Deutschlands größter Fahrzeugmarkt
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Unter Auflagen dürfen Fabriken wieder produzieren und Händler wieder öffnen. Nur: Kommen die Kunden?

Wie wird sich der deutsche Automarkt während und nach der Corona-Krise entwickeln? Wie definiert man deren Ende überhaupt? Traditionell besitzt das Frühjahr, also die Monate März, April und Mai, im Autogeschäft eine besondere Bedeutung. Großkunden stocken ihre Fuhrparks auf, Privatkunden investieren ihre Jahresprämien, Händler bereiten die Bestände auf verstärkte Nachfrage vor.

In diesem Jahr ist alles anders. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wurden im März 215.119 Pkw neu zugelassen. Das sind 37,7 Prozent weniger als im März 2019. Aufs erste Quartal 2020 bezogen beträgt der Rückgang mehr als ein Fünftel. Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) stellt für den Gebrauchtwagenmarkt Ähnliches fest: Demnach brach er im März um 25 Prozent ein. Im April 2020 wurden 120.840 Pkw neu zugelassen. Das ist gegenüber dem Vorjahresmonat ein Rückgang um 61 Prozent.

Walter Schneider GmbH und Co. KG
Walter Schneider GmbH und Co. KG
Der VW Golf VIII

Die Speerspitze der Zulassungsstatistik: Der Bestseller aus Wolfsburg geht in die achte Generation.

Einen guten Monat stand der Handel weitgehend still und verlagerte sich mehr schlecht als recht in virtuelle Räume. Autohäuser sind nun wieder geöffnet, die Zulassungsstellen normalisieren ihre Kapazitäten wieder – sind weiterhin zum großen Teil aber unterbesetzt. Wie der Lockdown nachwirkt und wie sich die Nachfrage entwickelt, ist bisher kaum abzusehen. 

Gebrauchtwagenmarkt: Deutlicher Lockdown-Effekt, volle Höfe 

Wie viele andere Branchen wurde der Automobilhandel von der Krise kalt erwischt. Rund 70 Prozent der Autohäuser und Kfz-Betriebe haben darauf nach Angaben des ZDK bereits im März mit Kurzarbeit reagiert. Nun dürfen die Autohäuser wieder öffnen. Der größte Automobilmarkt in Deutschland ist der Gebrauchtwagenmarkt, der für viele Autohändler einen wichtigen Teil zur Wertschöpfung beiträgt. Für den März 2020 meldet die Deutsche Automobil Treuhand (DAT) hier einen dramatischen Rückgang: Gut 462.000 Gebrauchtwagen wechselten noch den Besitzer. Das sind 18 Prozent weniger als im Februar 2020 und mehr als 25 Prozent weniger als im März 2019. Im April sieht es noch drastischer aus: 434.684 beim KBA registrierte Halterwechsel bedeuten ein Minus von 42 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.  

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VW-Händler in Wolfsburg: Die meisten Autohäuser haben die Höfe gut gefüllt - in Erwartung des Frühjahrsgeschäftes

Da die Händler in Erwartung des Frühjahrsgeschäfts die Höfe gefüllt hatten, entstehen ihnen durch den Lockdown hohe Kosten. Laut DAT liegen sie pro Standtag je Gebrauchtwagen im Schnitt bei 28 Euro. Ein Händler, der 300 Fahrzeuge im Bestand hat, habe also während des Lockdowns rund 250.000 Euro Kosten nur aus dem Fahrzeugbestand, rechnet die DAT vor. Hinzu kommen die üblichen laufenden Kosten. 

Die DAT wagt noch keine Prognose, wie sich der Markt für Gebrauchtwagen künftig entwickelt – gibt aber ein paar Ideen:

  • Klassische Segmente gefragt: Denkbar sei, dass Kunden angesichts sinkender Kaufkraft eher zu Klein- und Kompaktwagen greifen statt zu teuren SUVs. Die klassischen Segmente seien im Gebrauchtmarkt überdurchschnittlich vertreten und könnten sich schneller abverkaufen.
  • Gebrauchte werden älter: Denkbar sei zudem, dass günstigere, ältere Gebrauchtwagen anstelle teurerer Leasingrückläufer und Tageszulassungen nachgefragt würden.
  • Überangebot an jungen Gebrauchten: In der Corona-Krise dünnen viele Mietwagen-Unternehmen ihre Flotten aus. Diese Autos fallen zumeist in die Kategorie jüngerer Gebrauchtfahrzeuge. Hier könnte es zu einem Überangebot kommen.
  • Problem bei Exportfahrzeugen: Viele Fahrzeuge, für die in Deutschland kein ausreichender Markt besteht, werden bislang ins Ausland verkauft. Die Corona-Krise beeinträchtigt den Grenzverkehr und die Wirtschaft der Nachbarländer. Wie sich die Nachfrage nach Exportfahrzeugen entwickele, sei daher schwer abzusehen. 

Auch die Preisentwicklung lässt sich derzeit kaum prognostizieren. Nach Ansicht des Datendienstleisters Schwacke haben viele Händler ihre Angebotspreise während des Lockdowns nicht verändert, da es dafür keine Veranlassung gab.  

Das Problem: Die Höfe der Händler stehen nach den Schließungen der Verkaufsräume voll mit vorfinanzierten Fahrzeugen – keine guten Bedingungen für gute Preise. Der ZDK fordert daher eine Kaufprämie für Autos. Wichtig sei, dass diese Prämie junge Gebrauchtwagen erfasse. Die Händler müssen ihre Höfe leeren, um Umsatz zu erzielen – und um Platz zu schaffen. Denn die Industrie beginnt vielerorts wieder mit der Produktion.  

Kunden-Umfrage: Jeder Zweite verschiebt Auto-Anschaffung 

Die Frage aller Fragen: Wie verhalten sich die Autokäufer? An einer Prognose versucht sich der monatliche Trendreport April 2020 des Marktforschungsunternehmens „Puls“. Für sein Marktbarometer befragt das Unternehmen kontinuierlich 1.000 Auto-Kaufinteressenten. Die wichtigsten Ergebnisse:  

  • 49 Prozent der Interessenten wollen wegen Corona den Autokauf verschieben.
  • 40 Prozent der Interessenten kürzen ihr Budget für den Autokauf, und zwar im Schnitt um 26 Prozent.
  • 28 Prozent der Interessenten werden ihre zurückgestellte Fahrzeuganschaffung nachholen.

Ein Teil der Befragten zieht negativere Konsequenzen: 19 Prozent der Befragten wollen wegen Corona ein Fahrzeug stilllegen oder verkaufen, 17 Prozent auf absehbare Zeit keine Autos mehr anschaffen. 13 Prozent wollen beim Kauf auf Ausstattung verzichten.  

Neue Vertriebswege: Probefahrt unverzichtbar 

Beeinflusst die Corona-Krise den Autokauf über die Volumina hinaus? Corona beschleunige die Digitalisierung der Customer Journey, so die Marktforscher von „Puls“: 

  • 57 Prozent der Befragten können sich vorstellen, ein Auto online zu kaufen. Bei Kunden bis 30 Jahren sind es fast 70 Prozent.
  • Bei der wichtigsten Käufergruppe ab 50 Jahren sind es 44 Prozent.
  • Voraussetzung ist für die meisten Kunden weiterhin eine Probefahrt.
  • Viele möchten das Auto gern im Autohaus abholen.
  • Jeder Vierte kann sich vorstellen, das Auto liefern zu lassen.

Das heißt laut „Puls“-Umfrage für Autokäufer ganz konkret: 

  • Die Bedeutung von Auto-Plattformen wie mobile.de nimmt in der Corona-Krise zu.
  • Die Bedeutung der Websites von Automobilherstellern und Autohändlern steigt.
  • Verkäufer und Veranstaltungen wie Tage der offenen Tür werden weniger wichtig.
  • Social-Media-Portale wie Facebook, YouTube und Instagram gewinnen an Bedeutung.
VW produktion
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Autobau bei Volkswagen: Die Hersteller fahren die Produktion wieder an

Händler sollten also mindestens über gepflegte Social-Media-Profile verfügen und erreichbar sein. Und auch sonst gezielt auf Kundenwünsche eingehen. Denn die Corona-Krise trübt nicht nur die Kauflaune. Auch die Bearbeitung bestellter Fahrzeuge ist in Schieflage geraten. Laut „Puls“-Umfrage erhielten während des Lockdowns nur 16 Prozent der Kunden in Autohäusern einen verbindlichen Liefertermin. Gerade bei älteren Kunden steigt daher der Wunsch nach einem Angebot zur Überbrückung. Nur ein Drittel der Händler hat jedoch der Umfrage zufolge ein solches Angebot gemacht. Für die Lieferverzögerungen hat die große Mehrzahl der Kunden (85 Prozent) Verständnis. 70 Prozent würden so lange auf ihr neues Auto warten, bis es eben da ist.  

Autobanken: Zunahme der Risiken? 

Etwa die Hälfte der Neuwagen in Deutschland wird über die Banken der Autohersteller finanziert oder geleast. In normalen Zeiten ein gutes Geschäft für alle: Der Händler erzielt zusätzliche Abschlüsse, der Hersteller zusätzliche Umsätze aus dem Bankgeschäft. Der Kunde erhält Fahrzeug und Finanzierung aufeinander abgestimmt aus einer Hand. Zudem ein sicheres Geschäft: Die Kreditausfallrate im Kfz-Bereich liege „im Promillebereich“, zitiert die „Automobilwoche” Stephan Moll, Referatsleiter Markt beim Bankenfachverband.  

Dies könnte sich durch die Krise ändern, analog zur Finanzkrise 2009. VW und BMW rechnen der Zeitung zufolge bereits mit steigenden Risiken. Mehrere Faktoren können das Geschäft mit Automobilfinanzierungen belasten:

  • Kunden können womöglich ihre Raten nicht mehr bedienen.
  • Die Nachfrage nach Neuverträgen sinkt.
  • Leasingfahrzeuge, die in den Markt kommen, können eine negative Wertentwicklung gegenüber der ursprünglichen Annahme aufweisen.
Otto Bitter GmbH & Co. KG
Otto Bitter GmbH & Co. KG
Opel Astra K

2015 gewann der Opel Astra K in der Klasse der Kompaktwagen das Goldene Lenkrad.

Flottenmarkt: 2020 fehlen 380.000 Einheiten 

Der auf den Pkw-Flottenmarkt spezialisierte Datendienstleister Dataforce erwartet im Flottengeschäft für das Jahr 2020 einen Rückgang der Neuzulassungen um 380.000 Einheiten. Ursprünglich prognostizierten die Analysten in diesem Marktsegment rund 880.000 verkaufte Autos, nun kalkulieren sie noch mit 500.000. 

Die wesentlichen Vorhersagen von Dataforce in Kürze: 

  • Weniger Flotten-Neuzulassungen bis in den Oktober erwartet
  • Wegen fehlender Investitionen Auswirkungen bis Anfang 2021 möglich
  • Stabilisierung des Flottenmarkts erst 2021
  • Nachholeffekte für 2022 und 2023 erwartet

Der Rückgang wird sich nicht gleichmäßig verteilen. Im April und Mai könnte das Minus demnach 80 Prozent betragen. Hauptgründe dafür: Schließungen und Betriebsausdünnungen bei Händlern und Zulassungsstellen. Aktuell im Zulauf befindliche Flottenfahrzeuge wurden noch vor dem Lockdown bestellt. Hier kommt es also primär zu einer „Wertschöpfungspause“. 

Das Neugeschäft ist ein anderes Thema. Kurzfristig rechnen die Datendienstleister mit deutlich weniger Neuzulassungen im Flottenbereich. „Wenn kaum Kaufverhandlungen stattfinden, werden entsprechend weniger Autos bestellt und in den folgenden drei bis sechs Monaten ausgeliefert“, so Dataforce. Der Nachholeffekt nach dem Lockdown kann dies nur zum Teil auffangen. Daher rechnet Dataforce mit gedämpften Zulassungszahlen bis in den Oktober hinein. 

Noch länger wirkt sich der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit aus. Viele Flottenkunden könnten nicht zwingend nötige Investitionen aufschieben: „Unter Berücksichtigung der Verzögerung zwischen Bestelleingang und Auslieferung werden die Folgen dieser Unsicherheit bis Anfang 2021 zu spüren sein“, glauben die Dataforce-Experten. Demnach wird sich der Flottenmarkt erst im Laufe des Jahres 2021 vollständig stabilisieren. Dazu tragen neben dem Nachfrage-Rückgang auch prognostizierte geringere Restwerte beim Weiterverkauf gebrauchter Firmenwagen bei. 

Die gute Nachricht ist jedoch: Spätestens im Folgejahr wird es deutliche Nachhol-Effekte im Flottenmarkt geben. Auch bei einer schwächeren Entwicklung der Gesamtkonjunktur rechnet Dataforce daher mit steigenden Zulassungszahlen für die Jahre 2022 und 2023.  

Europa-Automarkt: Minus 21 Prozent 2020 

Die kurzfristigen Prognosen sind düster: Experten des Center of Automotive Management (CAM) rechnen laut einer Presseaussendung von Anfang April für Europa mit einem Minus von 21 Prozent. Demnach schrumpft der Markt auf dann noch 12,5 Millionen Einheiten. Dabei beziehen die Forscher Erfahrungswerte aus China mit ein. Dort waren im Februar die Neuzulassungen um 80 Prozent und in der ersten Märzhälfte um 50 Prozent gesunken. Danach habe es Zeichen einer leichten Belebung gegeben. 

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Auto-Experte Stefan Bratzel prognostiziert: Der europäische Automarkt könnte 2020 um 21 Prozent auf nur noch 12,5 Millionen Einheiten schrumpfen

Für die Automobilbranche in Deutschland und Europa sieht Institutsleiter Stephan Bratzel zwei wichtige Komponenten, um die sich Politik und Verbände kümmern müssen: einerseits die Angebotsseite, wo es zu „dramatischen Liquiditätsengpässen“ komme. Hier gehe es darum, die „systemrelevanten Akteure (…) zu schützen“. Dazu zählen:  

  • Autohersteller
  • Automobilzulieferer
  • Automobilhandelsunternehmen 

Automobilunternehmen haben in großer Zahl Kreditlinien aktiviert und Hilfen für angeschlossene Handelsorganisationen angekündigt. 

Auf der Nachfrageseite gehe es vor allem um die Stimulierung der Automobilnachfrage in der Zeit nach dem Lockdown, so Bratzel. Angesichts der negativen ökonomischen Aussichten sei mit „Kaufzurückhaltung bei teuren Anschaffungen wie Automobilen“ zu rechnen. Daher seien „starke Anreize zur Nachfragestimulation notwendig“, um die automobile Wertschöpfungskette wiederherzustellen.  

Eine Kaufprämie für Autos wird inzwischen konkret in der Politik diskutiert. Sie soll helfen, die Konjunktur wieder zu beleben.

Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität St. Gallen erwartet für den deutschen Neuwagen-Markt einen Nachfragerückgang von 15 Prozent bezogen auf das Gesamtjahr 2020. Nach den Erfahrungen der Finanzkrise 2009 rechnet Dudenhöffer damit, dass die Branche rund 10 Jahre brauchen könnte, um sich davon vollständig zu erholen. Das große Problem dabei sei nicht die Wiederherstellung der Lieferketten, „sondern ganz klar die Nachfrage“, so Dudenhöffer.  

Neue Kaufprämie gefordert – an Klimazielen festhalten 

Wie also kommt der Handel durch die Krise und aus der Krise? Wichtig seien zunächst die umfangreichen finanziellen Hilfen der Politik für die Unternehmen selbst, so das Analyseunternehmen Schwacke. Helfen Kaufprämien? Da sind die Experten skeptisch: Die Entscheidung für ein langlebiges Investitionsgut wie ein Auto fällen Kunden nicht wegen kurzfristiger Anreize, sondern weil sie sich in ihrer Einkommenssituation sicher fühlen. Sichere Jobs sind für die Schwacke-Experten daher entscheidend.  

Die Autoindustrie und die Politik diskutieren dennoch staatliche Kaufanreize für Automobile. Ein Vorbild könnte die „Abwrackprämie“ im Nachgang der Finanzkrise 2009 sein. Im Gespräch sind 3.000 bis 4.000 Euro für neue Fahrzeuge sowie 2.000 Euro für junge Gebrauchtwagen. Gestaffelt wird die Prämie voraussichtlich nach ökologischen Kriterien.  

Der Wirtschaftsrat der CDU hat außerdem laut der Tageszeitung „Die Welt” vorgeschlagen, die Klimaziele für die Wirtschaft zu lockern. Dies könnte der Branche Zeit verschaffen. Der Imageschaden wäre allerdings groß. Zudem dürfte vielen Autobauern Planungssicherheit im Zweifel wichtiger sein als kurzfristige Entlastungen. Der Volkswagen-Manager Ralf Brandstätter etwa widerspricht dieser Idee. Klimaschutz bleibe eine Menschheitsaufgabe, daran ändere auch die Corona-Pandemie nichts, so Brandstätter.  

Fazit: Prognosen sind schwierig … 

Wo sich die Experten einig sind: Es droht dem Autogeschäft ein Einbruch im zweistelligen Prozentbereich. Wie hoch er am Ende ausfällt, wird sich von Marktsegment zu Marktsegment unterscheiden – und davon abhängen, welche Förderungen die Politik auflegt, um Angebot und Nachfrage zu stabilisieren. Die Automobilbranche als Schlüsselindustrie hat in Deutschland gute Chancen auf erhöhte Aufmerksamkeit.

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