Alpine A110S: Das kann die schärfste Alpine am Limit
Alpine bringt eine schärfere Version des Retro-Sportlers A110. Wir bringen sie (fast) an ihre Grenzen. Und auf passable Rundenzeiten. Tracktest mit der A110S.
Die Reserven der Alpine A110S realisiert man in der Rückschau. „Wieder zu früh gebremst“, denkst Du nach praktisch jedem härteren Bremspunkt auf der Rennstrecke von Estoril. Die Gewissheit kommt meist erst kurz vor dem Einlenken – und in Kurve eins mit Erstaunen. Denn beim initialen Tritt auf die Bremse vermittelt Dir die Hinterachse dort noch das Gegenteil. Beziehungsweise den praktischen Teil dessen, was Dir theoretisch klar ist: dass bei einer Verzögerung von 234,5 auf 70,8 km/h (laut GPS-Tracker) signifikant wenig Gewicht auf den Hinterrädern lastet.
Was zeigt: Wir haben es bei der Alpine mit einem ehrlichen Sportwagen zu tun. Der sich mitteilt und den Fahrer im Grenzbereich positiv überrascht. Auch in dieser Variante: Die A110 mit addiertem S ist die schärfere Ableitung des 2017 gestarteten Retro-Modells der Renault-Tochter. Sie kommt mit etwas mehr Leistung, größeren Bremsen und härterem Fahrwerk als die Standard-Variante. Unverändert bleibt der Anspruch auf einfache Beherrschbarkeit und wenig Gewicht. Beeindruckende Zahlen stehen bei einem solchen Sportler nicht zwingend auf dem Datenblatt – wir werden sie in Kürze von der Rundenzeit-App ablesen.
Fahrwerk der A110S: Fließen mit gesteigertem Fokus
Auf die enge erste Kurve folgt ein schneller Rechtsknick. Kurz anbremsen, gleichzeitig einlenken. Dann dreht das Heck gierig, schnappt aber nicht weg. Viele schätzen an der neu aufgelegten Alpine A110 die Kompetenz im Grenzbereich. Erste Informationen zum Top-Modell A110S ließen um die milde, berechenbare Abstimmung bangen: Renault verbaut doppelt so harte Stabilisatoren, die Dämpfer geraten 50 Prozent straffer.
In Summe registriert man weiterhin viel Bewegung im Aufbau. Manch anderer Sportwagen fühlt sich in Fahrwerk, Lenkung und Bremse exakter an. Das wirkt aggressiver – reuelos spielen lässt es sich mit der sanfteren Alpine garantiert besser.
Wir klicken uns in der Boxengasse über den roten Knopf am Dreispeichen-Lenkrad in den Track-Modus, was bedeutet: ESP aus. Alternativ beherrscht der Wagen ein gezähmtes Stabilitätsprogramm, eine Art Zwischenwelt mit Sicherheitsnetz. Im Track-Setup muss der Fahrer selbst schalten. Also rechtzeitig an den fest montierten Schalt-Paddles zupfen, um dem harten Drehzahlbegrenzer zuvorzukommen.
Stehende Paddles: Lange suchen, schnell schalten
Herrlich, wie unvermittelt das serienmäßige Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe auf Befehle reagiert. Schwierigkeiten ergeben sich nur beim Hochschalten am Kurvenausgang: Wo war noch mal das Paddle? Bei einer mitdrehenden Lösung wäre Schalten im Kurvenverlauf einfacher.
Lieber von vornherein im höheren Gang bleiben? Klappt nicht immer, denn für vollen Vorwärtsschub will der aufgeladene 1,8-Liter-Vierzylinder Umdrehungen jenseits der 4.000er-Marke sehen. Bei 6.400 Umdrehungen liegt die Höchstleistung von 292 PS an, 40 PS mehr als bei herkömmlichen Alpine A110. Es handelt sich um dasselbe Aggregat, den Unterschied macht vordergründig der um 0,4 bar gesteigerte Ladedruck. Das Drehmoment liegt unverändert bei 320 Newtonmetern, konstant abrufbar zwischen 2.000 und 6.400 Touren.
Alpine A110S bedeutet: 292 PS und 1.114 Kilogramm Leergewicht
Der quer vor der Hinterachse verbaute Antrieb schiebt das 1.114 Kilogramm leichte Auto ans Ende der zweiten langen Geraden. Bei 205 km/h schnappt sich die Vierkolben-Bremsanlage die 320 Millimeter großen Scheiben, an der Hinterachse verzögert ein Kolben bei gleichem Scheiben-Durchmesser. Die Stahl-Anlage von Brembo (optional bei herkömmlichen A110) bietet einen klaren Druckpunkt und eine feine Dosierbarkeit. Tendenziell hebt sich der Fuß beim Anflug auf die lange Linkskurve wieder. Wie gesagt, man ist irgendwie immer zu früh dran.
Auf den Gaseinsatz trifft das in mittleren und schnellen Kurven selten zu. Die hinterradgetriebene Alpine A110S verträgt den Maximalbefehl früh. Am inneren Curb hängt man im einteiligen Sabelt-Hocker – zur Seite hin gut gestützt, doch immer zu weit weg vom Volant. Längs sind die Schalensitze per Hebel verstellbar, die Neigung lässt sich nur mittels Schraubenschlüssel justieren. 1.785 Euro kosten die belederten Vollschalen. Das macht sie zur teuersten Mehrausstattung nach dem Carbon-Dach für 2.380 Euro, die sündhaft teuren Lack-Optionen einmal ausgenommen.
Wenig Zicken, keine Semislicks
Leichte Slides des Hecks erleben wir zwei Kurven später in der engen Schikane. Brenzlig geraten die Driftwinkel nicht, wenn man früh genug nachlässt. Überhaupt treibt einen die Sorge um Traktion selten um. Wann die Alpine über Bremseingriffe an den Hinterrädern eingreift, lässt sich nicht ablesen. Eine andere Möglichkeit hat die Elektronik nicht: Ein klassisches Sperrdifferenzial oder eine Lösung mit Lamellen-Kupplungen bietet Renaults Sport-Tochter nicht an.
Semislicks fehlen in der Aufpreisliste ebenfalls. In unseren Radkästen drehen sich Michelin Pilot 4S – sportliche Sommerreifen mit breitem Grenzbereich. Denkbar, dass Alpine zum Marktstart Ende 2019 (optional) eine vergleichbare Alternative auf die 18-Zoll-Felgen spannt.
A110S: Die Alpine für Sportfahrer
Wobei: Schlecht kann die getestete Auto-Reifen-Kombination nicht sein. Nach einer schnellen Linkskurve und einer ewigen Rechtskurve zieht die A110S auf die Start-Ziel-Gerade. Bei 2:00,64 Minuten bleibt die Uhr stehen. Einordnung: Ambitionierte Hobby-Piloten schaffen das vier bis acht Sekunden schneller – mit teuren Supersportwagen und klebrigeren Semi-Slicks. Der Fronttriebler-Rundenrekord von Tourenwagen-Profi Tiago Monteiro im Honda Civic Type R liegt bei 2:01,84 Minuten.
Wo die Alpine A110S steht? Sportfahrer werden das demnächst auf den Rennstrecken dieser Welt untereinander klären. Denn viele bisher verkaufte Alpine fahren auf der Rennstrecke. Der zweite große Teil der Kunden schätzt eher das schöne Auto mit historischen Anleihen in der Garage. Ihnen bietet die stärkere A110S bei 10.700 Euro Aufpreis nur wenig Mehrwert.
Doch wer die Alpine am Limit bewegen will, erhält mit der A110S ab 66.000 Euro ein überraschend schnelles und unkapriziöses Track-Tool. Mit dem Potenzial, die größeren Sportwagen in manchen Sektionen zu ärgern. Letzteres trotz flotter Rundenzeit ohne Gewähr, doch mit einem Versprechen: Zumindest auf der ehemaligen portugiesischen Formel-1-Strecke ginge mit der Alpine noch mehr, gibt es mit der A110S noch Reserven. An praktisch allen härteren Bremspunkten.