Pannenfreie Autoreifen ohne Luft
Nie wieder Probleme mit dem Luftdruck: Michelin will in fünf Jahren einen luftlosen Autoreifen in Serie bringen. Wie das funktionieren soll? Erfährst Du hier.
Wenn es nach Michelin geht, heißt der Reifen bald nicht mehr Pneu. Dieser Ausdruck bezog sich schließlich auf den pneumatischen Aspekt, auf die Federung durch Luft. Aber was wird, wenn die Luft bald keine Rolle mehr spielt? Der Luftdruck ist schließlich eine große Fehlerquelle. Zu viel oder zu wenig Druck schadet dem Pneu. Fehlt er ganz, ist der Reifen im schlimmsten Fall unbrauchbar.
Die Idee vom luftlosen Reifen existiert schon lange. Viele Reifenhersteller zeigen regelmäßig Studien von Rädern, deren Innenleben aussieht wie Schwämme oder Bienenstöcke. Speziell angeordnete Kunststoffe übernehmen die Aufgabe der Luft und pressen einen Teil der Lauffläche auf den Boden. In der Raumfahrt werden solche Reifen längst verwendet – auf Himmelskörpern ohne Atmosphäre und mit niedrigen Temperaturen sind sie einfach praktischer.
Bald soll so ein Reifen auf der Erde fahren, ganz offiziell im Straßenverkehr. Michelin kooperiert mit General Motors und leitet eine Testphase ein. Auf dem Chevrolet Bolt, dem Schwestermodell des Opel Ampera-E, soll der Michelin Uptis seine Serientauglichkeit beweisen. Noch im laufenden Jahr startet das Projekt. Innerhalb von fünf Jahren soll man ihn kaufen können.
Autoreifen ohne Luft, dafür mit Lamellen
Prinzipiell hat sich am Autoreifen seit vielen Jahren nur wenig verändert. Hersteller entwickeln Profil und Materialien weiter, sie passen Größe und Breite an die Wünsche der Autobauer an. Die Flanke wurde stabiler und haltbarer. Aber es gilt seit 1985: Reifen sind rund und mit Luft gefüllt. Der Überdruck war stets Teil des Planes.
Warum Michelin darauf verzichten will, verrät der Name des Luftlosen Reifens. Uptis steht für „Unique Puncture-proof Tire System“. Das bedeutet ungefähr: Einzigartiges, stichfestes Reifensystem. Es geht vor allem um Pannen, um Beschädigungen. Die können falsche Behandlung des Reifens oder durch Fremdkörper entstehen.
Der ideale Luftdruck in einem Reifen hängt von Dimension, Einsatzzweck, Fahrzeuggewicht und maximaler Geschwindigkeit ab. Es ist ein komplexes System, das funktionieren muss. Gerät es aus dem Gleichgewicht, schadet es dem Reifen stark. Fährt man einen Reifen mit dem falschen Luftdruck, geht er früher oder später kaputt.
Der Uptis verzichtet deshalb vollständig auf den Luftdruck. Um das zu verdeutlichen, lässt Michelin die Flanken offen. Man sieht die Lamellenstruktur zwischen Lauffläche und Felge. Profile aus Glasfaser und Polyesterharz sorgen dafür, dass der Reifen seine Form behält. Sie federn Stöße ab und sorgen für die Auflage des Profils auf der Straße.
Sticht ein spitzer Gegenstand durch seine Lauffläche, ändert sich an seiner Funktionsfähigkeit nichts. Die Lamellen arbeiten wie vorher, die Auflage bleibt identisch. Der Reifen bleibt auf dem Auto. Gut für die Umwelt: Michelin schätzt, dass rund 20 Prozent aller Reifen vorzeitig beim Verwerter landen, weil sie beschädigt sind.
Viele Hersteller forschen am luftlosen Reifen
Die Nachteile des klassischen Reifens treiben viele Hersteller an. Bridgestone zeigte 2011 den Airless Tire, hergestellt aus thermoplastischem Kunststoff. Bei seiner Produktion soll besonders wenig CO2 entstehen, hieß es bei der Vorstellung. Alle Materialien seien recyclebar und man habe den Abrieb minimiert. Leider trug der Konzeptreifen nur 150 Kilogramm. Viel zu wenig für ein modernes Auto, selbst für einen Kleinstwagen.
Die Belastungen des Autos sind eine Herausforderung. Bridgestone versprach zunächst Fahrradreifen ohne Luft. Hankook konzentriert sich zunächst ebenfalls auf Zweiräder – obwohl der luftlose Iflex im Jahr 2015 immerhin ein Tempo von 130 km/h erreichte und schnelle Slalomfahrten meisterte.
Michelin stellte 2017 das „Vision Concept“ vor. Damals entstand der luftlose Reifen noch im 3D-Drucker, bestand aus erneuerbaren Materialien und war mit umfangreicher Sensorik ausgerüstet. Von diesen Merkmalen kommt wenig beim Uptis an. Und nicht einmal der ist so richtig fertig entwickelt. Er ist eine Studie, die sich jetzt beweisen muss.
Der Serienreifen bekommt sieht anders aus als der Prototyp
Ihr Design wird es wohl kaum in die Serienproduktion schaffen. Denn während die Lamellen das Problem der schwindenden Luft lösen, erschafft die offene Bauform neue Herausforderungen. Sammelt sich im Inneren des Reifens Schmutz oder Schnee, entsteht eine Unwucht im Rad. Außerdem können kleine Steine enorm beschleunigt werden und Passanten oder den Lack treffen.
Zudem wird die Aerodynamik eines Reifens wichtiger. Autobauer fordern von Reifenherstellern besonders flache Schriftzüge, um die Luft nicht unnötig zu verwirbeln. Dieses Detail kann bereits das eine oder andere Gramm des CO2-Ausstoßes beeinflussen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Flanke des Serienreifens geschlossen sein wird.
Michelin erklärt auf Nachfrage, dass das endgültige Design des Uptis noch nicht feststeht. Aber das Prozedere des Reifenwechsels habe man schon erdacht. Reifen und Felge sind nämlich fest miteinander verbunden. Ist das Profil abgenutzt, wird das komplette Rad runderneuert. Es bleibt abzuwarten, ob dadurch die Kosten steigen. Zu beachten ist hier auch die Mindestprofiltiefe bei Sommer- und Winterreifen.
Immerhin: Die Themen Gewicht und Geschwindigkeit sind offenbar geklärt. Der Prototyp fährt laut Beschriftung bis zu 210 km/h schnell. Ein Chevy Bolt wiegt 1,6 Tonnen. Ein guter Anfang. Langfristig könnte der Uptis auch zum Sportreifen werden. Das Volumen hat aber Vorrang.
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