Fünf besondere Autos der DDR
Was wurde aus Tatra, Melkus und Co.? Wir zeigen fünf besondere Modelle aus (und für) Ostdeutschland. Und klären, was aus ihnen wurde.
Wenig veranschaulicht den Unterschied zwischen der BRD und der DDR so sehr wie die Autos der jeweiligen Staaten. Mit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren ändert sich das Straßenbild im neuen Gesamt-Deutschland sichtbar. Zweitakter knattern durch Hamburg, Porsche und Mercedes rasen gen Osten. Auch in der DDR gab es vorher luxuriösere Limousinen. Manche aus dem Westen importiert, andere aus anderen Oststaaten gekauft. In Summe sind sie viel seltener als im Westen. Aber nicht minder schön.
Hier sind fünf tolle Autos der DDR. Wir klären, was sie für Ostdeutschland einst bedeuteten. Was aus den Herstellern wurde. Und was gebrauchte Exemplare heute kosten.
Tatra 603: Funktionärs-Limo mit Heckantrieb
Nicht Du wählst die Limo, sondern die Limo wählt Dich: Einen Tatra 603 können DDR-Bürger nicht kaufen, sie bekommen das Fließheck-Modell ab 1959 allenfalls zugeteilt. Doch de facto haben nur höhere Funktionäre eine Chance auf den 4,97 Meter langen Tschechen. Das eint den Tatra 603 mit allen anderen Luxus-Mobilen aus der Sowjetunion und den „Ostblock-Staaten“ (Warschauer Pakt). Technisch unterscheidet sich der Tatra grundlegend von den unter Partei-Granden gebräuchlicheren Stretch-Versionen von (russischen) GAZ-Modellen, optisch sowieso. Welche Nobel-Limo kommt schon mit V8-Heckmotor und der Frontgestaltung eines Autoscooters?
Die Tropfen-Form und der mittig angeordnete Hauptscheinwerfer hinter Glas diente der Aerodynamik. Den 2,5-Liter-Achtzylinder soll die entsprechende Kraft für diesen feineren Wagen liefern. Den Saugmotor mit 105 PS und 166 Newtonmeter setzt Tatra zuvor im einzigen Formel-Rennwagen der Marke ein. Längsdynamik zählt beim Tatra 603, denn die Idee zu diesem Auto entsteht aus Unzufriedenheit. Prags Parteifunktionären sind die russischen Limos einfach zu langsam.
Eigentlich baut Tatra in den 50er-Jahren keine Autos mehr. Auf dem Werksgelände in Koprivnice (nahe Ostrava) sollten nur noch Militär-Lkw entstehen. Doch für den 603 wirft Tatra 1956 die Pkw-Produktion wieder an. Ab 1969 baut Tatra die Front der 603 mit vier Einzelscheinwerfern. Laut zeitgenössischen Fahrzeugtests verliert der luftgekühlte Hecktriebler (mit Pendelachse) irgendwann seine ausgeprägte Neigung zum Übersteuern.
Tatra produziert den 603 bis 1975. Auf dem tschechischen Heimatmarkt finden gebrauchte Modelle irgendwann an Taxistände und in den Feuerwehr-Dienst. In der DDR bleibt der Tatra 603 bis zuletzt selten und ein Fahrzeug der Eliten.
In den Jahren nach der Wende erkennen Oldtimerfans die Besonderheit dieser V8-Limousine: Gebrauchte Exemplare sind rar und kostspielig – auf mobile.de werden 30 Jahre nach der Wiedervereinigung zwei Tatra 603 angeboten. Die späte Version mit zwei Doppelscheinwerfern an der Front kostet 34.000 Euro, für die Ur-Version eines 603 veranschlagt ein Verkäufer 145.000 Euro. Alternativen desselben Herstellers gibt es. Denn auf den 603 folgen weitere Achtzylinder-Limos des tschechischen Herstellers (613, 623, 700). Knapp 10 Jahre nach dem Mauerfall baut der Lkw-Hersteller seinen bislang letzten Serien-Pkw.
Dacia 1300 und Dacia 1310: Das West-Auto aus dem Osten
Eine viertürige Stufenheck-Limousine auf Renault-Technik zu vertretbaren Preisen: Der Dacia 1300 könnte die Blaupause für den Logan sein, mit dem die Marke 2005 auf dem deutschen Markt neu startete. Doch 1973 liegen die Dinge anders. Einerseits ist der Basispreis von 23.450 Ostmark, die der Dacia 1300 in der DDR kostet, nur in Relation zu anderen Import-Limos konkurrenzfähig. Die Polski-Fiat im Nahbereich des 4,34 Meter langen Dacia sind ähnlich eingepreist, Skodas Optionen geringfügig günstiger. Vom heutigen Status als „günstigstes Auto Deutschlands“ ist Dacia weit entfernt. Zur Einordnung: Der Trabi-Kampfpreis beträgt rund 10.000 Ostmark.
Außerdem macht Renaults Technik den Dacia zu einem der fortschrittlichsten Autos auf ostdeutschen Straßen. Fronttriebler mit Viertaktmotor sind damals rar. Konkret handelt es sich um einen Lizenz-Nachbau des Renault 12 und dessen 1,3 Liter großem Basis-Vierzylinder mit 54 PS. Zeitzeugen bezeichnen die Zuverlässigkeit des Dacia als mäßig und die Verarbeitung als mangelhaft. Dennoch handelt es sich um eines der beliebtesten Import-Modelle in der DDR. Ein entscheidender Grund: Wegen der Renault-Verwandtschaft gilt der 1300 vielen als „West-Auto“ – selbst wenn die Fertigungsstätte im rumänischen Pitești liegt.
Als 1978 die Lizenz ausläuft, baut Dacia weiter. Das Modell heißt fortan offiziell 1310, hat mehr Plastik am Kühlergrill und neue Karosserievarianten. Unter anderem gibt es einen Kombi und einen Pick-up. Auf mobile.de sind Exemplare mit Stufenheck in der Überzahl (6 Inserate, Stand Oktober 2020). Sie starten bei 3.000 Euro.
Nach der Wiedervereinigung nimmt die Popularität des Import-Rumänen schlagartig ab. Ostdeutsche favorisieren Gebrauchtwagen aus dem Westen. Doch auf dem Heimatmarkt wird dieser Dacia noch bis 2004 gefertigt. Also praktisch bis zur vollständigen Renault-Übernahme von Dacia.
Golf 1 für die DDR: 10.000 Autos für ein Planetarium und Blechpressen
Autos westeuropäischer Hersteller sind in der DDR rar, doch es gibt sie: Über den Genex-Katalog können Westdeutsche ihren ostdeutschen Familienmitgliedern oder Freunden Geschenke machen. Zwischen 1956 und 1990 enthält der Prospekt Modelle von Lancia, Fiat, Ford und VW. Doch nur der VW Golf 1 schafft es in nennenswerter Stückzahl in die DDR und in den (einigermaßen) freien Verkauf. 10.000 Exemplare liefert Volkswagen im Jahr 1978. Mit bis zu 31.500 Ostmark kostet der Kompakte dreimal so viel wie ein Trabant. Außerdem steht vor dem Kaufpreis eine weitere Hürde: Das Angebot unterbreitet die DDR-Führung nur ausgewählten Personen.
Vielen Ausgewählten ist der Golf zu teuer. Erst nach einer signifikanten Preisreduktion um 10.000 Ostmark verkauft sich der VW. Das mag ein Grund sein, warum die DDR-Granden den losen Plan zur Lizenz-Fertigung nicht weiterverfolgen. Volkswagen erhält nur eingeschränkten Zugang zum DDR-Markt. Es bleibt beim ursprünglichen Deal: Im Gegenzug für die fünfstellige Zahl an Golf-Exemplaren wandern Blechpressen, Werkzeug und Komponenten eines Planetariums in den Westen.
Für ihr Geld erhalten DDR-Bürger eine einfachere Variante des Kompakt-Klassikers: Scheiben und manche Bleche fertigt VW laut Zeitzeugen dünner als beim Original. Als Antrieb dienen je ein Benziner oder Diesel mit 50 PS. Auf mobile.de finden sich echte DDR-Golf aus jener Serie (6 Angebote, Stand: Oktober 2020). Preise zwischen 2.900 und knapp 20.000 Euro zeigen bereits: Der Light-Golf ist Kult – und in einzelnen Fällen noch erschwinglich.
Melkus RS 1000: Der schönste Wartburg, seit es Lotus gibt
Die Entstehungslegende zum spektakulärsten Auto der DDR: Ostdeutschlands Star-Rennfahrer Heinz Melkus (1928-2005) sieht 1963 beim Flugplatzrennen in Wien Aspern den Lotus Elan – die leichte Flunder aus Colin Chapmans Konstruktionsbüro. Er denkt sich: Das kann ich auch bauen. Doch zwischen Können und Dürfen steht im Heimatland die Erlaubnis der politischen Führung. Exklusive Sportwagen sind nur bedingt mit dem damaligen Verständnis von Sozialismus vereinbar. Der Heldenstatus des angehenden Konstrukteurs hilft, der Aufhänger noch mehr: Offiziell entsteht der Melkus RS 1000 ab 1969 zu Ehren des 20. Jahrestages der DDR-Gründung.
Optisch misst sich der 850 Kilogramm leichte Sportwagen mit Lotus und Lambo, doch unter der Karosse steckt ein Wartburg 353. Ein Dreizylinder-Zweitaktmotor befindet sich vor der Hinterachse. Das 1,0-Liter-Aggregat liefert in der Straßenversion 70 PS, in der Motorsport-Variante bis zu 90 PS. Zur Einordnung: Der V8-Motor zwischen den Achsen eines Ford GT40 leistet damals knappe 380 PS. Internationale Gesamtsiege und globale Beachtung bleiben aus. Doch in seiner Hubraumklasse ist der Melkus eine Waffe, in seiner Heimat ein Traumwagen.
Mit (ab) 30.000 Ostmark kostet der Flügeltürer mit Gitterrohrrahmen gar nicht so viel mehr als eine Import-Limo. Doch der Sportwagen geht zunächst lediglich an ausgewählte Rennfahrer. Später finden einige Exemplare in die Garagen hoher Parteifunktionäre. 101 Exemplare sollen zwischen 1969 und 1979 entstanden sein, zwei exakt baugleiche Modelle aus der Original-Serie wird man schwerlich finden: In der Dresdner Fertigungsstätte muss häufig improvisiert werden. Feste Teilekontingente aus dem Eisenacher Werk gibt es nur in der Frühphase. Außerdem experimentieren die Ingenieure mit den zur Verfügung stehenden Baugruppen: Optional verzögern vorne die Bremsen des Polski Fiat 126 P statt der Wartburg-Stopper. Zwischenzeitlich verbaut Melkus Motoren von BMW, Moskwitsch und WAS.
Im Jahr 2006 beginnt das zweite Leben des Melkus RS 1000: Gründer-Filius Peter Melkus fertigt Nachbauten nach Originalplänen. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt sind Originale wie Replikas selten. Zumindest ein toll erhaltenes Exemplar wird auf mobile.de feilgeboten (Stand: Oktober 2020): Nummer 43 aus der ersten Serie soll für 145.000 Euro weggehen.
Knappe drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall verschmilzt die einzige Sportwagen-Marke der DDR mit ihrem technischen Vorbild: Heinz Melkus´ Enkel Sepp bietet mit dem Melkus RS 2000 eine moderne Kleinserien-Adaption auf Basis einer Lotus Elise 111R. Den gedanklichen Initialzünder Lotus Elan gibt es in jenem Frühling 2010 längst nicht mehr.
Citroën CX Stretch-Limo: Honeckers gescheiterter Gruß nach Frankreich
Dieser gestreckte Citroën CX gilt als letzter Dienstwagen des vorletzten DDR-Staatchefs: SED-Generalsekretär Erich Honecker bestellte Mitte der Achtziger zwei Stretch-Versionen des Citroën beim schwedischen Karosseriebauer Nilsson. Doch die 5,5 Meter langen Limousinen (plus 40 Zentimeter gegenüber dem Original) hängen lange im Zoll fest. Erst Mitte 1989 treffen sie in Ostdeutschland ein.
Das passt: In jenem Jahr feiert die DDR ihr 40-jähriges Bestehen, doch in der Bevölkerung rumort es bereits. Außenpolitisch steht die DDR isoliert da, immerhin Frankreichs Präsident Francois Mitterrand will im Herbst persönlich gratulieren. Zu einem würdigen Empfang passen die noblen Citroën mit weichen Velour-Sitzen, toller Beinfreiheit und einem der besten in der DDR erhältlichen Kassettenradios (von RFT Greifenstein).
Unter den langen Motorhauben arbeitet ein 2,5-Liter-Vierzylinder, der seine 136 PS über eine Wandlerautomatik an die Vorderachse schickt. Mit der herkömmlichen Variante des CX kommt der Motor laut Markenfans toll zurecht, mit der gewichtigen Staatskarosse eher nicht. Geschenkt, so schnell rollen Honecker und Mitterrand planmäßig ja nicht über Ostberlins Straßen.
Tatsächlich bekommt Frankreichs Präsident die schwedische Spezialanfertigung (für 120.000 Kronen) nie zu sehen. Rund um den anvisierten Besuchstermin im Herbst 1989 geschieht in Berlin Bedeutsameres: Am 9. November 1989 fällt die Mauer, am 3. Oktober 1990 folgt die Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik. Viele Kilometer spulen die Citroën-CX-Langversionen in der Zwischenzeit nicht ab: 17.800 Kilometer zeigt der Kilometerzähler, als einer der CX Ende 2015 vom französischen Auktionshaus Artcurial versteigert wird. 92.800 Euro bringt Honeckers gescheiterter Gruß an Mitterand ein. Die auf mobile.de angebotenen Citroën CX sind günstiger: 65 Exemplare der zwischen 1974 und 1991 gebauten Limo aus der oberen Mittelklasse gibt es, fahrbereite Exemplare erhält man bereits für weniger als 4.000 Euro.
Sein spezielles Design und seine Aerodynamik sind Alleinstellungsmerkmale des Citroën CX.
DDR Autos (Galerie)
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