steckdose.