Automatisiertes Fahren nach Level 3 ab 2021
Das autonome Fahren rückt näher. Ab 2021 könnten Autofahrer auf der Autobahn lesen oder Filme schauen. Was dann geht und was nicht, liest Du hier.
Die Begeisterung über die Zukunft des Autofahrens ist zuletzt etwas abgeklungen. Es ist noch nicht lange her, da hieß es bei den Autoherstellern: Ab 2020, vielleicht auch ab 2021, fahren wir autonom. Nicht alle, aber viele. Auf Wunsch und bei Bedarf. Robotertaxis würden Fahrgäste von A nach B bringen. Damit rechnet inzwischen niemand mehr. Optimistische Schätzungen erwarten frühestens ab 2025 Autonomie – und zwar in erster Linie im Nutzfahrzeugbereich.
Ein Stück näher rückt das autonome Fahren dennoch schon jetzt. Das „Weltforum für die Harmonisierung von Fahrzeugvorschriften“ hat einen Regulierungsvorschlag beschlossen, der am 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (UN) erarbeitet darin ganz konkrete Rahmenbedingungen für das autonome Fahren nach Level 3. Level 3 gilt als wichtiger Schritt hin zum komplett autonomen Fahren nach Level 5 (siehe unten).
Was bedeutet autonomes Fahren nach Level 3?
Autonomes Fahren nach Level 3 heißt eigentlich hochautomatisiertes Fahren. Das Auto lenkt selbst, bremst, hält an, fährt wieder los, hält die Spur und die Geschwindigkeit – ganz ohne Zutun des Fahrers. Der darf sich sogar für längere Zeit vom Verkehrsgeschehen abwenden. Wichtigster Faktor: Während das hochautomatisierte System aktiv ist, trägt der Fahrer nicht die Verantwortung, falls ein Unfall passiert. Er muss allerdings jederzeit bereit sein, die Kontrolle wieder zu übernehmen, wenn das Fahrzeug ihn dazu auffordert. Er muss also fahrtüchtig sein, aufmerksam und im Besitz eines Führerscheins.
Die UN hat nun beschlossen, unter welchen Voraussetzungen Hersteller ein solches System zulassen können. Sie nennt es vergleichsweise simpel “Aktiver Spurhalte-Assistent". Auf 63 Seiten ist geregelt, wann und wie er funktionieren muss, wie die Hersteller seinen Einsatz dokumentieren müssen und wie er überprüft werden kann. Demnach muss das System unter folgenden Bedingungen sicher arbeiten:
- Auf Straßen mit physisch getrennten Fahrspuren ohne Kreuzungen
- Auf Straßen, auf denen Fußgänger und Fahrradfahrer nicht erlaubt sind .
- Bis zu einer Geschwindigkeit von maximal 60 km/h
Dazu definiert die Richtlinie detailliert, was der Assistent können muss:
- Anpassung der Geschwindigkeit an Verkehrssituation, Wetter, Streckenverlauf
- Das Auto muss stabil in der Fahrspur gehalten werden.
- Der Assistent muss Beleuchtung, Scheibenwischer und Lüftung kontrollieren.
- Er muss erkennen, wenn eine Situation eintritt, die er nicht beherrscht, und den Fahrer dann zur Übernahme auffordern.
- Wenn die Übernahme nicht binnen 10 Sekunden erfolgt, muss er ein Notfallmanöver einleiten.
Im Ergebnis beschreibt der Regulierungsvorschlag einen Stauassistenten, wie er in vielen Fahrzeugen bereits zum Einsatz kommt. De facto können viele Systeme bereits mehr. Allerdings immer unter der Voraussetzung, dass mindestens eine Hand am Lenkrad bleibt – und die Verantwortung beim Fahrer.
Damit die Verantwortung auf die Maschine übergehen kann, müssen weitere Anforderungen erfüllt sein. Das System muss erkennen, ob ein übernahmefähiger Fahrer im Auto sitzt. Kann das System das nicht mit Sicherheit feststellen, müssen eskalierende Warnhinweise ausgegeben werden. Bleibt eine Reaktion darauf aus, muss der Assistent den Fahrer nach spätestens 15 Sekunden zur Übernahme auffordern.
Die Frage, wann der Fahrer konkret als verfügbar und übernahmefähig gilt, klärt der Regulierungsvorschlag nicht im Detail. Lediglich, dass mindestens zwei unabhängige Kriterien erfüllt sein müssen. Das könnten beispielsweise die Benutzung von Bedienelementen sein, die nur dem Fahrer zur Verfügung stehen, bewusste Kopfbewegungen, Blinzeln oder Körperbewegungen.
Hier lässt die Richtlinie den Herstellern also eine gewisse Freiheit. Klar ist: Der Fahrer wird in bestimmten Situationen die Hände in den Schoß legen und sich um andere Dinge kümmern dürfen als um den Verkehr. Immer unter der Prämisse, dass seine Aufmerksamkeit dadurch nicht zu stark abgelenkt wird. Auch das regelt das Papier.
Der Fahrer wird sich immer noch weitgehend der Straße vor dem Auto zuwenden müssen. Ein Nickerchen fällt also aus. E-Mails checken, lesen, eine WhatsApp-Nachricht schreiben oder einen Film schauen dürfte hingegen zulässig sein, sofern sich das alles auf dem fest installierten Infotainmentsystem des Autos abspielt. Die meisten Autos bieten entsprechende Funktionen an. Bislang sind sie jedoch nur im Stand nutzbar.
Volkswagen verpasst dem Passat die Coupé-Silhouette. Das "CC" im Namen steht für "Comfort Coupé".
Teilautomatisiertes Fahren in der Praxis: So nah sind wir der Autonomie
Die Technik für Assistenzsysteme der Stufe gibt es bereits. In vielen Autos stecken die nötigen Sensoren. Audi hatte bereits bei der Vorstellung des A8 im Herbst 2017 automatisiertes Fahren nach Level 3 versprochen. Später entschied man sich, die Funktionen doch nicht mehr im aktuellen A8 zu bringen. BMW will Level 3 2021 mit dem elektrischen BMW iNext bringen.
Mercedes kündigt Level-3-Autonomie für die kommende S-Klasse an, die Anfang September 2020 vorgestellt wird. 2020 wird sie jedoch nicht mehr teilautomatisiert über die Autobahn rollen. Wie gesagt: Ab 1. Januar 2021 gilt der UN-Regulierungsvorschlag. Wie zügig Mercedes Level 3 tatsächlich auf die Straße bringt, verrät der Hersteller nicht.
Der Status quo fühlt sich oft noch unfertig an. Viele Autos halten selbstständig die Spur und den Abstand zum Vordermann. Im Stau bremsen sie bis zum Stillstand ab und fahren alleine wieder an. Manche Autos verzögern vor Kurven oder Kreisverkehren auf die passende Geschwindigkeit und orientieren sich am Tempolimit. BMW, Mercedes und Tesla können per Blinkertip die Spur wechseln.
Doch die Unsicherheit ist groß. Mercedes etwa hat den automatischen Spurwechsel mit dem Facelift der E-Klasse wieder herausprogrammiert. Man hat das System als rechtliche Grauzone eingestuft. Mit dem UN-Regulierungsvorschlag wird deutlich, warum: Ein automatischer Spurwechsel ist beim aktiven Spurhalteassistenten nach Level 3 nicht vorgesehen.
Aktuelle Systeme funktionieren gut – bis es kompliziert wird. Verkehrsinseln können zum Hindernis werden, manche Geschwindigkeitsbegrenzungen werden nicht erkannt. Unklare Markierungen, etwa in Baustellen, werfen die Systeme im wahrsten Sinne des Wortes aus der Bahn. Dass Geschwindigkeitsbegrenzungen teilweise übersehen werden, ist bei maximal Tempo 60 nur noch ein untergeordnetes Problem. Wobei das UN-Papier bereits klarstellt, dass es sich bei der Festlegung um einen „ersten Schritt“ handelt.
• Motor: 4,0-Liter-Biturbo-V8
• Leistung: 435 PS
• 0-100 km/h: 4,8 s | Vmax: 250 km/h
Autonomes Fahren in Zukunft: Vom Staupiloten zum Autobahnpiloten
Das sogenannte Pegasus-Projekt, das seit 2015 Standards fürs autonome Fahren nach Level 3 erarbeitet hat, plante bei der Vorstellung der Ergebnisse Mitte Mai 2019 schon bis 130 km/h. Entsprechend zugelassene Systeme würden den Fahrer innerhalb dieser Grenzen aus der Verantwortung nehmen. Also: nicht nur im Stau.
Auch dann müsste der Autobahn-Chauffeur den Fahrer rechtzeitig warnen, wenn er nicht mehr zuverlässig arbeiten kann. Doch die UN spricht in ihrer Richtlinie davon, dass die nach vorn gerichteten Sensoren nur 46 Meter weit „gucken“ müssen. Bei Tempo 60 mag das reichen, um schnell genug reagieren zu können, bei Tempo 130 nicht mehr.
Mehr als 130 km/h wird es vermutlich ohnehin nicht autonom geben. Wozu auch? Außer in Deutschland darf man praktisch nirgendwo schneller fahren.
Vor der Zulassung kommen für die Hersteller noch Tests. Auch dafür legt die UN sehr spezifische Szenarien fest. Das endet natürlich nicht mit Abnahme und Zulassung. Sämtliche Vorkommnisse müssen während der teilautomatisierten Fahrt aufgezeichnet und gespeichert werden. Nur so lässt sich überprüfen, ob das System versagt hat oder der Mensch. Das wichtigste Ziel beim autonomen Fahren nach Level 3 bleibt schließlich: Es muss mindestens genauso sicher sein, als hätte ein Mensch die Kontrolle.
Autonomes Fahren: Wie sich die 5 Stufen unterscheiden
- Level 1 – Assistiertes Fahren: Bereits heute stecken in fast allen Fahrzeugen Assistenzsysteme nach Stufe 1. Abstandstempomat, Spurhalte-Assistent, Notbremsassistent, Auffahrwarner – all das gehört zum automatisierten Fahren nach Level 1. Der Fahrer wird unterstützt, die Helfer sorgen für mehr Sicherheit und Komfort.
- Level 2 – Teilautomatisiertes Fahren: Autos fahren üblicherweise mindestens ab der Kompaktklasse bereits teilautomatisiert nach Level 2. Das Auto hält nicht nur selbstständig Geschwindigkeit und Abstand zum Vordermann. Der Fahrer wird auch beim Lenken unterstützt. Dessen Aufmerksamkeit muss jedoch hundertprozentig auf die Straße gerichtet sein. Er darf die Hand maximal kurz vom Lenkrad nehmen und bleibt stets voll in der Verantwortung.
- Level 3 – Hochautomatisiertes Fahren: Auf Level 3 kann das Auto im Prinzip alles, was es auch auf Level 2 schon kann. Sprich: lenken, bremsen, anfahren sowie die Spur und die Geschwindigkeit halten. Entscheidender Unterschied: In bestimmten Situationen muss der Fahrer das Auto nicht mehr überwachen. Er darf sich für längere Zeit vom Verkehrsgeschehen abwenden. Er muss allerdings jederzeit bereit sein, wieder die Kontrolle zu übernehmen.
- Level 4 – Vollautomatisiertes Fahren: Auf Level 4 fährt das Auto im Grunde schon komplett selbst. Und zwar im Prinzip in jeder denkbaren Verkehrssituation. Der Fahrer kann sogar während der Fahrt schlafen – muss aber an Bord und in der Lage sein, das Fahrzeug nach Aufforderung zu übernehmen.
- Level 5 – Autonomes Fahren: Jetzt fährt das Auto in jeder Situation völlig unabhängig von menschlicher Kontrolle. Es kann im Prinzip, was es bei Level 4 auch kann, aber besser. Deshalb braucht es keinen fahrtüchtigen Insassen mit Führerschein mehr. Auch Lenkrad und Pedalerie werden nicht mehr benötigt.
Im Juli 2017 startet die Produktion des Model 3. Seit Anfang 2019 stromert der Kalifornier auch auf europäischen Straßen.