Bei der Aerodynamik tun sich SUVs schwer
Gut die Hälfte des Spritverbrauchs geht auf Kosten der Aerodynamik. Die lässt sich im Windkanal optimieren. Doch das ist bei modernen SUV nicht einfach.
Klare Kanten und eckige Karosserieformen bestimmen das Automobildesign der 1980er-Jahre. Viele Modelle laufen wie Kisten auf Rädern vom Band. Dabei betreiben die Hersteller schon damals einen erheblichen Aufwand, um die Aerodynamik der Fahrzeuge zu verbessern. Im Zuge von Ölkrisen und schärferen Umweltauflagen sind die Zeiten günstigen Sprits nämlich vorbei, auch die Verbrauchswerte eines Kraftfahrzeugs werden plötzlich zum Verkaufsargument.
Audi 100 und Opel Calibra als Vorbilder
Klassenbestes Modell ist der neue Audi 100 (C3), der 1982 erscheint. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,30 cw avanciert das Modell zur strömungsgünstigsten Serienlimousine seiner Zeit. Dafür sorgen etwa bündig eingefasste Fenster, eine stark geneigte Front- und Heckscheibe sowie aerodynamisch optimierte Spoiler und Außenspiegel. Noch besser gelingt es Opel 1989 mit dem Manta-Nachfolger Calibra. Mit einem Rekord-Wert von 0,26 cw darf sich das schnittige Sportcoupé stolz „Aerodynamik-Weltmeister“ nennen.
Für den Automobilbau sind es fortschrittliche Jahre, denn hohe Windschlüpfrigkeit eines Fahrzeugs wirkt sich nicht nur positiv auf die erreichbare Endgeschwindigkeit aus. Für den Spritverbrauch, vor allem bei hohen Geschwindigkeiten, ist der Strömungswiderstand ebenfalls maßgeblich. „Ab einer Geschwindigkeit von 60 km/h ist die Aerodynamik der entscheidende Faktor, weil dann der Luftwiderstand den Rollwiderstand übersteigt“, erklärt Thomas Indinger vom Lehrstuhl für Aerodynamik und Strömungsmechanik an der Technischen Universität München.
Neues Windkanal-Effizienz-Zentrum von Volkswagen
30 Jahre nach dem Marktstart des Calibra versuchen die Hersteller daher immer noch, die Aerodynamik ihrer Modelle weiter zu verbessern. So weiht Volkswagen Ende 2017 für rund 100 Millionen Euro ein neues „Windkanal-Effizienz-Zentrum“ ein. Autos können dort bei Windgeschwindigkeiten bis 250 km/h getestet und anschließend so optimiert werden, dass Luftwiderstände und damit Kraftstoffverbräuche und Emissionen sinken.
Das Problem: Die Aerodynamik eines Fahrzeugs hängt nicht allein vom cw-Wert ab. Ein zweiter wichtiger Faktor ist die sogenannte Stirnfläche (A). Diese jedoch hat sich bei vielen Automodellen in den vergangenen Jahren deutlich zum Schlechteren hin entwickelt. Schuld ist vor allem der Trend zum SUV. Fahrzeuge mit hoher Sitzposition mögen komfortabel sein, doch die oft wuchtigen Vehikel mit der Front einer Bretterwand besitzen einen entscheidenden Nachteil: Wegen ihrer Höhe ist die Stirnfläche deutlich größer als bei der klassischen Limousine oder beim Kombi.
Viele Neuwagen sind zu klobig
Das führt dazu, dass viele Neuwagen bei der Aerodynamik heute schlechter abschneiden als so manches Fahrzeug aus vergangenen Jahrzehnten. Um den aerodynamischen Widerstand eines Autos zu berechnen, wird der cw-Wert mit der projizierten Stirnfläche (A) des Wagens multipliziert. Erst dies ergibt den effektiven Luftwiderstandswert, der wiederum darüber entscheidet, wie effizient sich das jeweilige Fahrzeug bewegen lässt.
Die gängigen VW-Modelle aus der aktuellen Produktion zeigen, wie sich die Karosserieform auf die Aerodynamik eines Fahrzeugs auswirken kann. So kommen der VW Golf 7 und der höher ausgelegte Golf Sportsvan jeweils auf den cw-Wert von 0,3. Nicht viel schlechter fällt der Wert bei Tiguan und Touareg aus: Sie schaffen einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,32.
Bei der Stirnfläche zeigen sich hingegen die Unterschiede zwischen Kompaktwagen, Kompakt-Van und SUV. Hier reichen die Werte von 2,22 m² beim Golf über 2,41 m² beim Golf Sportsvan bis zu 2,84 m² beim Touareg. Cw- und Stirnflächenwerte multipliziert ergeben schließlich die Widerstandsfläche (FW = cw * A) der Modelle: Während der Golf hier auf einen Wert von 0,66 kommt, sind es beim Sportsvan schon 0,72. Noch strömungsungünstiger ist mit knapp 0,82 der Tiguan, den schlechtesten Wert erzielt der Touareg mit 0,90.
Das hat Folgen für den Spritverbrauch und die CO2-Emmissionen. So liegt der kombinierte Kraftstoffverbrauch eines Golf 1.0 TSI (63 kW) bei etwa 4,9 Litern. Der Sportsvan kommt mit dem gleichen Motor auf 5,0 Liter. Der Tiguan – technisch ebenfalls auf Golf-Basis – ist als Benziner kaum unter 6 Litern zu bewegen. Noch mehr verbraucht das Oberklasse-SUV Touareg, wenngleich hier Faktoren wie Fahrzeuggewicht und Motorgröße den Verbrauch ebenfalls beeinflussen.
Limousinen und Kombis sind windschlüpfrig, SUVs nicht
Opel bemüht sich bei seinen Modellen ebenfalls um eine möglichst gute Aerodynamik. So kommt der Astra als fünftürige Limousine mit 0,28 cw auf einen kaum schlechteren Luftwiderstandsbeiwert als vor 30 Jahren der Calibra. Bei den Werten für Stirnfläche und Widerstandsfläche verändert sich das Bild jedoch. Liegt die Widerstandsfläche des Astra bei 0,64, sind es beim höher gelegten SUV Grandland X 0,79 und beim 2019 eingestellten Mokka X sogar 0,94. Dass es auch anders geht, zeigt der besonders strömungsgünstige Insignia B mit einem Wert von 0,6.
Der Insignia jedoch ist eine Limousine. Die höchsten Zuwachsraten bei den Neuzulassungen liegen seit Jahren im SUV-Segment, und zwar herstellerübergreifend. So machen die drei SUVs Crossland X, Mokka X und Grandland X bei Opel inzwischen 32 Prozent des europäischen Fahrzeugvolumens aus. „SUVs haben aufgrund ihrer höheren Bauweise konstruktionsbedingt eine größere Stirnfläche als etwa ein Kompaktwagen“, erklärt ein Opel-Sprecher. Die Verbräuche würden durch viele Faktoren beeinflusst, wie etwa Fahrzeuggewicht, Rollwiderstand, Motor, Getriebe – aber auch die Aerodynamik. Alle Faktoren würden von Opel kontinuierlich optimiert.
Design und Komfort sind den Kunden wichtiger
Ob das gelingen kann, darüber entscheidet letztlich das vorgegebene Design. Die Aerodynamiker können im Windkanal nur noch optimieren. Mit anderen Worten: „Wenn Sie ein SUV mit relativ großer Stirnfläche haben, können Sie vielleicht ein wenig an den cw-Werten herumexperimentieren. Aber den Luftwiderstand werden Sie damit nicht austricksen“, sagt Forscher Thomas Indinger. Aus aerodynamischer Sicht hält der Hochschullehrer daher den Markttrend nach immer größeren, komfortableren SUVs für problematisch. Durch die Zunahme der Stirnfläche nähmen die auf die Fahrzeuge wirkenden Widerstandskräfte zu, was durch eine Verbesserung der Aerodynamik nur bedingt ausgeglichen werden könne. „Dadurch steigen Spritverbrauch und CO2-Ausstoß an.“
Doch Design, Komfort und eine hohe Sitzposition scheinen vielen Autokäufern heute wichtiger zu sein als ein möglichst geringer Verbrauch und eine windschnittige Karosserieform. Das untergräbt am Ende die technischen Fortschritte auf dem Weg zum weniger klimaschädlichen Auto.